Heißes Blut. Un-su Kim
ihn um Entschuldigung gebeten. Worauf der Lehrer sofort in die Luft gegangen war: Aus diesem Jungen, schimpfte er, werde niemals, auch nicht nach hundert Wiedergeburten, ein richtiger Mensch. Sie könnten sich an dieser Schule noch so sehr bemühen, ihn zu erziehen, aus dem werde sowieso nur ein Gangster, und deshalb sei es besser, ihn auf den Bau zu schicken, damit er dort etwas Ordentliches lernen könne, anstatt auf der Mittelschule herumzuhängen, wo er nur Chaos anrichte. Der Lehrer steigerte sich immer mehr hinein: Dieses Kind erkenne keinerlei Autoritäten an, weder ältere Mitschüler noch Lehrer oder Erwachsene im Allgemeinen. Konfuzius habe solche Leute als »Hunde-Menschen« bezeichnet, deren Verhalten eher dem von Tieren ähnele, und mit Ethik – was ja sein eigenes Unterrichtsfach sei – könne man nur bei Menschen etwas ausrichten. Bei ihm sei das sinnlos, da könne man gleich darauf verzichten, so etwas einem Tier nahebringen zu wollen. Als Lehrer dieses Fachs habe er deshalb große Zweifel am Nutzen seiner Bemühungen. Die ganze Zeit hatte Ami zerknirscht dabeigesessen. Es war das erste und letzte Mal in seinem Leben, dass Huisu ihn so niedergeschlagen sah. Jedes Mal, wenn die Faust des Lehrers auf den Tisch niederging, hatte Huisu den Kopf gebeugt und wiederholt, wie leid es ihm tue. Er werde Ami klarmachen, dass sich so etwas nicht wiederholen dürfe, sonst werde er ihm gewiss ein Bein brechen. Worauf der Lehrer süffisant lachte: »Und Sie glauben, das funktioniert bei dem? Wenn man Hunden und Schweinen mit dem Stock droht, gehorchen sie, aber der doch nicht! Die Leute sagen ja nicht ohne Grund: ›dümmer als jedes Tier‹. Damit sind Menschen von seiner Sorte gemeint. Einen Raben, ein Huhn oder einen Marienkäfer zu unterrichten wäre erfolgversprechender, ja, sogar einen Regenwurm!« Er war nicht mehr zu bremsen. Dieser Lehrer konnte einfach nicht sein dummes Maul halten. Als Nächstes verkündete er, dass die Haltung des Verwaltungsratsvorsitzenden eindeutig sei und dass die Lehrerversammlung Amis Schulverweis beschlossen habe. Eine ganze Stunde lang hatte Huisu die Haltung bewahrt, gekatzbuckelt und unermüdlich wiederholt, dass es ihm sehr leidtue. Doch als der Lehrer schließlich hinzufügte: »Alle vaterlosen Kinder enden so«, platzte ihm der Kragen: Ob der Lehrer ihm mal erklären könne, warum er, wo er doch anscheinend wisse, dass Ami vaterlos sei, darauf bestanden habe, diesen nichtexistenten Vater antreten zu lassen? Als Huisu nun seinerseits mit der Faust auf den Tisch schlug, riss der Lehrer zitternd vor Wut die Schlitzaugen auf und starrte ihn finster an. Dann begann er, noch lauter zu schreien als Huisu, damit die anderen Lehrer im Raum ihn auch ja alle hörten.
»Haben Sie vergessen, wo Sie hier sind? Was fällt Ihnen ein, hier so rumzuschreien!«
»Wie war das noch mal? Aus Ami wird nie ein Mensch werden, nicht mal nach hundert Wiedergeburten? Glauben Sie, dass ein Lehrer so über einen Jungen sprechen sollte, der noch kein einziges Haar am Arsch hat? In dem Alter gibt es immer mal Raufereien. Ist der verdammte Sohn des Verwaltungsratsvorsitzenden schon mit einem polizeilichen Absperrband um den Pimmel auf die Welt gekommen? Ist er so unantastbar, dass einer, der ihm mal ein paar Backpfeifen verpasst, gleich fliegen muss?«, schrie Huisu zurück und fuchtelte dem Lehrer dabei mit den Händen vor der Nase herum.
Worauf der ihn am Kragen packte und brüllte: »Der verdammte Sohn des Verwaltungsratsvorsitzenden? Sie wagen es, diesen kleinen Prinzen mit Ihrem Hallodri zu vergleichen?« Und er schüttelte Huisu so wild, dass mehrere Knöpfe durch die Luft flogen und ihn seine Nägel, die so lang waren wie die einer Bardame, blutig kratzten. Da wurde Huisu von blinder Wut erfasst. Er stieß den Lehrer so heftig zu Boden, dass er bis zu den Wandschränken rollte.
Huisu bedauerte es, dass er sich nicht bis zum Schluss hatte beherrschen können. Allerdings war der Lehrer als Erster handgreiflich geworden. Huisu hatte sich nur aus dem Klammergriff dieses Irren befreit. Wie dem auch sei, an jenem Tag hatte Amis kurze Schullaufbahn geendet. Und Insuk hatte seitdem kein Wort mehr mit ihm geredet.
Etwa eine Woche nach dem Vorfall war Ami zu ihm ins Hotel Mallijang gekommen. Mit schleppendem Schritt hatte sich sein schwerer Körper durch die Bar auf Huisu zubewegt, der dort gerade Zeitung las. Und als er endlich vor ihm stand, hatte Ami sich gewunden wie ein Hundebaby, das kacken muss.
»Was ist? Noch eine Dummheit?«, fragte Huisu nach einer Weile.
Ami schüttelte den Kopf.
»Also?«
»Onkel …«
»Ich bin beschäftigt«, fiel ihm Huisu ins Wort.
»… darf ich dich ab heute Paps nennen?«
Fassungslos starrte Huisu ihn an. »Hast du heute nicht genug zu essen gekriegt, oder was? Wieso nervst du mich plötzlich mit so was? Wir beide haben nicht einen Tropfen vom selben Blut, was soll der Scheiß?«
»Du hast keinen Sohn, und ich habe keinen Vater, stimmt doch, oder?«
»Ja und?«
»Wenn du irgendwann einen Sohn haben willst, wie viel musst du dann ausgeben, allein fürs Essen, bis er so groß ist wie ich? Mit mir kriegst du einen umsonst. Ist das nicht der Deal des Jahrhunderts?«
»Glaubst du, um ein Kind großzuziehen, reicht es, das Essen zu bezahlen, du Esel? Da fällt dauernd irgendwas an, das ist irre teuer. Und mal ganz ehrlich, hältst du dich für ein normales Kind? Von dem Geld, das deine Mutter ausgeben musste, um alles auszubügeln, was du angestellt hast, hätte sie sich glatt ein Haus kaufen können.«
Ami hatte erst zur Decke geschaut und dann betreten auf seine Turnschuhe geblickt. Nun fing er an, mit einer Fußspitze Kreise auf den Boden zu malen. Seine Schuhe waren dreckig, ausgetreten und am dicken Zeh aufgerissen. Die Schnürsenkel hatten sich gelöst.
»He, du Vollpfosten, warum sind deine Schnürsenkel eigentlich immer auf? Zum Drauftreten? Mann, du hast echt ein lausiges Leben!«
»Ich mach die Schleife dauernd neu, aber die geht jedes Mal wieder auf«, sagte Ami kläglich.
Als Huisu die Zeitung faltete und aufstand, zuckte Ami aus Angst vor einer Kopfnuss zurück. Doch anders als erwartet, bückte sich Huisu und griff nach seinen eigenen Schnürsenkeln.
»Schau genau hin. Du schiebst den Finger in die Schleife, und dann ziehst du den Knoten fest zu, damit er nicht aufgeht. Immer schön festziehen!«
Ami starrte auf die Schleife, die Huisu gemacht hatte, und nickte. War es, weil sie so gut gelungen war? Er zögerte. »Ich verlange auch kein Taschengeld von dir«, sagte er schließlich. »Du wärst nur mein Vater. Einen Sohn haben, ohne was dafür zu bezahlen, das ist doch kein schlechter Deal, oder?«
Es hörte sich wirklich ziemlich gut an, zumal Huisu seit dem Schulverweis ein schlechtes Gewissen gegenüber Ami hatte.
»Okay, okay, und jetzt schieb ab! Ich muss arbeiten«, sagte er in einem Ton, der genervt klingen sollte.
Ami brachte seinen Oberkörper mit einer tiefen Verbeugung in die Waagerechte. Dann lief er hinaus, fröhlich wie ein Kind, das eine Handvoll Bonbons bekommen hat. Vor zehn Jahren war das gewesen, in einer Zeit, als es ihnen beiden noch deutlich besser ergangen war. Einer Zeit, in der es noch möglich war, sich für ein Leben in Würde zu entscheiden, ein Leben ganz ohne krumme Dinger. Theoretisch. In der Praxis war auch damals schon alles vorbestimmt. Wer mit einem derart verqueren Leben an den Start ging, sagte sich Huisu, landete unweigerlich in der Gosse, da war nichts zu machen. Jedenfalls war Ami an jenem Tag, auch wenn es zunächst mehr ein Witz gewesen war, sein Sohn geworden.
Insuk war siebzehn, als sie Ami zur Welt brachte. Damals arbeitete sie im Stadtteil Wanwol als Prostituierte. Es kam nicht gerade oft vor, dass eine Prostituierte schwanger wurde; und noch seltener, dass sie sich in den Kopf setzte, das Kind auszutragen. Doch das hatte Insuk mit ihren siebzehn Jahren getan und das Kind in dem Bordell, in einer kleinen Kammer, mit einer Hebamme an ihrer Seite zur Welt gebracht.
Insuk war wie Huisu in Mojawon aufgewachsen, einem Heim für Mütter und Kinder. Nach dem Koreakrieg hatten es Missionare in Guam für die vielen Kriegswitwen aufgebaut. Als Huisu klein war, gab es dort allerdings sehr viel mehr alte, kranke Prostituierte, die nicht wussten, wohin, als es Kriegswitwen gegeben hätte. Da nur Frauen und Kinder in dem Heim lebten, ließ sich dort nie ein Gangster blicken. Es gab ja auch nichts zu stehlen und niemanden, der reich genug war, um sich bescheißen zu lassen.
In jedem der sechs Gebäude