Pikatzo. Rita Janaczek
sie auch einen kurzen Blick in die Box, hin und wieder lockte sie den Kater mit einem Leckerli an das Türchen. Noch ein paar Tage konnte sie den Sommer genießen, danach musste sie leider die Semesterferien noch für eine schriftliche Seminararbeit nutzen. Außerdem hatte Pia vor, ihren Vater zu besuchen, zusammen mit Pikatzo. Sie ließ das Buch sinken und schaute eine Weile den Wolken nach, die sich wuchtig und weiß am Horizont auftürmten. Pikatzo miaute gelangweilt, dann sprang er plötzlich auf und begann einen wilden Kampf mit dem alten Handtuch, das sein Gefängnis polsterte. „Komm, wir gehen rein“, entschied Pia. „Dann kannst du dich drinnen austoben.“
Als es am frühen Abend an Pias Tür klingelte, stutzte sie kurz. Es konnte niemand aus der Clique sein. Oder gab es jetzt einen Überraschungsbesuch ihres Vaters? Vielleicht wollte sich auch nur jemand was leihen. Sie hatte schon einiges an Nachbarn „verliehen“, ohne es je wiederzubekommen. Aber das war schon okay. Ein Ei, eine angebrochene Tube Zahnpasta, zwei Heftzwecken, eine halbe Tasse Mehl, eine Briefmarke für einen Standardbrief und noch etliches mehr.
Aber das war es nicht. Vor der Tür stand Keno, und er wollte sich nichts ausleihen.
„Hi!“ sagte er nur und wieder ging dieses freche Grinsen über sein Gesicht.
„Hi“, gab sie irritiert zurück. Keno stand ihr wie angewurzelt gegenüber, die Hände hinter dem Rücken und auch sie selbst harrte bewegungslos aus. Sie fragte sich, was er hier wollte, ein Gedankengang, der bei ihren Freunden nie aufkam. Sie konnte einfach kein vertrautes Gefühl in sich wahrnehmen, sie wusste selbst, dass es auch daran lag, weil sie sich innerlich dagegen sperrte.
„Ich brauche deine Kontonummer.“
Erst glaubte Pia sich verhört zu haben, dann stieg Empörung in ihr auf. Was war denn das für eine Masche? Was ging denn jetzt ab?
„Dein Bild ist verkauft“, holte er sie aus ihren Gedanken.
„Was?“
„Dein Bild, es ist schon weg. Es war nur vier Tage online. Mein Onkel braucht die Bankverbindung. Oder willst du kein Geld?“
Sein Körper wankte leicht in Richtung Tür.
„Komm rein“, kam sie ihm zuvor. „Kaffee? Tee? Ich hab auch Bier da, allerdings nur noch eins.“
Er offenbarte die Flasche Sekt, die er hinter sich verborgen hatte. „Vielleicht sollten wir hiermit anstoßen.“
„Dann müssen wir aus den einfachen Weingläsern trinken, Sektgläser hab ich keine.“
Er zuckte nur amüsiert mit den Schultern, setzte sich ungefragt auf die Couch und machte sich am Sektkorken zu schaffen.
„950 Euro, die Galerie bekommt allerdings zweiunddreißig Prozent.“
„Was?“ Beinahe wäre ihr das Glas aus der Hand gerutscht. Sie glaubte sich verhört zu haben.
„950 Schleifen, Pia. Das ist doch schon mal ein guter Einstand.“
4. Galerie
Von der Fußgängerzone ging es in eine Seitenstraße. Pia war hier schon häufig langgekommen, immer, wenn sie von der Uni noch ins Bistro gegangen waren. Sie kannte natürlich auch die edle Galerie, die an dieser Straße lag, mehr als einmal war sie mit ihrer Clique vor dem Schaufenster stehen geblieben und hatte die modernen Bilder und Skulpturen bewundert. Keno ging neben ihr her und während Pia sicher war, dass es sich unmöglich um diese Galerie handeln konnte, schlenderte er zielstrebig darauf zu. „Galerie Barenhoff?“, fragte sie fassungslos.
Keno nickte. „Ja. Wolf Barenhoff ist mein Onkel.“
Ihre Füße spürten gerade einen Hauch von Mafia, ihr war, als steckten sie in Beton, der sie schlagartig vor dem Eingang zum Halten brachte.
„Willst du nicht mit reinkommen?“ Keno zog eine Augenbraue hoch. „Wäre jetzt schlecht, er will dich unbedingt kennenlernen.“
Pia atmete tief durch und folgte Keno in den exklusiven Laden. Der Boden war mit dunklem Holzparkett belegt, Wände und Decken waren in mattem Weiß gehalten, wurden aber von indirektem Licht mit blassen Farben illuminiert. Auf schlichten Sockeln standen Skulpturen aus Holz, Stein, Bronze und Drahtgeflecht. An den Wänden hingen einige wenige großformatige Bilder. Keno ging voran, sie folgte ihm in einen weiteren Raum, dort waren kleinere Skulpturen auf Ablagen an der Wand ausgestellt, die Bilder in einer Art Regal angeordnet. Auch in diesem Raum blieb viel Luft für das weiße Nichts dazwischen. Pia folgte Keno eine große Wendeltreppe aus Stahl hinauf ins Obergeschoss. Gedanklich hatte sie sich auf einen Mann vorbereitet, der Ähnlichkeit mit Keno hatte, schließlich waren die beiden verwandt. Sicherlich war er groß, dunkelhaarig, schlank und sportlich. Einen korrekt sitzenden, dunklen Anzug setzte sie ebenfalls voraus. Der Mann, der sich hinter dem Chromgestell-Schreibtisch erhob, entsprach nicht wirklich ihren Erwartungen. Er war etwas größer als Keno, dabei aber auffallend hager. Er trug ein Sakko zu T-Shirt und Jeans und hatte die langen hellen Haare im Nacken zusammengebunden. Sein Alter konnte sie nicht wirklich gut einschätzen, dafür gaben auch die vereinzelten weißen Haare kein Indiz. Aber sicherlich ging er auf die vierzig zu, er hatte ein paar feine Fältchen in den Augenwinkeln. Pias Blick sprang zweimal zwischen den beiden Männern hin und her. Wer war das Original, wer die Fälschung?
„Wolf“, stellte Keno sie vor, „das ist Pia.“
Sie reichte dem Mann die Hand und er nahm sie mit einem freundlichen Lächeln, das dann doch leicht an Kenos Grinsen erinnerte. Zumindest die Mimik verriet ein paar gemeinsame Gene. „Freut mich sehr. Sie sind also die Künstlerin, die gemeinsam mit ihrer Katze malt.“
„Na ja“, druckste Pia herum. „Es war ja eher ein Zufall.“
„Kunst und Zufall widersprechen sich nicht zwangsläufig“, entgegnete er heiter. Er bot ihnen einen Platz in der anthrazitfarbenen Sitzgarnitur an und holte Gläser von einem weißen Sideboard, während sie sich setzen. „Was möchten Sie trinken? Kaffee, Sekt, Wasser, Bitter Lemon, O-Saft?“
Pia schaute einen Moment unsicher zu Keno.
„Ich denke, wir sollten uns einen Sekt gönnen“, wartete Wolf Barenhoff die Antwort nicht ab. „Du auch Keno?“
„Klar.“
Als Barenhoff eingegossen hatte, setzte er sich zu ihnen, sie stießen an und sie nahm einen Schluck. Das Zeug perlte schön im Mund und hatte eine leichte, kaum wahrnehmbare Süße.
„Ich wollte gern die Frau kennen lernen, von der Keno so …“
Pia bemerkte sehr wohl, dass es Kenos Blick war, der seinen Onkel innehalten ließ.
„Mein Neffe hat sehr von ihrem künstlerischen Talent geschwärmt. Von dem kleinen Kater natürlich auch. Dass Sie ihn Pikatzo getauft haben, war ein brillanter Schachzug.“
„Es war eine Eingebung“, korrigierte Pia. „Ich hab damit keinen Zweck verfolgt.“
„Ich bin Künstler, Kunstliebhaber, aber ich bin auch Geschäftsmann. Wenn ein Projekt bereits so ausgereift rüberkommt, dass sich ein Bild vom Fleck weg verkauft, dann wäre ich ziemlich dumm, da nicht nachzugreifen.“
„Ich will ehrlich sein. Es war eher ein Zufallsprodukt“, gestand Pia zum zweiten Mal.
„Das Ergebnis war dennoch sehr überzeugend und ich würde gern mehr Ihrer Bilder hier in meiner Galerie anbieten.“
„Es gibt nur das eine.“
„Spricht etwas dagegen, mit der Katze zusammen in eine kreative Phase einzutreten?“, hakte Barenhoff nach.
Pia sah wieder zu Keno herüber, der zuckte mit den Schultern. „Das musst du schon selbst entscheiden.“
Sie sog die Luft hörbar durch die Nase ein. „Ich hätte schon Lust, es zu versuchen. Aber ich kann natürlich nichts versprechen.“
Barenhoff nickte. „Keno hat mir ihre räumlichen Verhältnisse geschildert. Das ist vermutlich zu beengt für das Vorhaben, besonders, wenn der