Pikatzo. Rita Janaczek

Pikatzo - Rita Janaczek


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als in ihrer kleinen Bude. Auch ihre Utensilien stellte sie einfach nach draußen, lediglich die teuren Pinsel wusch sie sorgfältig aus und legte sie auf ein altes Tuch neben die Spüle. Dann kroch sie völlig übermüdet ins Bett.

      Sie hätte heulen können. Das Bild in ein Laken gewickelt saß sie in der U-Bahn und starrte auf den Boden. Das war‛s dann wohl, womöglich war ihr das dritte Semester jetzt versperrt. Die Blicke von Professorin Grell-Sebses allein hätten schon gereicht, der Redeschwall danach hätte nicht nötig getan. Zuletzt hatte Pia gar nicht mehr zugehört, the Person you have called ist überhaupt nicht mehr available. Wie sollte sie dieses Desaster nur ihrem Vater beibringen? Er tat alles für sie, unterstützte sie wo er nur konnte, auch finanziell, obwohl er selbst Probleme hatte, über die Runden zu kommen. Außerdem wollte sie mit den anderen zusammenbleiben und auf keinen Fall dieses verdammte zweite Semester wiederholen. Ihre Hand krallte sich um den Rand des Keilrahmens. Irgendwie sah das Bild ja jetzt richtig gut aus, über Nacht gereift, nur war es alles andere als ein Stillleben, und das war das Problem. Als sie am Morgen nach zwei Stunden Schlaf wieder aufgestanden war, hatte das Bild völlig anders ausgesehen, die Joghurtbecher mit den Farbresten hatten kreuz und quer auf dem Balkon gelegen. Die verschiedenen Flaschen und die Schale, die sie gestern mehr schlecht als recht auf die Leinwand gebracht hatte, waren nur noch in Fragmenten zu erkennen. Die Acrylfarbe, die völlig abstrakt darüber gearbeitet wurde, machte das Bild zu einem surrealistischen Traum. Hätte sie dieses Machwerk in einer Galerie entdeckt, sie hätte sich gewünscht, so malen zu können. Sie hatte einen dunklen Verdacht, wer ihr das eingebrockt hatte, eine verräterische orange Signatur war am unteren rechten Rand zu erkennen, der Täter hatte vermutlich weißes Fell und vier Pfoten.

      „Ist der Platz noch frei?“ Der dunkelhaarige Typ setzte sich, bevor sie geantwortet hatte. Sie nickte nachträglich und wandte ihren Blick, um nach draußen zu sehen.

      „Sie malen?“, quatschte er sie von der Seite an. Pia hatte so gar keine Lust auf Konversation, aber er machte einen netten Eindruck und zickig rüberkommen wollte sie auch nicht.

      „Ich studiere Kunst“, das klang gerade so hochtrabend, dass sie die Antwort am liebsten gelöscht hätte.

      „Ich studiere Sport“, schob er nach. „Kann man auch nichts mit anfangen.“ Er grinste wie ein Schuljunge und schob seinen Rucksack zwischen den Füßen zurecht.

      Sie sah hinaus auf die Tunnelwände, die an ihr vorbeizogen, und war überzeugt, die kurze Unterhaltung dadurch beendet zu haben.

      „Darf ich mal sehen?“

      Pia wusste nicht, ob sie seine Hartnäckigkeit interessant oder lästig finden sollte. Sie drehte sich zu ihm, erst jetzt wurde ihr bewusst wie dicht sie nebeneinandersaßen, und zog das Laken ein Stück zur Seite. Er pfiff durch die Zähne. „Das haben Sie gemalt? Also wenn ich so malen könnte, würde ich mir die Uni sparen.“ Er grinste wieder.

      „Das sagen Sie nur so.“ Sie konnte nicht leugnen, dass sein Kompliment sie verlegen machte.

      „Nein, ehrlich. Das sieht richtig gut aus.“

      Sie spürte, wie ihr die Hitze in den Kopf stieg. „Ich hab es nicht allein gemalt“, gab sie ehrlich zu. „Die Basis kommt von mir, und ein … ein Freund hat daran weitergearbeitet.“

      Er nickte und fuhr sich mit der Hand durch das wirre, halblange Haar. „Ich würde es gern jemandem zeigen.“ Er kramte ein Smartphone aus der Jackentasche. „Darf ich?“

      Pia zuckte mit den Schultern, er nahm das sofort als Zustimmung und brachte sein Handy in Position. Sie nahm das Laken komplett herunter, positionierte das Bild so, dass er genug Abstand hatte und ließ es von ihm ablichten. Sie gab ihm auch noch ihre Handynummer, als er sie darum bat und eine Station danach stieg er aus.

      Als sie in ihrer Wohnung war, hatte Pia keine Ahnung mehr, warum sie sich dazu hatte hinreißen lassen. Sie kannte diesen Mann überhaupt nicht und der hatte jetzt ihre Nummer. Sicherlich konnte er problemlos herausfinden, wo sie wohnte. Womöglich war er ein Hacker und würde sie jetzt über das Smartphone ausspionieren und irgendwann beginnen, sie zu stalken. Sein Interesse an dem Bild war sicher nur ein Vorwand gewesen. Wie bescheuert kann man sein? Sie schob das Bild hinter den Schreibtisch und wünschte sich, die Leinwand wäre noch immer unberührt und weiß und sie könnte den heutigen Tag einfach aus ihrer Biografie streichen.

      2. Farbtiger

      Als Pia am nächsten Morgen mit leichten Kopfschmerzen aufwachte, war sie noch immer schlechtlaunig. Daher beschloss sie als erste gute Tat des Tages, der Uni so fern wie möglich zu bleiben, Weltbewegendes würde in den letzten zwei Wochen vor den Semesterferien ohnehin nicht mehr geschehen. Unter der Dusche verharrte sie eine Weile unbeweglich mit geschlossenen Augen und genoss das beruhigende Fließen des warmen Wassers. Dann drängte sich ihr wieder der vergangene Tag in den Sinn. Sie versuchte die Situation zu analysieren und sich mit dem Gedanken abzufinden, dass sie es gründlich vermasselt hatte. Die Katze hatte daran überhaupt keine Schuld, sie, Pia, hatte das unvermeidliche Stillleben von Woche zu Woche geschoben, über das gesamte Semester hinweg. Dieses Desaster geschah ihr ganz recht, es war ihre Verantwortung, es hätte problemlos und ganz entspannt laufen können.

      Schon bevor sie sich Frühstück machte, öffnete Pia die Tür zur Dachterrasse, es war Bilderbuchwetter. Als sie sich mit einem Seufzer am Tisch niederließ, fiel ihr Blick wie immer nach draußen, über die Dächer der alten Wohnblocks. Und da saß sie wieder auf dem Nachbardach, die kleine, weiße, nein, die grellbunte Katze. Sie machte einen apathischen Eindruck, das Fell war durch die Farbe völlig verklebt. Pia ließ die Tasse sinken und trat auf die Terrasse. Auch wenn das Tier vorher schon kränklich und hager ausgesehen hatte, so war der jetzige Zustand wohl der Tatsache geschuldet, dass sich die Mieze in der letzten Nacht künstlerisch völlig verausgabt hatte. Da musste sie sich jetzt kümmern, es waren schließlich ihre Farben, die waschecht im Fell des Tieres klebten. Die Mieze ließ sich nicht anlocken und gab nur ein jämmerliches Maunzen von sich. Das Nachbardach grenzte beinahe übereck an ihre Dachterrasse, es gab einen Spalt, der kaum einen Meter breit war, aber darunter gähnte ein Abgrund, der vier Stockwerke hinunterreichte. Da würde sie auf keinen Fall drüber steigen, zu solch einem Stunt fehlten ihr die Nerven. Pia stellte ein Schälchen mit Kondensmilch auf, vielleicht würde die Katze sich dadurch anlocken lassen. Sie war schließlich auch zuvor schon auf ihre Dachterrasse gelangt.

      Geschlagene zwei Stunden später saß das Tier noch immer an der gleichen Stelle. Selbst von weitem konnte Pia erkennen, wie der kleine Körper zitterte. Ihr fiel nur Dominik ein, der sicherlich mit einem großen Ausfallschritt auf das Nachbardach gelangen konnte, ganz ohne Anstrengung, oder mit einem kleinen Sprung. Sie würde ihn anrufen, und zwar sofort. Im Moment dieses Gedankens klingelte ihr Smartphone, sicher einer aus der Clique. Pia achtete gar nicht auf die Nummer im Display und nahm das Gespräch an.

      „Hier ist Keno, wir kennen uns aus der U-Bahn.“

      Kennen? Ohne nachzudenken schoss es aus ihr heraus: „Ich hab hier einen Notfall. Ich muss sofort auflegen.“

      „Kann ich helfen?“ Seine Stimme klang so besorgt, als würde er für eine kitschige Schmonzette vorsprechen.

      „Nein.“

      „Dann melde ich mich später nochmal, okay?“

      Sie drückte ihn weg, ohne noch etwas zu sagen. Blödmann! Erst die billige Anmache in der U-Bahn und dann ihr Handy blockieren.

      Dominik erreichte sie nicht, stattdessen Lennie beim dritten Versuch. Die zwei waren oft zusammen unterwegs und wohnten im gleichen Block.

      „Ich bin grad in der Umkleide, Dominik und ich waren schwimmen. Was gibt’s denn?“

      „Bei mir sitzt ´ne Katze auf dem Nachbardach, die hat sich mit meiner Farbe versaut und ist total verklebt.“

      „Wem gehört die denn?“

      „Keine Ahnung. Ich glaub, sie ist ein Streuner“, mutmaßte Pia knapp.

      „Dann lass sie da doch einfach sitzen.“ Hilfsbereitschaft klang anders.


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