Die Zeitmaschine. Herbert George Wells
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Alsbald dachte ich, welch ein Narr ich war, mich durchnässen zu lassen. Eine kolossale Gestalt, offenbar aus irgendeinem weißen Stein gemeißelt, ragte undeutlich durch den nebligen Guß über den Rhododendren auf. Aber sonst war nichts von der Welt zu sehen.
Meine Empfindungen würden schwer zu schildern sein. Als die Hagelsäulen dünner wurden, sah ich die weiße Gestalt deutlicher. Sie war sehr groß, denn eine Silberbirke reichte ihr bis an die Schulter. Sie war aus weißem Marmor, an Gestalt etwa wie eine geflügelte Sphinx, aber die Flügel trug sie nicht vertikal an den Seiten, sondern ausgebreitet, so daß sie zu schweben schien. Das Piedestal, schien mir, war aus Bronze, und es war dick mit Grünspan bedeckt. Das Gesicht war mir zugewendet; die blinden Augen schienen mich zu beobachten; auf den Lippen lag der leichte Schatten eines Lächelns. Sie war sehr verwittert, und das machte den unangenehmen Eindruck der Krankheit. Ich stand und sah sie eine kleine Weile an – vielleicht eine halbe Minute oder eine halbe Stunde. Sie schien vorzurücken und zurückzuweichen, je nachdem der Hagel dichter oder dünner vor ihr niederging. Schließlich zog ich die Augen einen Moment von ihr ab und sah, daß der Hagelvorhang fadenscheinig geworden war und daß der Himmel sich mit einem Versprechen des Sonnenscheins aufhellte.
Ich sah wieder zu der kauernden weißen Gestalt empor, und mich überkam plötzlich die ganze Vergangenheit meiner Reise. Was mochte erscheinen, wenn dieser neblige Vorhang ganz zurückgezogen war? Was konnte nicht mit den Menschen geschehen sein? Wie, wenn die Grausamkeit zu einer gewöhnlichen Leidenschaft geworden war? Wie, wenn das Geschlecht in der Zwischenzeit seine Mannhaftigkeit eingebüßt und sich zu etwas Unmenschlichem, Unsympathischem und überwältigend Mächtigem entwickelt hatte? Ich mochte als ein wildes Tier aus der alten Welt erscheinen, nur um so furchtbarer und widriger wegen einer Ähnlichkeit – ein ekliges Geschöpf, das man alsbald erschlagen mußte.
Schon sah ich andere Gestalten – gewaltige Gebäude mit verschlungenen Brustwehren und großen Säulen und einen bewaldeten Hügelhang durch den sich legenden Hagelsturm undeutlich gegen mich herankriechen. Mich ergriff panische Furcht. Ich wandte mich wie wahnsinnig zur Zeitmaschine und versuchte, sie wieder aufzurichten. Und als ich das tat, schlugen die Strahlen der Sonne durch den Gewitterguß. Der graue Hagel wurde beiseite gefegt und verschwand wie das schleppende Kleid eines Geistes, über mir wirbelten im intensiven Blau des Sommerhimmels einige schwache, braune Wolkenfetzen in das Nichts. Die großen Bauten um mich standen klar und deutlich da und glänzten von der Nässe des Gewittergusses. Ich fühlte mich, wie sich ein Vogel in klarer Luft fühlen mag, wenn er weiß, daß der Falke über ihm schwebt und zupacken wird. Meine Angst wurde zum Wahnsinn. Ich holte Luft, biß die Zähne aufeinander und rang noch einmal wild mit Hand und Knie an der Maschine. Sie gab unter meinem verzweifelten Angriff nach und drehte sich um. Sie schlug mir heftig gegen das Kinn. Eine Hand auf dem Sattel, die andere auf dem Hebel, so stand ich schwer atmend in der Stellung da, um wieder aufzusteigen.
Aber mit dieser Möglichkeit schnellen Rückzugs gewann ich auch meinen Mut zurück. Ich blickte mit mehr Neugier und weniger Furcht auf diese Welt der fernen Zukunft. In einer kreisrunden Öffnung hoch oben in der Mauer des näheren Hauses sah ich eine Gruppe von in reiche, weiche Gewänder gekleideten Gestalten. Sie hatten mich gesehen, und ihre Gesichter waren mir zugewandt.
Dann hörte ich Stimmen sich mir nahen. Durch die Büsche bei der weißen Sphinx kamen Köpfe und Schultern laufender Männer. Einer von ihnen tauchte auf einem Pfad auf, der geradeswegs zu dem kleinen Rasen führte, auf dem ich mit meiner Maschine stand. Es war ein kleines Geschöpf – vielleicht vier Fuß hoch – in eine purpurne Tunika gekleidet, über den Hüften mit einem Ledergürtel gegürtet. An seinen Füßen trug er Sandalen oder Schuhe – ich konnte es nicht deutlich sehen; seine Beine waren bis zu den Knien nackt und sein Kopf unbedeckt. Als ich das sah, merkte ich zum erstenmal, wie warm die Luft war.
Er erschien als ein sehr schönes und anmutiges Geschöpf, aber als unbeschreiblich zerbrechlich. Sein gerötetes Gesicht erinnerte mich an die schönere Art von Schwindsüchtigen – an jene hektische Schönheit, von der wir soviel haben zu hören bekommen. Bei seinem Anblick gewann ich plötzlich meine Zuversicht zurück. Ich nahm die Hände von der Maschine.
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