Das Zillebuch. Hans Ostwald
diese Reihen von Ärmsten musste ich wegsteigen, wenn ich meine Früharbeit anfing. Solche Eindrücke vergisst man nicht.
Und wenn ich mal spät Unter den Linden lang ging – ich hatte doch Abendunterricht in der alten Akademie und daran schloß sich manchmal noch 'n kleiner Bummel – da saßen auf manchen Bänken die Obdachlosen. Schlafen sollten sie nicht. Und weil die Schutzleute kontrollieren kamen, stellten die Obdachlosen Wachen aus. Die mussten ›Polente!‹ rufen, wenn Schutzleute kamen. Erwischten die Schutzleute aber doch einen Schläfer, dann fassten sie ihn an den Füßen an und kippten ihn über seinen Kopp weg uff de andre Seite. Im Hotel de Rome und in den andern Hotels drüben neben den Palais aber war's noch hell und da ging's hoch her. Die Equipagen und die Droschkenkutscher warteten und verstauten die Angeheiterten und fuhren sie nach Hause. Und hier wurde den Armen die letzte Ruhe genommen ...«
7. Zerzauste Kiefer in der Nähe von Rummelsburg.
Eine der Studien Arbeiten, die Zille vor oder nach seinen Broterwerbsstunden »für sich« machte.
Nach dem Original zum 1. Mal veröffentlicht.
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»Ja, wenn ich meine eigene Arbeit für mich nicht gehabt hätte – dann hätte ich es wohl kaum ausgehalten – jahrzehntelang in der Tretmühle. Aber wenn ich morgens so 'n bisschen nach der Natur gezeichnet hatte, dann hatte ich Ruhe für die Brotarbeit. Ich musste erst ein Bild für mich gemacht haben, ehe ich an die Arbeit ging.
Und abends? Ja, da konnte es wohl vorkommen, dass ich bis vier in der Nacht arbeitete – bis der Hahn krähte. Früher gab's ja noch Hühner – in Rummelsburg, später in Karlshorst und auch hier in Charlottenburg in unserer Nachbarschaft. Als ich damals hierher zog – die Photographische Gesellschaft verlegte doch ihre Werkstatt vom Dönhoffplatz hier 'raus – da war's noch ländlicher. Am Kaiserdamm war große Heide. Da saßen die Weiber mit ihren Kindern – hielten sie ungeniert an die Brust – oder hielten sie ab: da konnte man sie belauschen ... Und überall waren freie Plätze, wo die Menschen sich noch auf die Erde setzen konnten.
Na – und immer habe ich auch nicht bloß gezeichnet. Manchmal wurde es auch so spät über ein Buch: Dickens – – und Zola: Germinal, Nana, Fruchtbarkeit – und was ich sonst alles bekam.
Aber auch später, als ich nicht mehr in die Werkstatt ging, saß ich morgens oft bis vier auf, am Reißbrett mit dem Stift oder stand vor der Staffelei. Na ja – wenn man was schaffen will! – Und ich rühmte mich zu Gaul:
›Du, jetzt geht's schon bis um viere‹!«
8. Zille vor seiner Staffelei.
Hinter der Staffelei Senta Söneland.
Nach einer Photographie.
Über Zilles wirklich ernste und gewissenhafte Einstellung zur Kunst mögen seine folgenden Äußerungen unterrichten und aufklären:
»Es gab so viele, die sich vor eine Sache hinstellten oder hinsetzten und sie mühselig abmalten. Das Volk lässt sich das nicht immer gefallen. Und dann wechselt doch auch das Bild rasch. Auf der Straße – und auch sonst: Licht und Farbe.
Ich machte mir bloß Notizen. Und sagte: ›Das müßt ihr euch ins Auge klemmen – und denn zu Hause verarbeiten! ...‹
Wer das nicht kann, der kommt nicht zu einer fertigen Sache.«
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»Wie das so ist: erst hat man keine richtige Kritik für seine eigenen Sachen. Und so machte ich denn die Körper immer zu lang und die Köpfe zu klein. Bis mir eines schönen Tages der Bildhauer Krauß sagte:
›Mensch, Ihre Figuren haben ja alle zuviel Kopflängen!‹ Und das stimmte!
Da sah ich mich vor. Und was kam nu!?
Als Hyan mal meine Zeichnungen sah, meinte er:
›Na, Ihre Puppen haben wohl alle eens uff'n Kopp gekriegt!‹
Und das stimmte auch!
Na – nun suchte ich eben das Richtige.«
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»Liebermann fragte mich mal, warum ich keine Selbstbildnisse male.
Ich antwortete ihm:
›Wenn ich mich früh im Spiegel gesehen habe, wenn ich mich gekämmt habe, habe ich genug von meinem Gesicht!‹ –«
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»Liebermann fragte mich auch mal: ›Vakoofen Sie? Sie müssen doch mächtig Jeld machen!!‹
›Nich wie Sie bei de Reichen‹, antwortete ich ihm. ›Ich verkoofe bloß an kleene Leute. Die können nich Dausende zahlen: Denen muss ick die Freude schon billiger machen!‹
›Zille, det is schön von Ihnen!‹
Ich schwieg ein Weilchen, überlegte und sagte: ›Ach, Herr Professor, die Leinwand und die Ölfarbe achte ich viel zu hoch. Und denn: es malen schon zu viel Leute in Öl. Ich kritzle lieber auf Papier!‹
›Na, denn kleben Se doch Ihre Zeichnungen uff Pappe und schmieren Lack drüber. Dann kriegen Se mehr Jeld vor!‹ riet mir der berühmte Maler.
›Ich bleibe aber lieber bei meinem Kritzeln!‹ schloss Zille.«
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»Das ist alles nur mit Gewalt gemacht!« behauptet Zille von seinen Werken. »Nur mit Gewalt!
Weil ich es gewollt habe. Weil ich mich immerzu gezwungen, immerzu geübt habe! Weil ich jedes kleine Ding beobachtete und abzeichnete. Jeden alten Latschen. Jeden krumm getretenen Stiebel. Jede alte Gosse. Jede Küchenecke. Jeden Straßenwinkel.«2 Und wenn man ihm erwidert: Aber auch die Küchenecke, der Stiebel und die Gosse sind doch von Ihnen so gezeichnet, wie es eben nur ein Meister kann!
Dann sagt er, mit einem nach innen flimmernden Zwinkern seiner hellen Augen, halb bescheiden, halb ängstlich sich belauschend, wie wenn er sich vor einer geheimnisvollen Kraft in seinem Innern fürchte:
»Nee, nee – das ist mit Gewalt gemacht! ...
Das habe ich alles nur mit Gewalt erzielt. Nur mit Fleiß! Und immer wieder Gewalt!
Sonst schafft man das nicht!
Das ist nicht Begabung.
Das ist nur Wollen.
Ich wollte eben auch was für mich machen.
Ich wollte nicht immer in der Werkstatt bloß an einer Sache ein bisschen rum arbeiten. Wie etwa so'n Arbeiter, der bloß sein ganzes Leben lang Türklinken macht – vielleicht bloß die Gußnaht abkratzen – oder den Gusskopp abkneifen.
Nee –
Da fragten mich die Herren von der Photographischen Gesellschaft, warum ich denn jeden Morgen schon zeichne – so 'n bisschen nach der Natur – und abends auch noch oft bis in die Nacht. Das hätte ich doch nicht nötig. Ich hätte doch mein Brot.
Ja, ich wollte doch auch was für mich machen.
Was Ganzes wollte ich machen.
Ich wollte was machen, aus mir heraus.
So, wie ich die Welt und die Menschen sah.
Ich sah sie doch ganz anders, als die andern.
Und das musste ich eben machen ...«
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»Alle möglichen und unmöglichen Kunstjünger – und solche, die sich dafür halten, schicken einem Proben oder rücken einem sogar selbst auf die Bude. Oder die lieben Eltern oder Onkels kommen und bringen Proben.
Ja,