Das himmlische Banquet. Barbara Allmann

Das himmlische Banquet - Barbara Allmann


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der Rute wieder. „Nein! Nein! Ach bitte, bitte nicht!“, schrie Agathe und schlug wie rasend um sich. Es war ein wilder Kampf zwischen Mutter und Tochter, Agathe riss Mama die Spitzen vom Kleide und trat nach ihr. Aber sie bekam doch ihre Schläge – wie ein ganz kleines Kind. Sie wollte sich totschreien. Mit einer solchen Schmach konnte sie doch nicht mehr leben ...!

      Schmach ist das richtige Wort, befand Valentina, deren Wangen glühten, als sie die Zeilen las. Sie lag bäuchlings auf ihrem Bett, auf dem sie keine unnötigen Polster oder Decken duldete. Nur der kleine, schmuddelige Teddybär durfte bleiben. Sie drückte ihn an eine Wange, drehte sich auf den Rücken und lächelte. Es war gut, den großen Schmerz geteilt zu wissen.

      Die Jahrhundertfrauen

      Das explodierende „Hatschi“, das der Oberst nicht zu unterdrücken suchte, vermochte die gewohnte Stille am Frühstückstisch nur kurz aufzuscheuchen. Schon widmete sich Lily wieder ihrer Semmel, die sie dick mit Butter und Marillen-Marmelade bestrich. Rudolphs Heuschnupfen, der sich alljährlich im Frühjahr einzustellen pflegte, zählte sie zu den absichtlichen Grobheiten ihres Gatten. Vertieft in seine großblättrige Zeitung, hinter der er in regelmäßigen Abständen sein Taschentuch aus der Hosentasche zog, schien der Oberst seine Familie vergessen zu haben. Erst als die dicke Anna, die Gute, mit frischem Kaffee kam, ließ er die Presse sinken. Dabei war ihm nicht entgangen, wie Valentina lustlos an einem halben Butterkipferl kaute, das ihr im Mund aufzuquellen schien. Zittrig rührte sie im schwarzen Kaffee, obwohl sie niemals Zucker nahm. Anna durfte ihr nochmals einschenken.

      Die böhmische Köchin hatte die Fünfzig hinter sich. Ihre treuen grauen Augen waren stets auf das Wohl der Familie Bienen gerichtet, in deren Dienst sie getreten war, als ihr Mann vor zehn Jahren starb. Sie verrichtete ihren Dienst zu aller Zufriedenheit und wurde von Rudolph zum Inventar gezählt, als das er sie auch behandelte. Doch Anna schien sich nichts daraus zu machen. Sie werkte von früh bis spät in der Küche, wo sie täglich drei größere Mahlzeiten und eine Nachmittagsjause zuzubereiten hatte. Dazwischen putzte sie Zimmer und kümmerte sich penibel um die Garderobe der Herrschaften; Aufgaben also, die in guten Häusern die Dienstmädchen verrichteten. Nicht dass der Oberst dazu gezwungen war, am Personal zu sparen. Nein. Er wollte nur nicht noch mehr Frauen um sich haben, und so fiel die gesamte Last auf Anna. Lily vertraute ihr und ließ sie gerne die wichtigsten Einkäufe erledigen. An den vier großen Putztagen im Jahr ließ sie die erwachsene Tochter der Köchin als Verstärkung kommen, um selbst möglichst wenig Hand anlegen zu müssen. Wenn Anna schlechte Tage hatte, was doch regelmäßig vorkam, dann stellte sie sich vor, dass ihr die Villa selbst gehörte, und das half, ihr Engagement zu erneuern. Und so ließ sie weiterhin die Töpfe scheppern, die Gläser klirren, das Besteck beim Silberputzen rasseln. Wenn sie die Teppiche im Garten mit kräftigen Hieben klopfte, flogen die Vögel kreischend aus den Hecken; ansonsten führte Anna eine geräuschlose Existenz.

      An diesem Morgen schenkte sie auch dem Hausherrn Kaffee nach und schielte auf die Zeitung, um etwas von dem Inhalt zu erhaschen, für den sich Oberst Bienen so sehr zu interessieren schien.

      „Das ist der Untergang des Abendlandes!“ Rudolphs Stimme überschlug sich und ließ Anna erschrocken zurückweichen, Lily alarmiert aufblicken und Valentina ihre Tasse absetzen. „Hier steht doch tatsächlich, dass es Frauen in der Monarchie ab sofort gestattet ist, Medizin zu studieren.“ Rudolph faltete die Zeitung und sah dabei seine Frau an. „Was bilden die sich eigentlich ein?“

      „Also ich würde mich bei weitem lieber von einer Frau Doktor untersuchen lassen“, erwiderte Lily, die große Lust verspürte, ihr Geschlecht zu verteidigen.

      „Nur gut, dass du die Wahl nicht hast“, fuhr ihr Rudolf über den Mund und setzte zu einem seiner Monologe an, die in der Familie gefürchtet waren. „Frauen gehören ins Haus, und damit ist der Seziersaal tabu. Ebenso wie Billard- und Raucherzimmer. Heiraten und Kinder, das ist die gott- und kaisergewollte Ordnung, unter der jede Frau am besten gedeiht!“ Das „kaisergewollt“ unterstrich er mit einem energischen Handschlag auf die Tischkante, der das Frühstücksservice erzittern ließ.

      Valentina, die regungslos zugehört hatte, zuckte zusammen, blieb aber nicht versunken, wie es sonst ihre Art bei Tisch war. „Für Waffen sollen sich Damen aber schon interessieren!?“ Mit erhobenem Kopf sah sie ihrem Vater in die Augen, zur Provokation entschlossen. Lily warf ihr einen erstaunten Blick zu, in dem sich Überraschung mischte, als sie in Valentina – wenn auch nur kurz – eine Komplizin sah. Da Anna, der die Szene willkommene Unterhaltung bot, im Zimmer war, begnügte sich Rudolph damit, seine Tochter mit einer seiner düstersten Mienen abzustrafen.

      Das Ziel verleiht die Kraft

      Valentina hatte keine beste Freundin, wenn man darunter ein etwa gleichaltriges Mädchen verstehen will, das man beinahe täglich trifft, mit dem man über alles lachen und weinen und der man seine innigsten Gedanken anvertrauen kann. Wohl kam sie mit ihren Mitschülerinnen gut aus, doch beschränkte sich dieser Kontakt auf die Stunden des Unterrichts. Valentina kam sich deshalb merkwürdig vor, doch nur so lange, als sie sich mit anderen verglich. Wohl fühlte sie sich alleine mit den Büchern, wobei sie alles las, was ihr in die Hände kam; sogar Vaters Militärbände waren darunter, die sie nur ob ihrer Bilder mochte. Bei Uniformen und Dienstgraden kannte sie sich sogar schon aus. In Rudolphs Bibliothek hatte sie auch das voluminöse „Jahrhundert der Chirurgen“ gefunden, das sie innerhalb einer Woche gelesen hatte und nun stolz in das Arbeitszimmer zurückbrachte. Valentina verschlang Lektüre, so wie andere Leute sich heißhungrig ein üppiges Mittagessen einverleibten. An Geburtstagen und Weihnachten schenkten ihr die Eltern immer ein Buch; doch nur Tante Paulina wusste, was Valentina interessierte.

      Wenn Valentina nicht gerade Hausübungen zu erledigen hatte oder zum Klavier- und Malunterricht ging, leistete sie Anna Gesellschaft. In der stets warmen Küche fühlte sie sich geborgen, vorausgesetzt, sie war gerade gut gelüftet worden.

      „Weißt du, Anna? Wenn ich volljährig bin, studiere ich Medizin!“ Valentina saß am wuchtigen langen Küchentisch und knackte Walnüsse, die sie flink von der Schale befreite und der Köchin zuschob. Diese saß am anderen Ende des Tisches mit einer irdenen Schüssel zwischen wallendem Busen und Bauch gepresst und schlug den Kuchenteig mit einem Kochlöffel.

      „Fräulein machen erst die Matura“, böhmakelte sie und dachte nach. „Alles Weitere wird sich schon finden. Vielleicht auch gleich a fesches Mannsbild.“

      „Ich brauche doch keine bessere Hälfte, die mit 40 uralt ist und sich behutsam den Bart streicht“, erwiderte Valentina, die diese bei Mädchen ihres Alters übliche Strategie schon längst erwogen hatte.

      „Ist schon wahr. In dem Alter setzen die meisten Männer plötzlich ganz schnell Bauchfett an“, schmunzelte Anna und dachte an ihren Gatten, der sie eigentlich nur wegen ihrer Kochkünste geheiratet hatte.

      „Und richten sich in einem windstillen Leben ein“, fuhr Valentina empört fort. „Abenteuer, Aufregung und Phantasie kennen die nur aus der Zeitung!“

      Anna ließ vom Kuchenteig ab und suchte Valentinas Augen. „Aber Fräulein! Denken sie nicht an süße Kinder, die das Herz erwärmen, vor allem wenn es das eigene Fleisch und Blut ist?“

      Valentina verzog das Gesicht. „Ich denke dabei mehr an den dicken Bauch, der mich zu Boden zieht. Womöglich jedes Jahr. Allein die Vorstellung ist mir widerlich!“

      „Jessas, Maria und Josef! Versündigen sie sich nicht, mein Fräulein. Leben schenken ist doch die schönste Aufgabe.“

      Valentina senkte die Stirn, als sie merkte, dass sie Anna vor den Kopf gestoßen hatte. „Das mag ja sein. Ich fühle mich einer derartigen Verpflichtung jedenfalls nicht gewachsen“, resümierte Valentina ihre ehelichen Ansichten und überließ der Köchin bereitwillig das letzte Wort, das auch prompt kam.

      „Warten wir ab. Sie sind noch so jung. Und abgesehen davon, müssen Fräulein erst meinen Gugelhupf probieren, mit acht Eiern, viel Butter und Rosinen!“

      Valentina seufzte und strich mit einer


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