Sophienlust Box 15 – Familienroman. Patricia Vandenberg
sie mit den gebratenen Eiern. Anschließend schlief sie ein und erwachte erst wieder gegen Abend.
Jochen war den ganzen Tag nicht von ihrer Seite gewichen. Kaum sah er, dass sie die Augen aufschlug, ging er in die kleine Küche und bereitete eine kräftige Brühe und einige belegte Brote zu.
Doch Corinna trank nur die Brühe. Dann wollte sie sich mit Jochen unterhalten. Aber das Fieber war noch immer nicht gesunken. Deshalb verbot er ihr das Sprechen und blieb an ihrem Bett sitzen, bis sie wieder eingeschlafen war.
In dieser Nacht erwachte Jochen davon, dass Corinna im Traum stöhnte. Dann begann sie wirr zu reden. Er verstand nur einige Worte, die sich immer wiederholten –?Seil und Haken und Abgrund –, und begann sich nun ernstlich um sie zu ängstigen.
Doch am nächsten Morgen war Corinna fieberfrei. Sie lächelte ihm zu, als er ihr das Frühstück brachte. »Ich fühle mich schon wesentlich besser.«
»Das freut mich. Versuche etwas zu essen.« Er hatte auch für sich eine Tasse mitgebracht und goss nun den heißen Kaffee ein.
Das duftende Getränk belebte Corinna sichtlich. »Vielleicht kann ich heute schon aufstehen«, meinte sie.
»Warte damit lieber noch bis morgen«, schlug Jochen vor. »Heute Nacht hattest du noch Fieber.«
Fast ein wenig scheu blickte sie zu ihm auf. »Was du mit mir für Umstände hast.«
»Sprich doch nicht davon«, bat er sanft. »Ich bin froh, dass du noch lebst.«
»Wie … wie hast du mich eigentlich gefunden?«, wollte sie wissen.
Jochen erzählte ihr, dass er sie vom Dorf aus gesehen und dann die Bergwacht mobilisiert hatte. »Doch als wir auf dem Gipfel ankamen, konnten wir dich nirgends finden«, ergänzte er.
»Ich hatte mich verlaufen«, erinnerte sie sich wieder. »Mein Gott, Jochen, es war schrecklich, als ich da oben auf dem schmalen Felsvorsprung lag.« Sie schlug die Hände vors Gesicht.
»Sprich nicht darüber«, riet er.
»Nein, ich muss«, beharrte sie. »Ich muss mich endlich mit dir aussprechen.« Und dann beschrieb sie ihm ihre Angst und die trostlose Verzweiflung, die sie in der gefährlichen Höhe überfallen hatte.
Voller Mitleid schloss Jochen sie in seine Arme. Corinna ließ es geschehen. Sie klammerte sich einen Moment an seine starken Schultern und fühlte sich geborgen.
Doch gleich darauf löste sie sich wieder von ihm. Ihre Augen wurden dunkel. »Ich glaube, ich habe dir bitter unrecht getan.«
»Vergiss es«, bat er großzügig. »Du warst verzweifelt und voller Schmerz um dein Kind.«
»Das bin ich auch jetzt noch. Aber schließlich ist es ja nicht deine Schuld, dass Bärbel krank geworden ist.« Sie hielt einen Moment lang inne und erlebte in Gedanken noch einmal die grauenvollen Stunden des einsamen Aufstiegs. »Ich wollte das Schicksal damit versöhnen«, gestand sie ihm aus ihren Gedanken heraus.
Jochen nickte. »Ich habe mir so etwas gedacht, Corinna. Leider hättest du dein Kind damit fast zur Vollwaise gemacht.« Er wählte bewusst so harte Worte, um ihr vor Augen zu halten, dass sie falsch gehandelt hatte.
Aber Corinna war schon zur Einsicht gelangt. »Ich weiß es, Jochen. Als ich allein da oben saß und mit dem sicheren Tod rechnen musste, erkannte ich es.« Sie dachte einen Moment nach, dann gestand sie Jochen, was er schon die ganze Zeit geahnt, ja, fast schon gewusst hatte. »Ich wollte zur Absturzstelle meines Mannes. Und ich wollte meine Liebe zu dir vergessen und nur noch für mein Kind leben.«
»Ist dir niemals der Gedanke gekommen, dass sich Bärbel vielleicht nach einem Vati sehnt?«, warf er ein.
»Doch.« Corinna nickte. »Aber in meinem Schmerz um Bärbel war ich uneinsichtig. Ich glaubte, ich sei an ihrer Krankheit schuld.«
»Aber warum nur, Corinna?«
»Weil ich zu meinem Vergnügen mit dir in den Urlaub gefahren bin und weil ich Fred über den Tod hinaus die Treue geschworen, den Schwur aber dann doch gebrochen hatte.«
Ihre Aufrichtigkeit beeindruckte ihn. »Bärbel wäre auch krank geworden, wenn du bei ihr geblieben wärst.«
»Ja, Jochen, ich weiß es«, sagte sie sehr nüchtern und sehr sachlich.
»Und die Vergangenheit kann doch nicht ewig lebendig bleiben! Du musst sie einmal überwinden. Du lebst doch nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart. Vor dir und deinem Kind liegt eine lange Zukunft.« Eindringlich, fast flehend, hatte er gesprochen.
Corinna lächelte jetzt. »Ich habe die Vergangenheit nun überwunden, Jochen. Ich habe meine Fehler eingesehen. Da oben, als ich glaubte, sterben zu müssen.«
Als Jochen diese klaren und überzeugenden Worte hörte, sank er vor ihrem Bett in die Knie und barg seinen Kopf in ihrem Schoß. »Ich hatte solche Angst um dich«, murmelte er.
Corinna strich zärtlich über sein Haar.
»Und ich habe mich so nach deinem Schutz und deiner Stärke gesehnt. Bitte, lass mich nie mehr allein.«
Er schaute auf. »Ist das dein Ernst, Liebste?«
Sie nickte, weil die Stimme ihr versagte. Da nahm Jochen sie fest in seine Arme und hielt sie minutenlang an sich gepresst. »Ich liebe dich so sehr, dass ich ohne dich nicht leben kann.«
»Ich liebe dich auch, Jochen«, flüsterte sie und genoss das beglückende Gefühl, geborgen zu sein. Dann spürte sie seine Lippen in ihrem Haar und auf ihrer Wange. Als er sie auf den Mund küsste, versank die Vergangenheit endgültig in dem tiefen Teich des Vergessens.
»Bitte, halte mich und küss mich noch einmal«, murmelte sie, während draußen die Sonne höher stieg und ihre wärmenden Strahlen in gebündelten Lichtgarben durchs Fenster schickte.
»Dir und meinem Kind gehört jetzt mein ganzes Leben und meine ganze Liebe, denn ich brauche euch. Ich brauche euch beide«, bestätigte sie und schmiegte sich in seine Arme. Dann blickte sie sehnsüchtig hinaus in den hellen, sonnigen Tag. »Könnten wir uns nicht ein wenig auf die Bank vor die Hütte setzen?«, bat sie.
»Wenn du versprichst, nicht gleich wieder allein davonzusteigen?« Lächelnd drohte er ihr mit dem Zeigefinger.
»Ich schwöre und gelobe es«, entgegnete sie lachend.
Die gleißenden Sonnenstrahlen blendeten Corinna einen Augenblick, als sie aus der Hütte trat. Erst jetzt spürte sie, dass ihr Körper noch ziemlich geschwächt war.
Jochen führte sie zu der schmalen Holzbank, auf die sie sich mit geschlossenen Augen setzte, bis die Wärme der Sonne ihren Körper durchdrang und sie schläfrig machte. Jochen spürte, wie Corinnas Kopf auf seine Schulter sank. Dann hörte er ihre gleichmäßigen Atemzüge. Er selbst schlummerte nur ein wenig und versuchte sich dabei so ruhig wie möglich zu verhalten, um ihren Schlaf nicht zu stören.
Als eine Wespe sich auf Corinnas Nase setzte, fuhr sie prustend hoch. »Oh, habe ich geschlafen?«
»Ja, Liebling, ein wenig. Aber es hat dir bestimmt gut getan.«
»Hm«, bestätigte sie. »Ich fühle mich schon wieder richtig gesund.«
»Nun komm bloß nicht gleich auf die Idee, einen Spaziergang zu machen«, wehrte er lachend ab.
»Aber ja, genau darum wollte ich dich bitten. Einen ganz kurzen nur«, bettelte sie. »Die Bewegung wird meinen Kreislauf wieder in Ordnung bringen.«
»Liebling, Liebling«, seufzte er. »Was du alles für Erklärungen erfindest, wenn du einen Wunsch durchsetzen willst.« Doch dann konnte er selbst nicht widerstehen. Die Almwiesen leuchteten in einem satten Grün wie ein weicher Teppich und luden geradezu dazu ein, über sie hinwegzuschlendern. »Also gut, aber nur ein Viertelstündchen. Wir bleiben dabei hier in der Nähe«, gab er nach.
Langsam, denn Corinna war wirklich noch sehr schwach, spazierten sie durch die in strahlenden Sonnenschein