In den Drachenbergen. Wolf Awert

In den Drachenbergen - Wolf Awert


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an einen Händler für Artefakte verkaufte und sich von dem Geld eine teure, kleine Wohnung leistete. In einem der Häuser von König Nachtnebel und Meister Treibgut. Falls diese Namen Euch etwas sagen. Die letzte Nachricht, die ich bekam, betraf ihre Verhaftung durch diesen Immergrün.“

      Die beiden Frauen warfen sich einen langen Blick zu und starrten dann regungslos vor sich hin. Steindorn wartete geduldig. Über was für eine Fähigkeit verfügten die Frauen? Es gab keine Elfenmagie, die so etwas ermöglichte.

      „Immergrün hat Tama festgesetzt? Hast du das gewusst?“, fragte Blauer Schlafmohn mit etwas Sorge in ihrer Stimme.

      „Nein, aber da sie wieder in Freiheit ist, scheint nichts Gefährliches geschehen zu sein. Der Gestaltwandler war ein Riesenaffe nach allem, was ich in Erfahrung bringen konnte. Tama wurde später von einer Raubkatze beschützt. Meinst du, sie ist eine von uns?“

      „Wenn du recht hast, gibt es nicht viele Möglichkeiten.“

      „Wir müssen sie zu fassen kriegen. Weißt du, wo sie steckt?“

      „Wenn du es nicht weißt ... Ich fürchte, wir müssen warten, bis sie irgendwo wieder auftaucht. Aber dann sollten wir schnell sein.“

      „Wir müssen entscheiden, was wir mit Euch machen“, sagte Blauer Dreisporn so unvermittelt, dass Steindorn zusammenzuckte. „In NA-R hattet Ihr in einer kleinen, freundlichen Stadt einen Feind. Jetzt seid Ihr an einen Ort gekommen, an dem die Situation zur Zeit etwas …“ Blauer Dreisporn gab sich Mühe, das passende Wort zu finden, fand es nicht und blieb im Ungefähren. „… schwierig ist, möchte ich sagen. Dass ich bisher nicht darüber gesprochen habe, mögt Ihr mir verzeihen. Ihr werdet schon bald selbst herausfinden, aus welchen Richtungen in Centrell die Winde wehen.“

      Steindorn unterdrückte einen Fluch. „Ich hatte gehofft in einer großen Stadt nur einer von vielen zu sein.“

      „In Centrell ist nicht geklärt, wer in Zukunft das Sagen hat, und – schlimmer noch – was und wohin es die Stadtelfen treibt. Es ist deshalb für Euch besser, unser Haus so früh wie möglich wieder zu verlassen und einen Platz unter einem der großen Bäume zu finden. Das Haus Blau ist eher ein hartnäckiges Buschwerk als ein Baum. Genießt also die letzte Nacht in unserem Haus.

      Und das hier …“, sagte sie und zog ein Papier aus einer ihrer vielen Taschen heraus, „ist eine Liste der mächtigen Häuser in Centrell. Es sind deren acht. Früher waren es mal weit über dreißig. Dann sank ihre Zahl recht schnell auf vierundzwanzig. Da es lange Zeit bei dieser Zahl blieb, etablierte man einen Rat der Vierundzwanzig, in dem jede Familie eine Stimme hatte. Das Haus Blau gehörte damals zu den kleinsten Häusern. Heute sind es nur noch acht Familien, von denen jede drei Stimmen im Rat hat. Ihr seht, der Rat der Vierundzwanzig existiert immer noch. Und immer noch ist das Haus Blau das kleinste Haus. Aber es gibt uns noch, und nur allein das und unsere drei Stimmen zählen.

      Mein Vorschlag ist, dass Ihr morgen beginnt, jedes dieser Häuser aufzusuchen und um Unterstützung zu bitten. Fragt jedes Mal nach dem Familienältesten. Da Ihr nicht um Geld bittet, dürfte Euch zumindest die Neugier gewiss sein. Beginnt mit dem Haus Barion. Es ist das größte und wird von Barionstab angeführt. Der Familienälteste trägt immer denselben oder einen ähnlichen Namen wie das Haus, dem er vorsteht. So wie auch unser Familienvorstand immer Blaublatt heißt, auch wenn bei dem Namen unseres Hauses das -blatt im Verlauf der Zeit verlorengegangen ist. Barionstab leitet die mit Abstand mächtigste Familie in Centrell, weil sie einige Häuser mit einschließt, die von Verwandten geleitet werden. Früher einmal waren das eigenständige Häuser. Wenn Ihr auf jemanden mit Namen Felsbirne, Stechapfel, Gelbe Zwetschge oder Ähnliches stößt, seid sicher, er ist ein Vasall von Barionstab.

      Das Haus der Vier Winde ist das zweitgrößte Haus und wird zurzeit von drei Brüdern geführt, weil der Stuhl von Südwind nicht besetzt ist. Dann gibt es noch drei mittelgroße Familien, und zwei kleinere, von denen wir eine sind. Ich empfehle Euch, bei allen Antworten, die Ihr gebt, bei der Wahrheit zu bleiben. Wenn Euch jemand fragt, wo Ihr die Nacht verbracht habt, sagt ruhig, dass Ihr bei uns wart, denn es ist wahrscheinlich, dass sie das bereits wissen. Den Rest überlasse ich Euch. Und noch etwas. Kommt nicht mehr zu uns zurück, es sei denn in einem Augenblick größter Not. Dann gewähren wir Euch Zuflucht und bringen Euch aus der Stadt heraus. Ich lasse niemandem, der mir von Altwi empfohlen wird, in einem Sturm allein. Wir bleiben weiterhin in Kontakt, aber ich bin es, die Euch finden wird. Also sucht nicht nach mir. Und nun viel Glück, Steindorn, viel, viel Glück.“

      „Auch von mir viel Glück, Steindorn“, sagte Blauer Schlafmohn. „Ihr seid ein äußerst fähiger und geschickter Mann, der schon viele kluge Entscheidungen getroffen hat. Centrell könnte trotz aller Gefahren der richtige Ort für Euch sein. Ich bin sicher, wir werden uns wiedersehen. Und seid vorsichtig, wem Ihr vertraut.“

      Steindorn bedankte sich für die guten Wünsche. Dann führte ihn jemand in sein Zimmer zurück.

      Unterwegs überlegte er, was Blauer Schlafmohn gemeint haben konnte. Woher wollte sie wissen, welche Entscheidungen er getroffen hatte und ob er geschickt war? Solche Worte schenkte man nur jemandem, den man gut und lange kannte. Und da war es wieder. Dieses Gefühl, sie sehr gut zu kennen. Aber wenn, dann unter einem anderen Namen als ausgerechnet Schlafmohn. Über seine Zukunft macht er sich jetzt keine Illusionen mehr. Von nun an arbeitete er für diese beiden Frauen im Haus Blau. Eventuell die Seiten zu wechseln in einem Spiel, von dem er noch gar nichts verstand, wäre ganz bestimmt keine jener klugen Entscheidungen, für die er gerade noch so gelobt worden war. Oh ja, er hatte die Warnung gut verstanden.

      Am nächsten Morgen fand er ein gutes Frühstück vor und daneben einige kleinere Goldmünzen, die er einsteckte. Er verließ das Haus, ohne Abschied zu nehmen. Wo dieser Barionstab residierte, wusste er nicht. Aber das herauszufinden, konnte ja nicht schwierig sein.

      Eine wild wuchernde Ranke umgab einen Stab. Auf Steindorn wirkte das Relief so, als wollte die Ranke den Stab schützen, und das Relief die Tür, über der es angebracht war. Aber wohin führte die Tür?

      Er hatte nach dem Haus Barion gesucht, man hatte ihm den Weg gewiesen, und nun stand er vor einem Gebäude, das einen ganzen Block ausmachte und durch viele Türen betreten werden konnte. Jede Tür sah anders aus, aber so etwas wie einen Haupteingang, konnte er nicht entdecken. Entweder war das ein Spielchen, das half, Eingeweihte vom gemeinen Volk zu unterscheiden, oder es war völlig egal, an welche Tür er klopfte. Er entschied sich für die zweite Deutung, hob den Türklopfer an und ließ ihn auf dem Metallschild aufschlagen. Der Ton war tief und wohlklingend. Die Tür öffnete sich so rasch, dass man glauben könnte, man hätte ihn erwartet. Er stellte sich vor und fragte nach Barionstab. Es hätte ihn nicht verwundert, gleich wieder fortgeschickt zu werden, aber er wurde eingelassen, ihm wurden Erfrischungen angeboten, wie man sie wohl kaum einem hergelaufenen Bettler anbieten würde, und nach kurzer Wartezeit wurde er von einem älteren Elfen begrüßt.

      „Was kann ich für Euch tun?“

      Diese Frage überraschte Steindorn, weil sie viel zu früh kam, auf jede Höflichkeit verzichtete und auch alles umging, das benötigt wurde, um erst einmal eine Atmosphäre des oberflächlichen Vertrauens zu schaffen. Auf diese Frage konnte er wohl kaum mit einem Forderungskatalog antworten. Er beschloss, sie nicht zu beachten und seinerseits eine Frage zu stellen. Eine harmlose Frage, die niemandem schadete.

      „Mein Name ist Steindorn“, sagte er. „Habe ich die Ehre Barionstab gegenüberzustehen, dem Herrn des Hauses Barion?“

      Der Elf nickte nur kurz.

      „Ich bin einen weiten Weg gegangen, um mir in Centrell eine neue Existenz aufzubauen. Keine Stadt gleicht der anderen, und gerade in der größten und wichtigsten Stadt herrschen immer etwas andere Gesetze als im Rest des Landes. Ich wäre daher dankbar für ein paar Empfehlungen, Hinweise aber auch Warnungen, die mir helfen, auf festem Untergrund zu bleiben.“

      „Wie soll ich Euch die geben können, wenn ich nicht weiß, was Ihr hier erwartet. Oder seid Ihr gekommen, um für mich zu arbeiten?“

      Wieder so eine direkte Frage, die er weder mit ‚Ja‘ noch mit


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