Respekt. Mauritius Wilde
ist zum Beispiel die Respektlosigkeit dessen, der auf eine Frage von mir einfach nicht antwortet, nicht reagiert, so tut, als existiere ich gar nicht. Das heißt also, man lässt mich meine »Nichtigkeit« spüren – ohne dass man sich überhaupt um Worte bemüht.
Allerdings muss man dieses Buch auch irgendwann wieder weglegen, weil man sonst nur noch Schlechtes sieht in dieser Welt, an allen Ecken. Es ist von Nutzen, die Möglichkeiten des Teufels kennengelernt zu haben, besonders auch seine subtilen Methoden. Mit dem Teufel aber kann man den Teufel nicht austreiben. Dazu hilft nur das Gute, das Positive.
Respekt heißt: Achte die Unterschiede!
Und bewerte sie nicht.
Das Wort »Respekt« hat seinen Ursprung im lateinischen Wort respicere. Es bedeutet »zurückschauen«, »beachten«. Eine mögliche übersetzung von Respekt ist also »Achtung«. Alle Formen der fehlenden Achtung sind Respektlosigkeiten: Eine milde, aber bereits destruktive Form ist die Achtlosigkeit. Jemand wirft achtlos Abfall weg, man übergeht mich bei der Begrüßung in einer Runde, man merkt sich zum wiederholten Mal nicht meinen Namen. Achtlosigkeit ist ärgerlich.
Missachtung geht einen Schritt weiter: Sie ist nicht nur die Folge einer gewissen Nachlässigkeit oder Unaufmerksamkeit, in ihr kommt eine Prise Aktivität hinzu: Jemand lässt mich bewusst aus. Jemand übergeht mich und meine Kompetenz oder Erfahrung absichtlich. Das hat bereits etwas mit Boshaftigkeit zu tun.
Die schärfste Form schließlich ist die Verachtung. Sie spricht dem anderen alles Gute und jedes Recht ab. Verachtung ist eine echte Form der Aggression. Sie geschieht in Worten oder Taten. Sie achtet nicht die Würde des anderen, sondern leugnet sie.
Die Spirale der Respektlosigkeit:
• Achtlosigkeit
• Missachtung
• Verachtung
Diese Unterschiede zu sehen hilft, das Gefühl, respektlos behandelt worden zu sein, einzuordnen. Wenn jemand uns gegenüber achtlos ist, sollten wir das nicht als »Verachtung« überbewerten. Damit geben wir der Situation mehr Bedeutung, als ihr gebührt. Eine Achtlosigkeit kann ich von mir schütteln wie den Regen vom Regenmantel. Sie kann jedem einmal passieren. Auch mir. Ein achtsamer Mensch zu sein oder zu werden ist eine hohe Kunst, zu der nicht jeder andauernd in der Lage ist.
Missachtung hingegen verlangt von mir, dass ich mich aktiv schütze. Dass ich mich abgrenze. Oder interveniere. Sie kommt seltener vor, aber sie kommt natürlich vor. Missachtung ist eine Gemeinheit, die ich nicht mehr so leicht abschütteln kann. Als Erstes hilft mir dann, dass ich die Achtung vor mir selbst wiedergewinne und so zurück ins Handeln komme.
Verachtung kommt – Gott sei Dank – selten vor. Viele Achtlosigkeiten können zur Missachtung führen. Dauernde Missachtung zur Verachtung. Insofern ist es sinnvoll, den Anfängen zu wehren und auf die Achtsamkeit zu achten. Die Nationalsozialisten haben die Juden verachtet, doch mit kleinen Missachtungen hat die Katastrophe begonnen. Gegen Verachtung hilft nur energische Abgrenzung, sich Hilfe holen, sich verbünden, zum eigenen Wert unbedingt stehen.
2. Mich selbst respektieren
Es gibt Menschen, die sind so gesund und zufrieden, dass sie dieses Kapitel nicht zu lesen brauchen. Sie haben ein gesundes Selbstbewusstsein und kein Problem mit dem Respekt gegenüber sich selbst. Es gibt aber auch viele, denen das nicht geschenkt ist. Es sind vor allem solche, die schon einmal Respektlosigkeit oder Missachtung erfahren haben. Für sie ist wichtig, dass sie zuallererst sich selbst mit Respekt begegnen.
Das gilt überhaupt für alle Werte. Bevor ich sie anderen entgegenbringen kann, sollte ich sie auf mich selbst anwenden. Mich selbst lieben, um andere lieben zu können, mir selbst gerecht werden, um andere gerecht zu behandeln, geduldig mit mir selbst sein, um für andere Geduld zu haben.
Wenn ich mich in einer Situation oder einem Gefühl der Missachtung wiederfinde, ist ein erster, hilfreicher Schritt, mit mir selbst respektvoll umzugehen.
»Mein Sohn, meine Tochter, in Demut ehre dich selbst.« (Jesus Sirach 10,28)
Respekt hilft gegen Respektlosigkeit. Wenn mich jemand abwertet: »Du bist hässlich«, dann ist es wichtig, darauf zu schauen, dass ich doch schön bin. Ich darf mich vor meiner eigenen Schönheit verneigen. Wenn jemand meint, mit mir könne man nicht reden, dann darf ich respektvoll darauf schauen, wie oft ich schon den Faden der Kommunikation aufgegriffen habe. Wenn jemand meine Leistung nicht sieht oder mein Engagement nicht anerkennt, dann sollte ich der Erste sein, der meine Leistung würdigt und mein Engagement wahrnimmt.
Das Schädliche der Respektlosigkeit liegt darin, dass ich durch die Missachtung, die mir vom anderen widerfährt, meinen eigenen Wert und meine eigenen Fähigkeiten nicht mehr richtig einzuschätzen weiß – den Respekt vor mir selbst verliere. Dass ich selbst aufhöre, mich zu lieben, dass ich mir selbst nicht mehr vertraue. Daher ist es so wichtig, sich selbst diese Achtung zu geben. Wie kann ich das tun? Es ist oft nicht ausreichend, mir das selbst nur zu denken oder zu sagen, ich muss es erfahren. Daher kann ich für mich die Grundgebärde des Respekts nutzen, die Verneigung.
• Stell dir vor Augen, was deinem Gefühl nach zu wenig an dir respektiert wird.
• Stell dich innerlich dieser deiner Eigenschaft gegenüber. – Dann verneige dich
vor dieser Eigenschaft!
• Verneige dich vor dir selbst, so wie du bist.
Du wirst dabei spüren, dass auch du schön bist, auf deine Weise. Du wirst merken, dass deine Leistung, dein Engagement gut ist. Wenn alles auch noch zu verbessern ist, gibt es da dennoch genug Gutes an dir, das zu würdigen ist.
Menschen, die sich selbst nicht respektieren, werden schnell Opfer anderer. Sie bieten sich geradezu an, ausgeschlossen, übergangen oder missbraucht zu werden. Der beste Schutz dagegen ist: Verneige dich vor dir selbst! Erweise dir selbst den Respekt! Wenn es andere nicht tun, dann tu du es wenigstens selbst.
Oft hilft auch, mit jemandem zu sprechen, von dem du weißt, dass er dich respektiert. Das ist dann wie Balsam für die Seele. Man spürt sich selbst wieder und weiß, dass man im Grunde o.k. ist. Missachtung ist immer auch eine Verletzung der Seele, die einer Heilung bedarf. Bei einem Erwachsenen heilt eine solche Wunde schnell. Falls ich die Wunde oder das Trauma in der Kindheit oder Jugend erlebt habe und der andere sozusagen in die alte Kerbe haut, dann braucht es mehr, um eine Heilung zu erreichen.
Es gibt noch andere kleine Heilmittel. Wenn du missachtet wurdest, dann ziehe dich schön an. Lass den Kopf nicht hängen. Wasche dich, mach dich schön, schminke dich oder leg ein Parfüm auf. Geh zum Friseur und lass dir eine schöne Frisur machen. Koch dir etwas Gutes und iss etwas Gutes. So stellst du den Respekt vor dir wieder her. Der Respekt, den du dir selbst erweisen kannst, ist wie eine Burg, deren Mauern dich umgeben. Sie macht dich stark und schützt dich. Und sie macht dich wieder ruhig, lässt dich das Leben wieder spüren.
Sich selbst zu respektieren bedeutet, sich so zu akzeptieren, wie man ist. Ich muss nicht alles gut an mir finden. Und trotzdem soll ich mich respektieren, die eigenen Stärken genauso wie die Schwächen. Eigenartig, dass man manchmal nicht einmal die eigenen Stärken würdigt. Besonders schöne Menschen beispielsweise finden sich oft selbst gar nicht so schön. Besonders sportliche Menschen halten sich für nicht sportlich genug. Es ist sinnvoll, einmal eine Liste anzufertigen, in der ich alle Stärken festhalte, die ich an mir sehe. Ihnen soll ich mit Respekt begegnen. Sie sind mir geschenkt, für mich und für andere. Ebenso aber darf ich auch meine Schwächen respektieren. Die Schwächen sind es, auf denen von mir selbst oder von anderen besonders herumgehackt wird. Sie brauchen unseren Respekt am nötigsten. Der erste Johannesbrief der Bibel hat für diese Situation ein besonders ermutigendes Wort: »Klagt uns unser Herz auch an: Gott ist größer als unser Herz« (vgl.
1 Johannes 3,20).
Respekt bedeutet, von mir selbst Abstand zu nehmen und einmal aus einer größeren Perspektive zu schauen. Gottes Herz ist größer als unser Herz. Er ist barmherziger, als wir es oft selbst mit uns sind. Er beurteilt die Dinge anders. Eine Auffassung der Mönche lautet, der Mönch solle als Erstes unterlassen zu urteilen, andere und sich selbst