Erben. Eva Madelung

Erben - Eva Madelung


Скачать книгу

      Ich war tief getroffen: Nicht nur, dass ich von alledem nichts gewusst hatte, während mein Onkel längst eingeweiht war. Die einfache Tatsache, dass der von mir so geliebte Vater sich einer anderen Frau zugewandt hatte, traf mich seltsamerweise tief, und ich fühlte mich verletzt. Aus heutiger Perspektive vermute ich, dass ich mich unbewusst als die bessere Partnerin für meinen Vater gesehen hatte, da seine Beziehung zu Mutter nicht gut war, und dass sich deshalb eine Art verquerer Eifersucht in mir regte.

      Phillip dagegen schien über die Höhe des Erbes eher erfreut, fand aber, dass Mutter einen zu kleinen Anteil erhielt, weil es ihr so schlecht ging und Vater doch sie verlassen habe, und nicht sie ihn.

      Ich hörte Onkel Karl nur mit halbem Ohr zu, als er sagte, dass ich, wenn ich nächstes Jahr volljährig würde, die uneingeschränkte Verfügung über das Geld bekäme. Denn in Gedanken war ich noch bei dieser – von mir so empfundenen – »Untreue« meines Vaters: Wie konnte er mir das verheimlichen!? Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte an meiner Betroffenheit und dass ich mit meinem Anspruch eine Grenze überschritt. Ich war völlig verunsichert und verspürte plötzlich den Impuls, mein Erbe zurückzuweisen.

      »Kann man ein Erbe auch verweigern?«, fragte ich.

      »Natürlich kann man das«, meinte Karl verwundert. »Aber jetzt warte doch erst einmal ab, bis du volljährig bist. Dann kannst du das in aller Ruhe entscheiden.«

      Als Karl abgereist war, fühlte ich mich völlig ratlos. Was sollte ich tun im nächsten Jahr, wenn ich volljährig würde? Ich hatte das Bedürfnis, mit jemandem darüber zu sprechen, und ich weiß selbst nicht, warum ich mich an Gretel wandte und nicht an Urs, mit dem ich bisher vieles besprochen und den ich mir schon oft als Lebenspartner vorgestellt hatte.

      Für Phillip dagegen lagen die Dinge, die Karl uns über das Testament des Vaters berichtet hatte, offenbar weit in der Zukunft, und er machte sich keine Gedanken darüber.

       DIE FREUNDIN

      Als ich einige Tage später mit Gretel auf meinem Zimmer zusammensaß, schnitt ich das mir auf der Seele brennende Thema an. Gretel hörte aufmerksam zu und sagte schließlich, dass es auch ihr schon durch den Kopf gegangen sei. Sie hätte sich gefragt, was es für sie bedeuten würde, wenn nach dem Tod ihres Vaters das Erbe verteilt würde. Allerdings verstand sie nicht sofort, was für ein grundsätzliches Problem ich damit hätte.

      »Seltsamerweise«, erklärte ich ihr, »bin ich von der Tatsache troffen, dass mein Vater schon vor der Scheidung von unserer Mutter eine Beziehung zu einer anderen Frau hatte und dass diese Frau dann bei dem für ihn tödlichen Unfall mit im Auto saß, aber überlebte. Ich nehme ihm das übel, obwohl es mich eigentlich nichts angeht. Es ist mir auch gar nicht unrecht, dass sie mit unter den Erben ist. Als ich sie auf der Beerdigung sah, ohne zu wissen, wer sie ist, war sie mir sofort sympathisch. Ein anderer Grund meines Widerwillens gegen das Erbe könnte auch sein, dass ich keine Ahnung habe, wie man als Börsenmakler so viel Geld verdienen kann, wie ihm das offenbar gelungen war. Andererseits hätte ich ihn ja fragen können. Er hätte es mir sicher gern erklärt.«

      Gretel überlegte eine Weile und meinte dann: »Du hast es doch eigentlich gut getroffen, denn bei dir kann niemand schon am Namen erkennen, dass du aus einer reichen Familie stammst. Mir ist es oft peinlich, wenn ich neue Leute kennenlerne, dass ich wegen meines Namens sofort als reiche Erbin erkannt werde. Fast jeder kennt schließlich die Marken und Produkte aus der Firma meines Vaters und weiß aufgrund meines Nachnamens – jedenfalls in meiner Heimatstadt –, dass ich aus dieser Familie stamme. Und was mein Vater in seiner Fabrik genau tut, weiß ich auch nicht. Bisher habe ich mich – genau wie du – bisher kaum dafür interessiert, weil es Sache meines Bruders ist, Nachfolger unseres Vaters zu werden. Das ist mir auch sehr recht, weil ich an einem Managerposten nicht interessiert bin. Leider weiß Urs bis heute nicht, ob er die Firma überhaupt übernehmen möchte. Ich glaube, er will lieber Architekt oder Maler werden, das liegt ihm viel mehr.«

      So unterhielten wir uns noch lange, aber letztendlich blieb ich verwirrt und verstört zurück.

       ABITUR UND ÜBERNAHME DES ERBES

      Während des Jahres, an dessen Ende das Abitur stand, traten diese Fragen jedoch in den Hintergrund, denn ich war überwiegend mit Lernen beschäftig.

      Als die Prüfungen vorüber waren, feierten wir ein rauschendes Fest, auf dem ich fast ausschließlich mit Urs tanzte. Als es danach ans Abschiednehmen ging, sagte ich zu ihm, dass ich jetzt vor allem meine Erbangelegenheiten regeln müsse, wofür ich einige Zeit brauchen würde. »Schauen wir mal, wie es dann weitergeht!«

      Urs war offenbar erstaunt über meine Ankündigung, nahm sie aber hin, ohne weiter darauf einzugehen. Als er später dabei war, für ein Jahr in die USA zu gehen, meldete er sich noch einmal. Er sollte dort die von seinem Vater vorgesehenen Praktika in ähnlich strukturierten Unternehmen durchlaufen. Er schrieb mir und fragte, ob wir uns nicht jetzt verloben sollten. Aber so selbstverständlich ich in unserem letzten Schuljahr mit einem Ja auf diese Frage geantwortet hätte, so fern lag mir das jetzt: Ich hatte eine große Aufgabe vor mir, und alles andere musste warten. Ich zögerte etwas, ihm das mitzuteilen, weil ich mir seine Enttäuschung vorstellen konnte, aber schließlich schrieb ich es ihm klipp und klar. Danach hörte ich nichts mehr von ihm.

       DIE ELTERN

      So ganz ließ sich meine Beziehung zu Urs jedoch nicht beiseiteschieben, und irgendwann kam ich ins Grübeln über seinen von dem meinen so verschiedenen familiären Hintergrund. Sein Vater war ein erfolgreicher Unternehmer, der das Familienunternehmen von seinem Vater – Urs Großvater – übernommen und wesentlich vergrößert hatte. Er war ein angesehener Bürger von Solothurn, Mitglied des Stadtrats und hochrangiger Militär. Er hatte sein Erbe erfolgreich erweitert und konnte stolz auf seine Familientradition zurückblicken. Für seine Nachkommen ergaben sich daraus allerdings auch Nachteile: Als mich Urs einmal in den Ferien nach Solothurn einlud, hatte ich mich seltsam beengt gefühlt, vor allem, wenn ich mir vorstellte, hier als »die Frau an seiner Seite« zu leben. Ich dachte dabei auch an Gretels Schilderung, wie ihr Leben als Tochter des bekannten Unternehmers verlief.

      Mein Vater dagegen war zwar ein erfolgreicher Börsenmakler, aber in Frankfurt nur in Insiderkreisen bekannt. Kaum jemand dachte sich etwas dabei, wenn ich meinen Namen nannte, und so hatte ich völlig andersartige Probleme als Urs und Gretel. Er hatte sich ja aus einfachsten Verhältnissen emporgearbeitet. Unter anderem dadurch – wie er mir einmal amüsiert erzählte –, dass er an einem Tanzkurs teilnahm. Denn dabei hatte er meine Mutter kennengelernt, und sie hatten sich auf Anhieb so gut verstanden, dass er sie sogar als ihr Kavalier auf den Abschlussball begleiten durfte. Als gutaussehender, ehrgeiziger junger Mann hatte er es verstanden, das Wohlwollen meines Großvaters zu erringen, und dieser hatte ihn später auch protegiert und seine Karriere gefördert.

      Heute denke ich, dass das Motiv, das der Heirat meines Vaters zugrunde lag, zwar verständlich war, aber aller Wahrscheinlichkeit nach zu nichts Gutem führen konnte. Kein Wunder, dass die Ehe schließlich zerbrach. Meine Mutter war als verwöhntes Einzelkind aufgewachsen, hatte mit Müh und Not das Abitur bestanden und danach nichts gelernt außer Kochen und Tanzen. Letzteres hat ja dann auch zur Ehe mit meinem Vater geführt. Die Erziehung von uns Kindern hat sie weitgehend Kinderfrauen überlassen, denn sie wollte ungehindert ein großes Haus führen. Sobald wir uns aber an eine gewöhnt und sie lieb gewonnen hatten, entließ sie sie wieder, wohl aus Eifersucht und Angst, wir könnten ihr entgleiten.

      Dass Mutter es gut verstand, glanzvolle Einladungen zu geben, war natürlich auch im Sinne meines Vaters. Trotzdem nahm seine Zuneigung zu ihr – und das war auch für uns Kinder spürbar – stetig ab. Ich dagegen konnte mich auf seine Liebe verlassen und war ihm in Bezug auf Fleiß und Strebsamkeit ähnlich, während Phillip der Liebling der Mutter war und blieb.

      Über Geld wurde mit uns nicht gesprochen. Wir wussten nur,


Скачать книгу