Werft eure Zuversicht nicht weg. Benno Elbs

Werft eure Zuversicht nicht weg - Benno Elbs


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berührt. Wir sind berufen, um es theologisch zu sagen, an der Schöpfung mitzutun. Schöpferische Werte – künstlerisches Schaffen, kreative Umsetzung von Ideen – sind zentrale Wege zum Sinn und zur Zuversicht.

      Erlebnisse bereichern

      Wenn ich aus dem Fenster blicke, sehe ich in meiner Nachbarschaft oft spielende Kinder. Wenn wir das Leben von Kindern betrachten und uns die Frage stellen, was sie denn wirklich zum Leben brauchen, so sind es im Grunde ganz wenige Dinge, auf die es ankommt. Neben den natürlichen körperlichen Bedürfnissen wie Ernährung und Kleidung ist es vor allem die Zuwendung. Sie ist wohl das wichtigste „Lebensmittel“ für Kinder. Und es sind die Erlebnisse – das gemeinsame Spielen, das neugierige Entdecken von verschiedenen Räumen und Situationen: Wie leben Tiere? Wie funktioniert diese Maschine? Wenn man Kinder fragt, was sie gerade freut, dann sind es solche Erlebnisse, von denen sie erzählen. Und das ändert sich nicht bis ins hohe Alter. Viktor Frankl spricht deshalb von den Erlebniswerten, die so wichtig sind für den Grundwasserspiegel der Zuversicht in unserer Seele. Was er damit meint, kann das folgende Beispiel erläutern.

      Wenn wir Krisen erleben, die uns von anderen Menschen und auch von vielen gewohnten Erfahrungen trennen, dann spüren wir mit der Zeit eine bestimmte Leere. Es scheint so zu sein, als ob die Seele, unser Innerstes an Farbe verliert. Die Farbtöne werden weniger intensiv und verblassen. Ein Mann erzählte mir davon, dass er das auch bei seiner Partnerin erlebt hat. Als sie während der Pandemie in Quarantäne waren, fehlte ihnen rein äußerlich während dieser Zeit nichts. Doch er bemerkte, dass seine Frau immer unruhiger wurde, weniger Humor hatte, weniger redete. Und er sagte sich, da muss ich etwas tun. Er machte den Vorschlag, einen kleinen Ausflug zu einem Ort zu machen, den sie oft gemeinsam besuchen, einer zauberhaften Kapelle, einem Kraftort und einem Juwel der Architektur. Es war das schlichte Erlebnis eines Ausflugs, eines Spaziergangs in der Natur, eines gemeinsamen Gebetes in der Kapelle, das Freude und Farbe in ihr Leben zurückgebracht hat.

      Dieses unspektakuläre Beispiel zeigt, dass Erlebnisse, auch wenn sie noch so klein und unscheinbar sind, Zuversicht und Freude zu schenken vermögen. Erlebniswerte sind für Viktor Frankl ein Königsweg zu einem sinnvollen Leben. Wenn wir darauf achten, dass es jeden Tag ein kleines Erlebnis gibt – ein Spaziergang in der Natur, eine gemeinsame Unternehmung, ein Spiel –, dann können wir auch in dürren und mühsamen Zeiten vom Grundwasser der Freude und der Zufriedenheit frische Kraft schöpfen.

      Wähle deine Einstellung

      Jede Situation in unserem Leben, ob sie angenehm und erfreulich ist, ob sie herausfordert oder Sorge bereitet, fordert uns dazu auf, Stellung zu beziehen. Wir können darüber klagen und jammern, uns selbst bemitleiden oder sie als eine Herausforderung und Aufgabe betrachten, der wir uns stellen möchten. Die innere Bewertung einer Situation ist grundlegend.

      Viele Gespräche in den Monaten der Corona-Krise haben mir gezeigt, dass besonders ältere Menschen unter der verordneten Einsamkeit litten und sich der Situation hilflos ausgeliefert fühlten. Etwa die bange Frage, ob die 24-Stunden-Betreuerin nach dem nächsten Schichtwechsel wohl wiederkommen werde. Oder ob ich wieder einmal unbeschwert einkaufen gehen kann. Oder wann ich meine Urenkel wieder umarmen darf.

      Auch für junge Menschen war es oft eine sehr belastende Zeit: schwelende Konflikte mit den Eltern, Streitereien, sogar Gewalt in der Familie, die Unmöglichkeit, Freunde zu treffen und sich mit ihnen auszutauschen oder Sport zu treiben, wenn es daheim eng wurde. Bei der Suche nach einer Lehrstelle war nichts mehr möglich. Betroffen gemacht hat mich auch eine Begegnung mit einem Studenten. Das „Distance-learning“ machte ihm zu schaffen. Die Kolleginnen und Kollegen fehlten ihm so sehr, dass er seine Freude am Studium zu verlieren drohte und sich der Gedanke meldete: „Ich höre auf“.

      Eine ebenso simple wie kreative Lösung hat eine „Risikopatientin“ für sich entdeckt. Sie hatte schwerwiegende Vorerkrankungen und war durch die exzessive Medienberichterstattung sehr beunruhigt. Sie fand keinen Schlaf mehr und konnte sich kaum mehr schönen und leichten Gedanken zuwenden, bis sie schließlich eine Entscheidung für sich fällte: Sie hat entschieden, sich ganz bewusst dem Alltag zuzuwenden. „Der Alltag ist das, was mir Halt und Sinn gibt“, die Zuwendung zum Heute, zu den kleinen alltäglichen Verrichtungen, zum nächsten unscheinbaren Handgriff. Die Routine des Alltags – mit dem Frühstück, diesen und jenen Aufgaben, dem kleinen Garten, Telefonaten mit lieben Menschen, dem Lesen von Zeitschriften, dem Schreiben eines Briefes –, das hat wieder Freude und Zuversicht in ihr Leben gebracht.

      Diese Erfahrung begegnet mir in der Seelsorge häufig: Menschen stehen vor einem großen Problem, einer schwierigen Entscheidung oder einer wichtigen Lebensfrage. Da möchte man alles in den Blick nehmen, um ja nichts zu übersehen. Diese Haltung führt oft zu einer Überforderung und zu einer inneren Unbeweglichkeit, ja Blockade: Werde ich es schaffen? Habe ich die Kraft? Hier hilft der Blick auf das Jetzt. Wichtig ist die Entscheidung für das Heute.

      Wie entlastend der bewusste und achtsame Blick auf die vielen kleinen Handgriffe des Alltags sein kann, beschreibt Michael Ende in seinem Buch „Momo“. Darin erzählt er unter anderem vom Straßenkehrer Beppo, einem der besten Freunde des kleinen Mädchens Momo. Er ist ein einfacher, schlichter Mensch, die meisten würden ihn wohl eher als einfältig bezeichnen. Beppo ist langsam und bedächtig in seinem Tun und in seinem Denken, fast so, als ob er etwas schwer von Begriff wäre. Und doch macht er sich seine Gedanken zum Lauf der Welt und der Dinge, die von einer ungeheuren philosophischen Tiefe und Weisheit sind. Der Beruf des Straßenkehrers ist heute beinahe ausgestorben, er genießt eben kein Ansehen. Große lärmende Maschinen saugen den Schmutz und achtlos weggeworfenen Müll von den Straßen. Doch Beppo selbst ist vom Wert und der Bedeutung seiner von den meisten wenig geschätzten Arbeit überzeugt, auch wenn die Straße, die er zu reinigen hat, manchmal endlos lange und hoffnungslos schmutzig erscheint. In den Gesprächen am Feierabend nach getaner Arbeit erklärt Beppo seiner Freundin Momo und vielleicht mehr noch sich selbst, worauf es ihm bei seiner Arbeit ankommt. Wenn die Straße, deren Reinigung als zu bewältigende Aufgabe vor einem liegt, manchmal so bedrückend lange erscheint und fast unmöglich zu schaffen ist, dann ist man versucht, immer schneller und schneller zu arbeiten, man wird hektisch und kommt ganz außer Atem, bis man nicht mehr kann. So darf man es nicht machen, ist Beppos Erfahrung. Er versucht, niemals die ganze Straße auf einmal zu denken, sondern seine Arbeit Schritt für Schritt im steten Rhythmus von Besenstrich und Atemzug und nächstem Schritt langsam und gemächlich zu tun. So macht es Freude. So wird das Ergebnis gut. Und mit einem Mal bemerkt man, dass man die ganze, lange Straße gekehrt hat, Schritt für Schritt.7

      In der Logotherapie bezeichnet man diesen Vorgang als „Einstellungsmodulation“. In jeder Situation, mag sie noch so aussichtslos scheinen, gibt es immer noch einen Rest von Freiheit. Ich selber bin es, die oder der entscheidet, wie ich mit diesem Problem, mit dieser Frage oder Situation umgehe. Der Blick auf die kleinen Schritte des Alltags ist dabei sehr hilfreich und gibt Zuversicht. Ich habe die Wahl.

      Auch die Weisheitsschriften in der Bibel raten uns zu einer solchen Einstellung. Zu vertrauender Gelassenheit gegenüber den Wechselfällen des Lebens ermutigt der Weisheitslehrer Kohelet: „Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit: […] Eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen, eine Zeit für die Klage und eine Zeit für den Tanz“ (Koh 3,1.4). Oder im Buch der Sprichwörter (17,22) des weisen Königs Salomo finden wir einen lebensnahen Gesundheitstipp: „Ein fröhliches Herz tut der Gesundheit gut, ein bedrücktes Gemüt lässt die Glieder verdorren.“ Auch da liegt es zumindest ein Stück weit immer in meiner Entscheidung, wie viel Raum und Gewicht ich dem Belastenden und Schweren zugestehe oder ob ich versuche, meinen Blick auf das zu richten, was mich stärkt und mir Freude bereitet.

      Geistige Verbundenheit

      Es ist Sonntag. Wir sind noch in der Zeit der Pandemie und der damit verbundenen Ausgangsbeschränkungen. Es finden keine öffentlichen Gottesdienste in unseren Kirchen statt. Ich gehe in der Früh nach dem Morgengebet ein wenig in die Natur und mache


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