Uriel. Tanya Carpenter
Büro hinter ihnen geschlossen hatte, kam sie gleich zur Sache.
»Du musst deinen Verbündeten kontaktieren, Sam.«
Er zuckte kaum merklich zusammen. »Was meinst du damit?«
Seine Vorsicht in Ehren, aber sie hatten keine Zeit für Rätselraten. Ihm war der Ernst der Lage nicht bewusst.
»Ich weiß es schon lange, Samuel. Und ich habe geschwiegen. Das muss dir fürs Erste genügen, um zu zeigen, wo meine Loyalität liegt.«
Er blieb misstrauisch, begann jedoch bereits, darüber nachzudenken, ob er die Maske fallenlassen durfte. Natürlich bestand die Möglichkeit, dass sie ihn in eine Falle lockte, weil Magnus ihn auf die Probe stellte. Einen Verdacht zu erhärten suchte. Erst recht, wo er gerade erst mit Proud über Dinge gesprochen hatte, die nicht hätten gesagt werden dürfen. Sie wusste davon, Magnus nicht und das sollte auch so bleiben, daher sagte sie nichts darüber. Aber Sam würde sich nie völlig sicher sein können, ob der Uriel nicht doch etwas mitbekommen hatte und dies hier ein Test war, egal, was sie sagte. Er musste ihr vertrauen, das lag allein bei Sam.
»Logan hat mich gebeten, Beth bei der Wandlung zu helfen. Ich habe es mit einem Ritual versucht, doch ich bin bedauerlicherweise nicht stark genug. Ich erreiche Beth nicht. Nur ein Seraphim kann deine Tochter dort finden. Wenn sie zu lange im Urmeer bleibt, weißt du, was mit ihrer Seele geschieht. Das hätte Deborah nicht gewollt. Das hätte auch Savannah nicht gewollt.«
Sie sah seinen Adamsapfel zucken, als er schluckte. Furcht legte sich auf seinen Blick. Sie galt nicht ihr oder dem Wissen um sein Geheimnis, sondern den Racheengeln selbst.
»Ich paktiere nicht mehr mit den Seraphim«, erklärte er fest, doch das Beben in seiner Stimme war verräterisch.
Lillith trat näher an ihn heran, beugte sich zu ihm, was einer Bedrohung nahekommen musste, obwohl sie nichts dergleichen im Sinn hatte.
»Nein, du paktierst nicht mit ihnen.« Erleichterung wollte sich schon auf seine Züge schleichen, dass sie doch bloß gepokert und er nicht darauf hereingefallen war. Dies konnte sie ihm bedauerlicherweise nicht gönnen. »Du paktierst nur mit der einen. Ravenna.«
Der Name kam als heiserer Hauch über ihre Lippen. Wie Wind in der Nacht, der durch die Wipfel der Bäume streift und sie von fast vergessenen Geheimnissen wispern lässt. Sam wurde bleich und starr. Seine Lippen waren nur noch ein schmaler Strich und die Fingerknöchel traten weiß hervor. Er schwitzte, was selten für einen der seinen war. In die Enge getrieben, sah er all seine Pläne und Hoffnungen dahinschwinden.
»Er weiß nichts davon«, raunte sie mit Bedacht. »Wenn das so bleiben soll, hole deine Vertraute her.«
»Magnus wird merken, wenn …«
»Magnus wird blind sein«, fiel sie ihm ins Wort. »Weil ich ihn blende. Sag mir nur, wann Ravenna erscheint. Ich verschaffe euch zwei Stunden, in denen Magnus’ Sinne ihm nicht dienen. Das muss genügen.« Ihr lief schon ein Schauder über den Rücken, wenn sie daran dachte, was es sie kosten würde, ihren Uriel mit einem Schleier zu belegen. Aber es gab keinen anderen Weg. »Beth muss erwachen. Schnell! Die Zeit rennt uns allen davon, ich habe es gesehen. Wir können nicht warten – und wir können nicht riskieren, sie zu verlieren.«
Sie wusste, das wollte Sam ebenfalls nicht. Beth war sein Ein und Alles, immer schon gewesen. Kaum weniger als Scyla. Lillith hatte seine eine Tochter nicht beschützen können, bei Beth wollte sie diesen Fehler nicht wiederholen, auch wenn Magnus sie dafür würde brennen lassen.
Mit keinem Wort hatte Sam gesagt oder durch irgendeine Handlung gezeigt, was er von Beth’ Wandlung in einen Azrae hielt. Das allein sagte Lillith, dass er froh darüber war. Sie wusste warum. Die Gründe waren ähnliche wie bei Magnus, nur der Antrieb dafür war ehrenvoller. Sam hätte abgewartet. Er vertraute Beth, er vertraute Proud. Mehr als dieser ahnte. Sie wünschte, der hitzige McLean-Sprößling würde es dem Grigori nicht so schwermachen. Gemeinsam standen ihre Chancen gut, allen Seiten erfolgreich die Stirn zu bieten, doch Proud war noch nicht so weit. Vielleicht würde Beth das Bindeglied sein. Das galt es abzuwarten. Es konnte aber auch helfen, wenn Sam den ersten Schritt tat.
»Vielleicht solltest du auch das Bündnis mit Proud festigen. Er verdient dein Vertrauen, und es wäre gut, wenn er es erwidert. Ihr braucht einander.«
»Du verlangst eine Menge.«
»Ich verlange nichts, Sam. Nicht für mich. Glaub’ es oder lass es. Dein Herz wird dir sagen, was du tun sollst. Ich kann dir nur einen Rat geben.«
Sie erhob sich und blickte voller Mitleid auf Sam herab. Das alles war nicht leicht für ihn, auch wenn er diesen Weg vor langer Zeit selbst gewählt hatte.
»Rede mit Proud. Und bitte Ravenna um ihre Hilfe. Zwei Stunden auf dein Geheiß. Nutze sie. Das bist du ihr schuldig.«
Ob sie damit Beth oder Deborah meinte, ließ sie offen. Sie war sicher, Sam verstand es auch so.
»Lillith!«, rief er aus, als sie bereits an der Tür war. Sie blieb stehen, drehte sich langsam um.
Samuels Hände zitterten, seine Augen waren voller Schatten, die ihn trieben. Alte Dämonen, neue Ängste.
»Schwör mir, dass Magnus niemals Macht über meine Tochter haben wird.«
Lillith schluckte. Für einen Moment war sie nicht sicher, was genau er damit meinte, wie viel er bereits wusste.
»Über keine deiner Töchter«, antwortete sie. »Nicht mehr. Nicht, so lange ich es verhindern kann.«
Kapitel 7
Weitere drei Nephilim-Paare waren in den vergangenen Tagen bei ihnen eingetroffen und von Logan in sichere Verstecke gebracht worden. Am liebsten hätte Proud das Eingangstor zu ihrem Grundstück verriegelt, auch wenn er wusste, dass diese Gedanken keineswegs fair waren. Schon gar nicht in Anbetracht von Kayden und seinen Speichelleckern.
Vor gut einer Stunde war nun wieder ein Paar bei ihnen aufgetaucht. Sie kamen aus Portugal. Die Nephilim, Ava, war erschreckend jung und so voller Angst, dass ihre aufgerissenen Augen ihr Gesicht dominierten wie in diesen Manga-Comics. Mit stockender Stimme hatte sie davon erzählt, wie sie und Laos, ihr Azrae-Gefährte, verfolgt worden waren. Ein Dutzend Grigori hatte sie gezielt vor sich hergetrieben bis zu den leer stehenden Lagerräumen eines einstigen Logistikunternehmens. Es war ihnen gelungen, sich auf dem Gelände zu verstecken und später zu fliehen, doch da waren noch andere Nephilim und Azrae gewesen. Die Schreie derer, die gefangen worden waren, würde Ava wohl nie vergessen.
Das Mädchen betete Proud geradezu an und war vor ihm auf die Knie gesunken, kaum dass er seinen Namen genannt hatte. Er wusste nicht, wie er auf so etwas reagieren sollte, und als Logan endlich eintraf, um sie abzuholen, ergriff er die Flucht und verkündete entschlossen, dass er keine weiteren Audienzen gewähren würde.
»Ich bin nicht ihr verdammter König oder Guru, Mann«, zischte er Logan zu, der nur ratlos die Achseln zuckte.
»Sie glauben, dass du weißt, was zu tun ist. Vermutlich weißt du sogar mehr als die meisten.«
Er spielte damit auf das literarische Erbe an, das bedauerlicherweise tatsächlich belegte, dass sich Prouds Familie eingehend mit der Prophezeiung beschäftigt hatte. Na gut, sie wollten einen Weisen? Es sollte ihm ja keiner nachsagen, dass er nicht sein Bestes getan hatte. Damit gab es zumindest eine Ausrede, warum er künftig nicht mehr Teil des Empfangskomitees sein konnte.
Schnaubend und ohne Ava und ihren Gefährten Laos auch nur noch eines Blickes zu würdigen, zog sich Proud in die Bibliothek zurück, wo nach wie vor jede Menge Folianten darauf warteten, durchforstet und analysiert zu werden. Den Job machte ja sonst keiner.
Ihm rauchte der Kopf und es gab vieles, was er nicht verstand oder was ihn verwirrte. Aber es lenkte ihn ab, und es fühlte sich einfach gut an, etwas Sinnvolles zu tun und dabei nicht in eine Rolle gepresst zu werden, in die er nicht hineinpasste. Von Leuten, die er überhaupt nicht kannte und auch nicht näher kennenlernen wollte.
»Du hasst