Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik. Arthur Rosenberg

Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik - Arthur Rosenberg


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Gegensätze wegschwemmen« Als die Ernüchterung kam, sah man selbstverständlich, daß es auch im Kriege Arme und Reiche gab und daß die preußisch-deutschen Behörden von ihrem Autoritätsgefühl nichts eingebüßt hatten. Die militärischen Vorgesetzten und die Zivilbehörden waren wahrlich im Kriege im Verhältnis zu den breiten Volksschichten nicht schlechter als im Frieden, aber das Kriegserlebnis hatte den Massen eine neue An des Sehens gegeben, die alles viel schwerer empfand als früher5. So war schon an sich, etwa vom ersten Kriegswinter an, der Gegensatz zwischen der sozialdemokratischen Arbeiterschaft und der herrschenden aristokratischindustriellen Schicht in Deutschland nicht milder, sondern schärfer als im Frieden.

      Dazu kamen in den Jahren 1915/16 die immer stärkeren wirtschaftlichen Auswirkungen der Blockade. Die Nahrungsmittel wurden so knapp, daß im steigenden Maße die Zwangswirtschaft an Stelle des freien Lebensmittelhandels trat. Für die breite Masse der städtischen Bevölkerung kam die Hungerzeit mit ihren Kohlrüben und dem Polonäsestehen vor den Läden. Trotz der gestiegenen Löhne, besonders der Munitionsarbeiter, konnte die Masse der Lohnempfänger sich nicht mehr satt essen. Daneben beobachtete man, wie der Schleichhandel blühte und wie die wohlhabenden Familien in der Lage waren, sich manches zu gönnen, was dem Armen versagt blieb. So nahm in Deutschland, ungeachtet des Burgfriedens, der Klassenkampf die furchtbarste Form an, die überhaupt möglich ist, nämlich des Kampfes buchstäblich um das Stück Brot. Auch wer die Überzeugung hat, daß der Klassenkampf eine notwendige Erscheinungsform der modernen Gesellschaft ist, kann nur mit Grauen an diese Zeit zurückdenken. Der Kampf ums Dasein ging um 500 Gramm Brot, um 100 Gramm Fett und um ein Ei. Einer machte dem andern diese elenden Grundlagen menschlicher Existenz streitig.

      Hunger und Verbitterung erfüllten die Arbeitermassen. Der Klassengegensatz zum Fabrikanten, zum reichen, mit Kriegsmaterial aller Art handelnden Geschäftsmann und zum kommandierenden Offizierskorps wurde immer stärker. Der Kampf ums Brot drang auch in die Armee ein. In normalen Verhältnissen nahm niemand daran Anstoß, daß die Offiziere besser und abgesondert von der Mannschaft aßen. Als die Lebensmittelnot einsetzte und auch die Mannschaftsverpflegung beeinträchtigte, richteten sich grollende und neidische Blicke auf die Offiziersmesse. Die Erbitterung kam dort weniger auf, wo die gemeinsame Lebensgefahr den Frontoffizier und den U-Boot-Kommandanten mit Soldaten und Matrosen vereinte. Um so tiefer war die Kluft in der Etappe, in den Garnisonen der Heimat und auf den großen Kampfschiffen, die fast den ganzen Krieg hindurch stillagen und wo kasernenartiger Dienstbetrieb bestand. Wer den Ursachen der militärischen Revolution Deutschlands nachspürt, stößt überall auf die Lebensmittelfrage6, auf die Erbitterung der Mannschaften, die glaubten, daß man sie ungerecht in der Verpflegung gegenüber den Offizieren zurücksetzte.

      So bilden sich allmählich in den Jahren 1915/16 zwei Kampffronten. Auf der einen Seite die militärisch, wirtschaftlich und politisch herrschende Schicht, Offiziere, Grundbesitzer, Industrielle, die überall das Kommando hatten und von denen die Masse glaubte, daß sie »besser« lebten, politisch vertreten durch die Konservativen und Nationalliberalen. Auf der anderen Seite die notleidende Arbeitermasse, politisch und wirtschaftlich ohne Bewegungsfreiheit, verkörpert vor allem in der Sozialdemokratie. Wie standen zu diesen beiden Fronten die übrigen Schichten des Volkes, also politisch das Zentrum und die Fortschrittspartei, sozial die nichtsozialistischen Arbeitnehmer, der kleine Mittelstand, die Kaufleute und vor allem die Bauern?

      Es muß dabei gleich hervorgehoben werden, daß ein großer Teil der Wähler der Konservativen und Nationalliberalen aus den Mittelschichten und dem Bauerntum sich im Laufe des Krieges von der Parteiführung lossagte, die sie bei den Wahlen 1912 unterstützt hatten. Das ist ein Prozeß, der parteipolitisch kaum in Erscheinung trat, ohne den aber die Revolution von 1918 nicht zu verstehen ist.

      Im Zentrum fühlten die christlichen Arbeiter dieselben wirtschaftlichen und politischen Nöte wie die sozialdemokratische Arbeiterschaft. So kam es zu einer Annäherung der sozialistischen »freien« und der christlichen Gewerkschaften, zum Beispiel in der preußischen Wahlrechtsfrage. Auf der anderen Seite stand die alte konservative Führergruppe des Zentrums, die bis zum Frühjahr 1917 die Partei in der Hand behielt. Diese hohen Staatsbeamten und hohen katholischen Geistlichen suchten die konservativen Kräfte zu stützen. Sie suchten politisch Anschluß an die Konservativen und Nationalliberalen, und konservativ gestimmte Bischöfe wollten es verhindern, daß die christlichen Gewerkschaften im Kriege die preußische Wahlrechtsfrage aufrollten7. Im Frieden hatte die konservative Führergruppe des Zentrums die Herrschaft über die Partei dadurch behauptet, daß sie die Bauern gegen die Arbeiter ausspielen konnte. Aber die Stimmung der deutschen Bauernschaft, der evangelischen und der katholischen, änderte sich im Kriege radikal8.

      Zunächst hatte die physisch kräftige, für den Felddienst besonders geeignete Landbevölkerung die schwersten blutigen Verluste zu tragen. Die Landarbeit daheim mußte von Frauen, Jugendlichen und alten Leuten geleistet werden. Die Preise aller Industriewaren stiegen im Kriege mächtig an. Die Lebensmittel, die der Bauer verkaufte, unterlagen den Höchstpreisen. Dazu kam der ganze bürokratische Druck, der bei der Durchführung der Zwangswirtschaft und besonders bei der zwangsweisen Erfassung der Lebensmittel auf der Landbevölkerung lag. Die Städter waren auf die Agrarier erbittert, von denen sie sich bewuchert und ausgehungert fühlten. Ohne Zweifel nährte sich die Masse der Landleute trotz der Zwangswirtschaft besser als die Industriearbeiterschaft. Und die viele Schleichhandelsware, die notorisch in Deutschland während des Krieges umlief, mußte letzten Endes vom Produzenten gekommen sein. Trotzdem war die Lage der Landbevölkerung unter der Kriegswirtschaft schwer, und sie trieb die Bauern in immer schärfere Opposition gegen das bestehende Staatssystem.

      Der deutsche Bauer war im Frieden konservativ gewesen, weil der Staat ihm sein freies Eigentum sicherte und weil er ihn mit der Zollpolitik unterstützte. Jetzt im Kriege, unter der Blockade, waren die Zölle gleichgültig, und nun kamen die staatlichen Beamten auf die Bauernhöfe und kontrollierten, ob irgendwo ein Pfund Butter versteckt war. Der Staat mutete den schwer arbeitenden Landleuten zu, daß sie sich nicht einmal satt essen sollten. So erzeugte die Kriegswirtschaft in der Stadt die Verbitterung der Arbeiter und auf dem Lande eine parallele Erregung der Bauern. Am frühesten und heftigsten läßt sich die Bauernopposition in Bayern beobachten, wo die ländliche Gesellschaft rein demokratisch ohne Einfluß des Grundadels ist und wo man besonders geneigt war, die »Berliner« Zentralbehörden für alles Übel verantwortlich zu machen.

      Selbstverständlich wurde der erbitterte deutsche Bauer im Kriege kein Sozialdemokrat; denn er führte ja gerade den Druck der Zwangswirtschaft auf den Einfluß der Sozialdemokraten und überhaupt der Städter zurück. Die Radikalisierung der Bauern trug 1917 zur Linksschwenkung des Zentrums bei. Ebenso wurde im Laufe des Krieges eine kleine örtliche Bauernpartei, der Bayrische Bauernbund, immer mehr in die Opposition gedrängt. Die unzufriedene Stimmung der norddeutschen evangelischen Landbevölkerung fand parteipolitisch keinen Ausdruck. Aber es gab ein Gebiet, wo die Arbeiter- und Bauernopposition gegen das bestehende System sich treffen konnte, und das war das allergefährlichste, nämlich die Armee 9.

      Im Heere stand das aristokratisch abgeschlossene Offizierskorps einer einheitlichen Soldatenmasse gegenüber. Die alten, vorwiegend adligen Frontoffiziere waren zwar meistens in den ersten Kriegsmonaten gefallen. Das Offizierskorps des Millionenheeres von 1915 bis 1918 trug höchstens in den höheren Stäben den alten Charakter. Die unteren Chargen besetzten vorwiegend Reserveoffiziere und Kriegsleutnants. Das waren Männer, die im Frieden als Studenten, Kaufleute, Lehrer usw. sich niemals zu einem aristokratischen Herrentum gerechnet hatten und die bereit waren, wenn sie den Krieg überlebten, in ihre bescheidene Friedensstellung zurückzukehren. Aber mit der Ernennung zum Offizier war notwendig auch die aristokratische Absonderung verbunden, die nach dem preußischen Staatssystem den Offizier von der Mannschaft trennte. Das deutsche Offizierskorps, als Stand betrachtet, war im Kriege auf keinen Fall moralisch oder menschlich schlechter als das französische oder englische. Der erbitterte Haß, der sich in Deutschland im Laufe des Krieges in weitesten Volksschichten gegen die Offiziere richtete, ist nur aus den eigenartigen Gesellschafts- und Verfassungszuständen Deutschlands zu erklären.

      Die Masse des Volkes hatte nicht das Gefühl, daß der Staat ihr mitgehöre und daß sie über den Staat mitbestimme. Sie fühlte sich von oben herab regiert, und zwar im Kriege sehr schlecht regiert. Die Gewalt-


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