Hexenglut. Historischer Kriminalroman.. Simone Dorra

Hexenglut. Historischer Kriminalroman. - Simone Dorra


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hatte sie ihrer Äbtissin gehorcht und war fortgegangen, um eine Kranke zu pflegen und ihr Leiden zu lindern – und dadurch war sie in ein schreckenerregendes Chaos aus Verschwörungen, Mord und Totschlag geraten, das sie sich zuvor niemals hätte träumen lassen.

      Sie hatte die Leiche eines vergifteten jungen Mannes entdeckt und ausgerechnet gemeinsam mit einem protestantischen Professor aus Tübingen versucht, das gefährliche Netz aus Lügen und Intrigen zu entwirren, das rings um sie her gewoben worden war. Sie war sogar niedergeschlagen, betäubt und verschleppt worden. Und noch heute dankte sie ihrem Schöpfer bei jedem Gebet, dass sie trotz allem lebend und mehr oder weniger unversehrt in die Sicherheit des Klosters und zu ihren Schwestern hatte heimkehren dürfen.

      Sie hob die Augen zum Himmel. Nachdem die Wolken über die bewaldeten Hügel davongezogen waren, war er jetzt von durchsichtiger Klarheit, und die Kräuter in den Beeten noch nass von Regen und Tau. Der Duft nach frühem Thymian, Frauenmantel, Rosmarin, Beinwell und Salbei stieg rings um sie her auf wie eine balsamische Wolke und besänftigte ihre innere Unruhe.

      Fidelitas atmete tief durch und schloss die Augen.

      Adiuva me, Domine, dachte sie. Geh den Weg nach Freiburg an meiner Seite. Und bring mich danach schnell wieder zurück nach Hause.

      (14. Mai A. D. 1555)

      Es scheint, als hätte ich mich zu früh gefreut.

      Zwar ist mir der Überfall auf den dummen, vertrauensseligen Stöcklin wie ein unverhofftes Geschenk des Schicksals in den Schoß gefallen, aber genutzt hat er mir nichts. Die Räuber haben ihm zwar seine Waren abgenommen, doch bedauerlicherweise haben sie versäumt, ihn umzubringen, und er ist geflüchtet wie der Hase vor dem Fuchs. Dabei hat er sich ein Bein gebrochen, aber anstatt zu sterben, ist er ausgerechnet in einem Kloster gelandet, wo die frommen Frauen ihn wieder gesund gepflegt haben.

      Und jetzt kommt er nach Hause zurück – noch dazu in Begleitung einer Nonne. Damit ist der Schatz, den ich schon im Sack zu haben geglaubt hatte, wieder in weite Ferne gerückt. Denn um ihn mir widerstandslos auszuliefern, ist Vinzenz Stöcklin bei all seiner erbärmlichen Schwäche wahrscheinlich nicht skrupellos genug. Anders als seine Mutter, die vermutlich nicht zögern würde, für eine Handvoll Goldmünzen ihr Seelenheil zu verkaufen.

      Also werde ich mich in Geduld üben müssen.

      Erst einmal jedenfalls.

      II

      Das Haus mit den Rosenfenstern

      Die Reise von Frauenalb dauerte mehr als vier Tage, da der Wagen samt Zugpferd und Wachmännern nur sehr langsam vorankam. Vinzenz Stöcklin hatte zuerst um ein zusätzliches Pferd gebeten, um reiten zu können (und es auch erhalten), aber nach einem Tag im Sattel schmerzte das noch nicht vollständig verheilte Bein so heftig, dass er es vorzog, sich zu Fidelitas unter das Stoffdach zu setzen und dort auch für den Rest der Fahrt sitzen zu bleiben.

      Am Morgen des fünften Tages erwachten sie in der Rheinebene; sie hatten Offenburg schon hinter sich gelassen und am Vorabend im Marktflecken Emmendingen frisches Brot und Obst gekauft.

      »Wir sollten gut frühstücken, Schwester«, meinte einer der Knechte, die die Äbtissin zum Schutz mitgeschickt hatte. »Bis zur Stadt sind es vielleicht noch zwei Stunden, aber wenn wir am Tor aufgehalten werden, wartet sich's besser mit vollem Magen.«

      »Als ob wir dort warten müssten!«, mischte Vinzenz Stöcklin sich ein, dem die Ungeduld deutlich anzusehen war. »Ich bin Bürger von Freiburg und sämtlichen Wachen an den Toren wohlbekannt.«

      »Trotzdem kann es nicht schaden, wenn Ihr euch jetzt ein wenig die Beine vertretet«, gab Fidelitas sanft zu bedenken. »Dass Ihr nicht geritten seid, war hilfreich, aber das Gerüttel hat dem Knochen bestimmt nicht gerade gutgetan. Lasst uns ein paar Schritte machen, einen Becher Wasser trinken und eine Kleinigkeit essen. Keine Sorge – Ihr seid bald daheim.« Sie lächelte ihn an. »Und wenn Ihr Euch ein wenig warmgelaufen habt, müsst Ihr nachher nicht mühsam über die Schwelle Eures Hauses humpeln.«

      Vinzenz Stöcklin zögerte, dann nickte er langsam. »Wie Ihr meint, Schwester.«

      Zwei Knechte halfen ihm vom Wagen herunter, und er ging, auf Fidelitas' Arm gestützt, langsam die grasbewachsene Böschung seitlich der Straße entlang, darauf bedacht, das verletzte Bein nicht zu sehr zu belasten. Sie konnte sehen, dass ihn etwas beschäftigte.

      »Vergebt mir meine Ungeduld«, sagte er endlich nach einer ganzen Weile des Schweigens. »Aber ich muss unbedingt wissen, wie die Dinge in Freiburg stehen. Vor einer Woche hat mich ein Brief meiner Mutter erreicht, und der hat nicht gerade dazu beigetragen, mir das Herz zu erleichtern.«

      Fidelitas hielt es für reichlich rücksichtslos, einen Kranken, der sich erst auf dem Weg der Besserung befand, in Sorge zu versetzen, beschloss aber, ihre Ansicht für sich zu behalten.

      »Hat der Überfall Euch viel Geld gekostet?«, fragte sie stattdessen. »Ist der Verlust so hoch, dass er Euren Geschäften dauerhaft schaden könnte?«

      Vinzenz Stöcklin zog eine Grimasse.

      »Wenn ich behaupten würde, dass es mir um die geraubten Stoffe und das Geld in meiner Kassette nicht leidtut, müsste ich lügen«, gab er zu. »Meine Mittel sind allerdings groß genug, dass ich die Sache immerhin verschmerzen kann. Meine Mutter sieht das anders. Was begreiflich ist, wenn man bedenkt, dass mein Vater als kleiner Händler angefangen und sein Lebtag hart gearbeitet hat, um meiner Familie einen respektablen Platz unter den Kaufleuten von Freiburg zu verschaffen. Jetzt, da Krankheit und Alter ihn bewogen haben, mir die Geschäfte zu überlassen, beschäftigt er sich lieber mit der Stadtgeschichte.« Er warf Fidelitas einen halb ironischen Blick zu. »Was immer Ihr über mein schönes Freiburg erfahren wollt – fragt ihn, und ich garantiere Euch, er wird es wissen.«

      Fidelitas nickte, antwortete aber nicht, um seinen Gedankengang nicht zu unterbrechen. Sie wartete geduldig darauf, dass er fortfuhr.

      »Mutter hat immer Angst, wir könnten eines Tages in Not geraten«, sagte er endlich. Er sprach leise, als verriete er ihr ein gut gehütetes Geheimnis. »Niemand führt unsere Bücher so gründlich wie sie, niemand prüft jede einzelne Lieferung so streng, und niemand feilscht so grimmig um jede Münze, die wir bezahlen müssen. Unsere Zulieferer fürchten sie wie den Leibhaftigen.«

      Er räusperte sich ein wenig schuldbewusst.

      »Wer hart für seinen Reichtum gearbeitet hat, hat sicherlich Angst, ihn eines Tages zu verlieren«, sagte Fidelitas langsam. »Das kann ich verstehen.«

      »Tatsächlich?« Ein weiterer ironischer Blick. »Und das von einer Nonne, die lebenslange Armut gelobt hat? Ich muss sagen, Ihr erstaunt mich.«

      »Der Orden sorgt für mein Wohl«, erwiderte Fidelitas ernsthaft, »und mein Kloster gibt mir ein Zuhause. Ich habe keinen Grund, mich vor Hunger und Besitzlosigkeit zu fürchten. Aber in der Welt ist das Leben ganz anders. Nicht wahr?«

      »Richtig.« Vinzenz Stöcklin schnaubte leise. »In ihrem Brief hat Mutter mir vorgeworfen, ich hätte den Männern, die mich und meinen Wagen beschützen sollten, viel zu viel Geld gegeben. Schließlich hätten sie mich in der Stunde der Gefahr im Stich gelassen und wären schmählich geflohen.«

      »Die beiden, die bei der Verteidigung Eures Besitzes ihr Leben verloren haben, hatten keine Gelegenheit mehr zur Flucht.« Fidelitas sah ihn an. »Die anderen beiden haben immerhin unsere Knechte zu Euch geführt. Und Euch damit das Leben gerettet.«

      »Das weiß ich.« Vinzenz Stöcklin verzog den Mund. »Ich bezweifle bloß, dass meine Mutter das begreift.«

      Fidelitas drückte tröstend seinen Arm. »Sie war in großer Sorge um Euch,


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