Sophienlust Box 15 – Familienroman. Patricia Vandenberg

Sophienlust Box 15 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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und zwar möglichst schnell. Aber um ihr zu helfen, gab es keine andere Möglichkeit, als ihr nachzusteigen. Ein Hubschrauber war in diesem verlassenen Ort nicht schnell aufzutreiben. Aber konnte er ihr denn überhaupt helfen, wenn er ihr allein nachstieg? »Hier gibt es doch eine Bergwachtstation?«, wandte er sich an den ihm zunächst stehenden Mann.

      Der nickte eifrig. »Natürlich! Das ist die beste Idee! Wir müssen die Bergwacht mobilisieren. Sie kann da oben jeden Moment ausrutschen und ist nicht gesichert!«

      Diese Feststellung, die nur allzu wahr war, trieb Jochen das Blut ins Gehirn.

      »Wo ist die Bergwacht?«, herrschte er den jungen Mann fast grob an.

      Doch der nahm ihm das nicht übel. »Kommen Sie!«, forderte er Jochen auf und lief auch schon los. Die anderen Beobachter folgten den beiden.

      Die Männer im Dienst der Bergwacht hielten sich nicht mit langen Überlegungen oder Diskussionen auf. Sie erkannten die Gefahr augenblicklich und handelten.

      Kommandos flogen hin und her, und wenige Minuten später waren die routinierten Männer zum Aufbruch gerüstet. Sogar eine Trage führten sie mit sich.

      Während dieser kurzen Vorbereitungen hatte Jochen Corinna nicht aus den Augen gelassen. Das Ferngals projizierte sie ihm vergrößert vor, sodass er an ihren Bewegungen erkannte, dass sie außerordentlich geschwächt sein musste. Seine Erfahrung sagte ihm, dass sie wahrscheinlich zu spät kommen würden. Doch das wollte er nicht wahrhaben.

      »Ich begleite euch«, sagte er zu den Männern der Bergwacht.

      Die musterten ihn kurz und eingehend. Doch da sie den erfahrenen Bergsteiger in ihm erkannten und außerdem vermuteten, dass er in irgendeinem Zusammenhang mit der gefährdeten Einzelgängerin stand, nickten sie ihm kurz zu.

      »In Ordnung! Kommen Sie mit!«

      Schweigend stiegen sie auf ein Geländefahrzeug, das sie über einen Wiesenweg so nahe wie möglich an die Berge heranbrachte, damit sie Zeit sparten.

      Jochen war sich darüber im Klaren, dass jetzt ein Wettlauf mit der Zeit begann, der unter Umständen Corinnas Tod zur Folge haben konnte, wenn sie den Wettlauf verloren. Bei diesem Gedanken drohte ihn sekundenlang Schwäche zu überfallen. Doch er hatte sich sofort wieder in der Gewalt. Wenn er schlappmachte, konnte er Corinna ja nicht helfen.

      »Gehört die Frau zu Ihnen?«, fragte ihn einer der Bergwachthelfer.

      Jochen nickte gequält. »Sie ist meine Verlobte.«

      Er spürte die mitfühlenden Blicke der Männer und war ihnen komischerweise dafür dankbar.

      Dort, wo das Geländefahrzeug nicht weiter konnte, stiegen sie ab und begannen schweigend den Aufstieg. Sie konzentrierten all ihre Kräfte darauf, schnell voranzukommen.

      Jochen erkannte schon bald, dass die Männer einen kürzeren Weg einschlugen als den, den er kannte. Trotzdem hatte er ein hilfloses Gefühl, wenn er zu der Höhe aufblickte, in der Corinna sich schutzlos befand. Zu weit war sie von ihm entfernt. Wenn ihr in diesem Moment etwas zustoßen sollte, konnte er ihr nicht helfen.

      Halte aus! rief er ihr wortlos hinauf. Halte durch, wir kommen!

      *

      Corinnas Kräfte wurden schwächer und schwächer. Sie merkte es selbst an der Unsicherheit, mit der sie jeweils die nächste Trittstelle auswählte. Ein falscher Tritt hier oben bedeutete das sichere Verderben. Aber sie erlaubte sich nicht, auch nur einige Minuten zu rasten. All ihre Gedanken strebten vorwärts. Dort oben, an der Stelle, an der ihr Mann abgestürzt war, lag ihr Ziel. Und obwohl sie bereits den größten Teil des Aufstieges hinter sich gebracht hatte, lag der gefährliche Teil noch vor ihr.

      Schweißtropfen rannen Corinna über die Stirn in die Augen, sodass sie sekundenlang wie geblendet war. Doch sie fuhr sich nur mit dem Ärmel der Bluse übers Gesicht.

      Weiter! Sie musste weitergehen, so schwer es ihr auch fiel. Ein halbes Ziel war ein verlorenes Ziel. Schwer atmend klammerte sie sich an einen Felsvorsprung und zog ihren Körper hinauf, einen Schritt weiter. Für den nächsten Schritt prüfte sie mit den Händen das Gestein, ob es auch nicht locker war. Ein abbröckelndes Felsstück konnte sie das Leben kosten. »Ich muss weiterleben«, flüsterte sie zusammenhanglos. »Weiterleben für mein Kind. Und für mein Kind muss ich mein Ziel erreichen. Die Absturzstelle kurz unterhalb des steilen Gipfels.«

      Corinna keuchte und lehnte sich einen Moment an die Felswand, als ihr schwarz vor den Augen wurde. Als erfahrene Bergsteigerin hätte sie dies als Alarmzeichen werten und umkehren müssen. Nichts war gefährlicher und schlimmer als Schwindelanfälle auf einem schmalen Felsgrat. Doch Corinna wollte nicht darauf achten. Sie sah nur das scheinbar nahe Ziel und redete sich unaufhörlich ein, es erreichen zu müssen. Dass ihr geschwächter Körper, der seit fast sechsunddreißig Stunden keine Nahrung mehr erhalten hatte, rebellieren musste, wollte sie nicht einsehen. Schritt für Schritt kämpfte sie sich weiter nach oben.

      Ihre schönen Züge waren vor Anstrengung verzerrt. Als ihre Kräfte sie vollends zu verlassen drohten, begann sie mit sich selbst zu reden. Sie redete sich Mut zu, um den Aufstieg zu erzwingen. Aber es machte den Eindruck, als habe sie den Verstand verloren, denn kein vernünftiger Mensch wäre unter diesen Umständen weitergegangen.

      »Dort oben ist sie! Freds Todesstelle«, ächzte sie. »Wenn ich sie erreiche, wird Bärbel gesund werden. Komme ich nicht hinauf, dann …, dann …« Ihr Fuß ruschte ab und trat ins Nichts.

      Corinna stieß einen Schrei aus und klammerte sich mit beiden Händen an den Felsen. Sekundenlang baumelten ihre Füße in der Luft. Sie kämpfte mit der Balance. Dann fanden ihre Beine wieder festen Halt.

      Taumelnd ging sie in die Hocke. Ihr Gesicht war schweißüberströmt. Die salzigen Tropfen brannten ihr in den Augen. Das Haar hing ihr wirr ins Gesicht.

      Corinna war sich nicht bewusst, dass sie im Augenblick höchster Not Jochens und Bärbels Namen gerufen hatte. Ob sie wollte oder nicht, jetzt musste sie sich einige Minuten Ruhe gönnen.

      Schwer atmend lehnte sie ihren Kopf an den Fels. Wenn ich es schaffe, dann wird mein geliebtes Kind gesund werden, sagte sie sich wieder. Dann werde ich nur noch für Bärbel leben. Und der liebe Gott wird mich für den Verzicht auf meine Liebe belohnen.

      Nun dachte Corinna einen Moment lang ganz klar. »Ja, ich liebe Jochen«, flüsterte sie. »Aber ich werde mir diese Liebe aus dem Herzen reißen. Ich werde sie opfern. Dafür wird Bärbel mir erhalten bleiben, mein ein und alles.«

      Als Corinna nach einigen Minuten weitergehen wollte, fand sie keinen Weg mehr. Entsetzt starrte sie nach oben. Dort hinauf musste sie. Aber über ihr war nichts außer der steilen, glatten Wand.

      »Aber es muss doch ein Weg hinaufführen!«, schrie sie außer sich. Doch der lebensgefährliche Pfad, den sie bisher verfolgt hatte, endete auf dem winzigen Plateau, auf dem sie saß.

      Mit schmerzlicher Gewissheit erkannte Corinna, dass sie sich verlaufen hatte. Irgendwo musste sie dem falschen Pfad gefolgt sein.

      Aber ich muss doch nach oben, sagte sie sich in einer letzten Willensaufbäumung. Ich muss!

      Wieder blickte sie hinauf. Doch an der glatten Felswand ging es nicht weiter. Wenn sie hinauf wollte, musste sie den falschen Pfad zurückklettern.

      Corinna dachte an die Strapazen, die es sie gekostet hatte, hierherzukommen. Wieder überfiel sie ein leichter Schwindel. Doch sie raffte sich trotzdem auf und versuchte den Rückweg. Aber der war, das erkannte sie im gleichen Augenblick, ohne einen zweiten Mann, der sie am Seil hielt, unmöglich. Wenn sie hinunterschaute, erschien es ihr ohnehin wie ein Wunder, dass sie allein heraufgekommen war.

      Ihr Ziel, die Absturzstelle, musste direkt über ihr, nahe beim Gipfel liegen. Und sie saß hier unten und konnte weder vor noch zurück. Als ihr die Ausweglosigkeit ihrer Lage zu Bewusstsein kam, durchzuckte ein einziger brennender Schmerz ihren ganzen Körper.

      Corinna spürte, wie die Kräfte sie mehr und mehr verließen. Die Kraftreserven ihres Körpers waren erschöpft. Schluchzend sank ihr der Kopf


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