Herzkasper. Dirk Zöllner

Herzkasper - Dirk Zöllner


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krochen? Frauen, die man als Metaller auf dem Dorfsaal nie zu sehen bekommen hatte, die ein wesentlicher Grund unserer aufkommenden Kompromissfähigkeit waren und die diese nun im Undank völlig überreizten. Zöllner-Gastspiele waren daher jenseits der Verbiegeschmerzen: Was haben wir die Zungen gewetzt auf der Heimfahrt im vollgequetschten Trabi, beim Kampf um die Hoheit über das Kassettenradio: Zöllners »Café Größenwahn« gegen »Altars of Madness« von Morbid Angel? »Ein Kasper!«, befanden wir.

      Doch »der Dirk« zielte grinsend auf unsere Achillesfersen: Dass seine Sachen beseelt waren, ließ sich ebenso schwerlich leugnen wie ihre handwerkliche Meisterschaft: Hölle, hatte die Band Groove! Und dann diese geschickt beiläufige Beimengung herzblutiger Melancholie in einer melodischen Meisterschaft, gegen die man sich schon mit einiger intellektueller Gewalt wehren musste, um nicht heimlich mitzusummen. Und sei es im Kopf. Der Mann wusste offenbar ganz genau, wovon er sang, wenn er jenes Sehnen besang, dass uns ja letztlich auch trieb – Metalpanzer her oder hin. Es keimte, gut verborgen, die Ahnung einer Zuneigung.

      Nahrung bekam sie einige Jahre später. Als lernender Schreiberling hatte ich erste Rezensionen für Zeitungen und Musikmagazine verfasst und war dabei, den Tanz eines jeden Musikjournalisten zu beginnen – zwischen der anvisierten Illusion einer fachlich objektiven Einschätzung und der subjektiv ungerechten, aber lodernden Leidenschaft, ohne die nun mal jeder Klang nur unbelebte Physik bleibt. Das Herz im Untergrund, der Kopf in der Arbeitswelt der Tageszeitung. Es war die Zeit, als Gothic mich umarmte auf dem Weg ins befreiende Dunkel und die Herzeleidenden von Rammstein, die mit ihrem ersten Album einen verwirrenden Adrenalinpflock ins neue Paralleluniversum des harten alten Dorfsaal-Untergrunds getrieben hatten, mit ihrem Album »Sehnsucht« die Kompassnadel für harte Musik neu in Rotation versetzten.

      Da legte eine Promofee neben diesen Meilenstein die CD »Good Bye, Cherie«: ein Abgesang auf die beim wichtigen »Kernleser« gerade mitwachsende Ostalgiewelle? Musste ich hören! Und Dirk Zöllner erwischte mich kalt mit seiner Wärme: Über einiges von dem, was ich privat soeben durchgemacht hatte, schien der verdammte Popper schon wieder fast alles zu wissen. Wie sonst hätte er diese Texte verfassen können, voll dieser wahren Worte? Klebrig? Seelenleim! Und dazwischen diese lässig-leichte Frechheit, der etwas entspanntere Blick auf das Richtige – eine kleine Rebellion! Die Platte wurde zu einer heimlichen Geliebten. Sollte dieser Zöllner am Ende nur mein anderes Ich sein und seine Naivität, so sehr sie auch zum Hohn einlud, letztlich doch auch heilsame Seiten haben? Ein Alien wie ich, nur auf einem anderen Planeten? Ich wollte und konnte nicht mehr spotten.

      Und dann sah ich, zugegeben arg verspätet, Ende der Neunziger in einem Klubkino den Dokumentarfilm »Flüstern und Schreien« über die DDR-Musikszene am Ende der Achtziger. Natürlich wegen Feeling B. Und Sandow, meine stachelig-dunklen Wendezeit-Begleiter. Den frühen Gruftis, die meine Wesensfamilie waren und musikalische Heimat. Und auch Silly: Dass diese Liebe aus Kindertagen in dem Streifen als unfreiwilliger Altkleiderständer aufgestellt war, entsprach dem Lauf der Zeit. Doch wer turnt da plötzlich als Sänger der Band Chicorée ins Bild? Dirk Zöllner – was für eine Freude! Natürlich wird er als Kasper dargestellt, und natürlich gibt er genau die Zielscheibe ab, die der Film für ihn vorsieht: Der nixblickige, FDJ-nahe Ossipopper als Kontrastmittel zu den gewitzt coolen Proto-Rammsteinen bei Feeling B. Watson neben Holmes. Aber irgendwie, verflixt noch mal, konnte man einfach nicht glauben, dass er so doof war, davon nichts mitzubekommen. Wie da seine Kaspertruppe direkt vor der Linse zerbricht und er, mit vor Schmerz und Enthusiasmus glänzenden Augen, seine trotzigen Träume in die Kamera erzählt: Das konnte nur echt sein. All das Herzblut. Die Ehrlichkeit. Was für ein entwaffnendes, hemmungslos uncooles und doch so unumwundenes Mittel gegen das große, aufgesetzte Theater des restlichen Rockzirkus, möge er auch noch so raffiniert subkulturell gepanzert sein: Dirk Zöllner zeigt sich in »Flüstern und Schreien« als wohl einziger Beteiligter unverstellt. Scheitern und Sehnen. Seine Ideale und die ganze unbändige Kraft seiner Arglosigkeit, ohne jede Berechnung. Ein erhobener Kopf, um zu lächeln. Der Nebendarsteller als echte Haupt-Person. Käfer auf’m Blatt. In mir wuchs Respekt.

      Und dann, wieder einige Jahre später, klingelte mein Telefon, das mittlerweile im Kulturressort der Tageszeitung stand, der ich irgendwie »Good Bye, Cherie« zu verdanken hatte. Eine sanfte Stimme mit einer Färbung voll so aufrechter Freundlichkeit, dass die Intuition noch in dem Moment, da die geschärften Sinne sie für gespielt halten wollen, bedenkenlos das Echtheitszertifikat zeichnet: Dirk Zöllner. Der erste Künstler meines da schon recht langen Journalistenlebens, der unbekannterweise anrief, weil er einen Text mochte: Meine Rezension seiner Autobiografie »Die fernen Inseln des Glücks« hatte ihm sehr gut gefallen, das wollte er mir unbedingt persönlich sagen.

      Ja, sie war lang und voller lobender Worte gewesen, und keines davon gelogen. Vieles allerdings auch nicht gleich schmeichelhaft, wenn man auf eine Lobeshymne aus war: Ich hatte die immer wieder durchschimmernde Naivität nicht ausgespart. Den Umgang mit Frauen, gelegentlichen Dünkel, das oft heftig pulsierende Ego. Doch genau das ist Besondere an dem Buch, das nach wie vor die beste Autobiografie eines Musikers ist, die ich je gelesen habe: Dirk Zöllners Mut zur offenen Flanke. Der einzige Protagonist, den er nicht schont, ist er selbst, obwohl er als Autor wesentlich mehr Schreibtalent mitbringt als die allermeisten seiner Kollegen. Ganz ohne Co-Autor erzählt er mit Schwung und Freude, das quillt so licht aus ihm heraus, dass er gar nicht in der Lage zu sein scheint, all die Fettnäpfe auszulassen, in die einen das Leben treten lässt. Kein Vergleich zu der sehr schönen, aber routinierten »Uferlos«-CD, die vor allem dadurch beeindruckt, wie hoch ihr lockeres Grundniveau ist. Wir redeten lang. Ich war beeindruckt.

      All diese lebenslang verteilten Dirk-Streusel hatte ich sicher unbewusst im Kopf, als ich, wieder etliche Jahre später, in die »Alte Brauerei« nach Annaberg-Buchholz fuhr. Es war ein dunkelkaltes Januarwochenende ganz nach meinem Geschmack, aber ich hatte Dienst, und mir fehlte ein Text für die Kulturseite – also gedachte ich notzunageln: Die Zöllner, Ostrock lief ja stets, gaben ein Konzert in diesem kleinen, dem ländlichen Klubsterben trotzig entronnenen Laden, irgendwas würde mir dazu schon einfallen. Und dann war da wieder dieser softgeboxte Seelenblitz: Die damals aktuelle Zöllner-Platte »In Ewigkeit« hatte ich noch gar nicht gehört, aber die Show pflanzte sie tief in mich ein.

      Die Superband ließ sich von der Tatsache, dass ihr Showglamour auf eine Mini-Punk-Bühne unter vier olle Scheinwerfer gequetscht wurde, so wenig beirren wie der Frontmann. Wie durch und peinlich und mitleidheischend der allermeiste Ostrock auch längst war; hörbar nur in Erinnerung an die gute alte Zeit – dieses Konzert blies, obwohl nicht weniger aus der Zeit gefallen, als frischer Wind in die Nacht, ganz für sich allein. Packend und strahlend und doch auch melancholisch und sehr, sehr einnehmend. So ging das also mit dem würdevollen Altern und kindischer Freude, ganz ohne Albernheit. Kaum einzuordnen.

      Ich häkelte irgendwie alles, was das hochwühlte, zu einem großen Aufmacher zusammen, dessen Überschrift mir direkt auf der Heimfahrt eingefallen war: »Der Herzkasper«. Und wieder klingelte das Telefon mit dieser Stimme. Dirk Zöllner wusste diesmal weniger, was er sagen sollte – und sagte doch viel mehr. Von da an sprachen wir häufiger, und es passierte etwas Seltenes: Wir freundeten uns an.

      Als Journalist ist man zwar oft mit interessanten Menschen in Kontakt, und im Austausch entstehen viele Verbindungen, auch Sympathien – dabei habe ich aber nur dreimal im Leben Menschen getroffen, bei denen die Wellenlänge so ähnlich war, dass wir uns vorstellen konnten, auch abseits des ganzen Musikgeschäfts miteinander zu tun zu haben. Seitdem haben Dirk und ich uns immer wieder getroffen, in Berlin oder Chemnitz.

      Ich weiß nicht mehr, wann und wie die Idee aufkam, dass Dirk in der Freien Presse eine eigene Kolumne übernehmen könnte. Es ist einfach passiert. »Zusammenarbeit« würde ich es nicht nennen, da stört dann doch der zweite Teil des Wortes: Dazu ist es zu beseelt, zu eigenwillig und letztlich auch zu einfach. Manchmal habe ich das Gefühl, als seien wir zwei Seiten eines Wesens: ich das verschlossene Dunkel, er das offene Licht. Und keiner von uns verfügt dabei über die ganze Wahrheit.

      Irgendwie ist es mit Dirk Zöllner immer noch so wie in »Flüstern und Schreien«: Der Mann ringt mit sich und dem Leben, und das live vor Publikum. Es mag extrovertiert wirken, aber das täuscht. Dirk ist einfach so und kann nicht anders – voller Liebe und immer noch in die große, offene Weite. Ohne Verbiegeschmerz.


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