Respekt. Mauritius Wilde
eine multikulturelle Gesellschaft wünschen, in der Intoleranz keinen Platz hat. Eine Gesellschaft, in der die verschiedenen Kulturen und Milieus respektvoll beieinander leben. Er ist die Hoffnung für all die, die sich um Gewaltprävention kümmern. Für jene, die mit hilfsbedürftigen jungen Menschen und Erwachsenen arbeiten, die Schwierigkeiten im Umgang mit ihren Aggressionen haben. Für Menschen, die straffällig geworden sind und um Reintegration in unsere Gesellschaft ringen.
Respekt ist ein zentrales Ziel für alle Lehrenden und Erziehenden vom Kindergarten bis zu den weiterführenden Schulen und spielt in der Werte- und Verhaltenserziehung eine große Rolle. Er wird von den Tierschützern gegenüber den Tieren reklamiert. Man erwartet ihn von den Religionen, die sich in einer modernen Zivilgesellschaft bewegen. Respektvoll sollen sie miteinander und mit allen Menschen umgehen. Er spielt im Sport eine Rolle: Das betrifft die sportliche Fairness selbst wie das Verhalten der Fans untereinander.
Respekt beschäftigt die Wirtschaftswissenschaftler und die Sozialpsychologen. Er hat Bedeutung bei den Therapeuten, in systemischen Aufstellungen genauso wie in der Ehe- und Paarbegleitung. Er ist ein beliebter Begriff in der Hip-Hop-Szene. Das ist besonders erstaunlich: Trotz ihrer oft überbordenden verbalen Gewaltinhalte steht bei der Hip-Hop-Kultur der Respekt hoch im Kurs, wird unzählige Male besungen und »gerappt«. Respekt gibt den von der Gesellschaft Ausgeschlossenen ihre Würde wieder: »Respekt geht an die, die auch dich respektieren, / doch ein Text ist viel zu kurz, um es genau zu definieren / und erklären, darum ist dies nur ein Versuch, / zu komplex ist dieses Thema, da reicht nicht einmal ein Buch. (...) / Respekt geht an die, die auch dich respektieren. / Heimat ist ein Ort, wo dich Menschen akzeptieren. / Integrieren heißt sicherlich nicht Anpassungspflicht, / wichtig ist nicht Herkunft, / sondern der Mensch an sich.« (Texta – Globaler Respekt, Album: Gediegen, 1998)
Dass »Respekt« quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und Generationen geschätzt wird, ist die große Chance dieses Wertes. Dass jungen Menschen »Respekt« wichtig ist, weist in die Zukunft. Respekt ist ein moderner Wert. Er bekommt seinen besonderen Schwung mit der Aufklärung und Immanuel Kant, der »Achtung« definiert als »ein vom reinen Vernunftbegriff des Sittengesetzes selbst bewirktes Gefühl«, ein »moralisches Gefühl«, das der Person wesentlich ist und ihre Würde begründet.
Nach der Katastrophe der Weltkriege des letzten Jahrhunderts nehmen unsere Väter und Mütter den Respekt als ein Grundrecht in die Verfassung auf, und zwar als Artikel Nummer eins: »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.« Das Problem ist jedoch: Alle reden von Respekt. Alle wollen ihn haben – doch nicht jeder will ihn geben ...
»Respekt ist unsere Aufgabe / und nicht ’ne falsche Maske, die ich aufhabe«, sangen die Fantastischen Vier (Respekt, Album: Jazzkantine, 1994). Wie kann es aber gelingen, dass aus einer Maske gelebte Realität wird? Wie können wir die Kunst der gegenseitigen Wertschätzung erlernen? Was heißt Respekt im Alltag ganz konkret? Diese und die folgenden Fragen möchte ich gerne näher in den Blick nehmen: Was ist Respekt? Und wie geht er? Woher kommt er? Wie verschaffe ich mir Respekt? Was tue ich, wenn ich nicht respektiert werde? Wie können wir eine Kultur der Achtsamkeit schaffen? Kann ich Respekt einüben? Was bedeutet Respekt für Liebende, was für das Verhältnis der Generationen? Welche Rolle spielt er in Schule und Erziehung, welche in den Betrieben? Und wie respektiere ich Gegner und Feinde?
Das Märchen »Der Kleine Prinz« wird uns helfen, auf die Spur zu kommen. Die biblische und christliche Tradition führt uns tiefer in das Thema. Besonders der deutsche Mystiker Meister Eckhart hat wie kaum ein anderer präzise den Hintergrund dessen beschrieben, was den Respekt eigentlich ausmacht. Wie wir Mönche im alltäglichen Klosterleben versuchen, den Respekt einzuüben, möchte ich auch gerne erzählen.
»Zu komplex ist dieses Thema, da reicht nicht einmal ein Buch«. Ich will es dennoch versuchen. Mein Wunsch ist, dass Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sich ermutigt fühlen, Respekt zu erwarten und Respekt auch zu geben. Und dass sie Freude bekommen an der Kunst der gegenseitigen Wertschätzung.
1. Wenn wir den Respekt vermissen
Nicht immer merken wir sofort, wenn der Respekt fehlt. Ich gehe aus einem Gespräch. Vielleicht bin ich nett behandelt worden, aber es bleibt ein fader Nachgeschmack. Im Nachhinein spüre ich: Ich bin nicht geachtet worden, subtil, aber spürbar.
Der Respekt ist ein scheues Wesen. Er ist empfindlich und zart. Eigentlich ist er stark. Das werden wir noch sehen. Aber zunächst quetscht er sich nicht dazwischen, drängt sich nicht auf. Er will selbst respektiert werden, damit er in Erscheinung treten kann.
Oft schleicht sich die Respektlosigkeit also leise herein. Manchmal aber tritt sie auch klar und offenkundig zutage. Jemand spricht schlecht von mir, macht mich runter. Er will damit erreichen, dass er selbst in einem besseren Licht dasteht. Respektlos. Wenn Sie einmal beginnen, bewusst wahrzunehmen, wann Sie den Respekt vermissen, werden Ihnen zahlreiche Situationen begegnen. Bevorzugte Areale für fehlenden Respekt sind überall dort zu finden, wo Gegensätze aufeinanderprallen. So zum Beispiel zwischen arm und reich, ungebildet und intellektuell, alt und jung, Fremder und Einheimischer, auch Mann und Frau.
Die Respektlosigkeit »funktioniert« in beide Richtungen. Bei den ärmeren zum Beispiel kann es so gehen: Sie sind voller Vorurteile und Sozialneid. Sie gehen davon aus, dass der Reiche sein Geld überhaupt nicht redlich verdient haben kann. Vielleicht hegen sie dabei die Erwartung, dass die Reichen sogleich hergehen und ihren ganzen Besitz mit den Bedürftigen teilen. Es gibt aber auch die Respektlosigkeit in die andere Richtung: Die Reicheren gehen davon aus, dass die Armen an ihrer Situation auf jeden Fall selbst schuld sind. »Sie sind halt faul. Sie sind Schmarotzer. Sie liegen der Allgemeinheit auf der Tasche.« Ein einfacher Tausch der Rollen würde beiden Seiten ermöglichen, sich zunächst einmal mit Respekt zu begegnen. Würden die ärmeren in die Schuhe der Reicheren schlüpfen, sie würden die Sorgen und ängste erleben, die die Dynamik des Besitzes mit sich bringt, die Armut, die dem Reichtum innewohnt. Der Reiche wiederum wäre geheilt, wenn er einmal wirklich wahrnehmen würde, wie es sich lebt mit wenig Geld, wie gering die Freiheit dann sein kann.
ähnliche Gräben findet man, wenn man den Bereich des Wissens betrachtet. Wissen ist Macht, die Informations- und Wissensgesellschaft legt auf Bildung und Intellektualität hohen Wert. Wissende neigen zu Arroganz und Hochnäsigkeit gegenüber Unwissenden. Sie haben – zumindest intellektuell – den überblick und glauben, damit auch recht zu haben. Was sie aber vielleicht nicht haben, ist die Bildung des Herzens, die Weisheit. Umgekehrt gibt es ebenso die Verachtung der einfachen Leute gegenüber »den Studierten«. Studiertsein gilt ihnen als ein Privileg der Reicheren. Studieren und mit dem Kopf arbeiten ist für sie überhaupt keine richtige Arbeit. Außerdem sind für sie die Intellektuellen weltfremd.
Oder man denke an die Differenzen, die zwischen Alt und Jung bestehen können: Manche Jüngeren haben den Verdacht, dass sie von den Alten um ihre Zukunft betrogen werden. Sie glauben, dass sie nur Probleme von ihnen geerbt haben und erben werden. Sie behandeln die älteren in der Arbeitswelt respektlos. Sie versuchen, sie wegzuschieben. Ihre Erfahrung zählt für sie nichts. Umgekehrt trauen die älteren den Jüngeren nicht zu, die Zukunft zu meistern. Sie halten sie für schwächer oder schlechter, als sie selbst es einmal waren. Eine Missachtung steckt auch in der Aussage: »Ich bin froh, dass ich nicht mehr jung bin. In der heutigen Zeit möchte ich nicht mehr jung sein.«
Auch bei Frauen und Männern tritt die mangelnde Achtung gegenüber dem anderen Geschlecht nicht selten offen zutage. Das geschieht zum Beispiel dann, wenn Männer das Gefühl haben, Frauen seien etwas, das man besitzen könne. Oder wenn man bei Frauen spüren kann, dass sie die Männer eigentlich für überflüssig halten.
Immer also, wenn die Unterschiede, die es zwischen uns Menschen gibt, nicht geachtet werden, dann blüht die Respektlosigkeit. Immer, wenn Menschen keinen Abstand zu sich selbst haben und den Perspektivenwechsel nicht schaffen. Der Respekt kann neu geboren werden, wenn man die Unterschiede achtet.
Wenn man sich einmal richtig respektlos behandelt fühlt, dann empfehle ich zur Entgiftung, Marie-France Hirigoyen zu lesen. Die Psychoanalytikerin und Viktimologin beschreibt in ihrem Buch »Die Masken der Niedertracht« verschiedenste Techniken der Respektlosigkeit und Formen des Missbrauchs.