Kafka und Felice. Unda Hörner

Kafka und Felice - Unda Hörner


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ihm wohlgesonnen und schätzen sehr, dass ihr Mitarbeiter größte Sorgfalt selbst auf nüchterne und staubtrockene Texte verwendet, in denen er versicherungstechnische Vorgänge und Gefahren beschreiben muss, die von so unaussprechlichen Geräten wie Sicherheitshobelmesserwellen ausgehen. Franz legt jedes Wort auf die Goldwaage, als zuverlässiger Diener des Unternehmens ist er unabkömmlich, es kommt gar nicht infrage, den fragilen jungen Mann den Gefechtsmühlen an der Front auszuliefern. Für Franz indessen ist die Arbeit im Kontor nur eines von zwei Übeln. Er hasst den täglichen Trott der Büroarbeit, der ihm alle Kraft zum Schreiben absaugt. Lieber heute als morgen würde er seinen Beamtenposten hinschmeißen, um sich ausschließlich seiner größten Leidenschaft zu widmen, der Literatur.

      Einen von Franz’ Briefen hat Felice auswendig im Kopf: »Meine Lebensweise ist nur auf das Schreiben hin eingerichtet und wenn sie Veränderungen erfährt so nur deshalb, um möglicher Weise dem Schreiben besser zu entsprechen, denn die Zeit ist kurz, die Kräfte sind klein, das Bureau ist ein Schrecken, die Wohnung ist laut und man muss sich mit Kunststücken durchzuwinden suchen, wenn es mit einem schönen geraden Leben nicht geht.«

      Vor fünf Jahren, im November 1912, als Franz dies schrieb, da hatte Felice noch fest an einen schönen, geraden Lebensweg geglaubt, an eine gemeinsame Zukunft in den üblichen Verhältnissen, er der Ernährer, sie die Hausfrau, irgendwann Kinder. Doch ein bürgerliches Familienleben ist nichts für Franz, das hat sie längst eingesehen, und auch Felice liebt ihre Arbeit in der Firma mehr, als sie es sich früher eingestehen wollte. Auch als verheiratete Frau Kafka wird sie beruflich nicht zurückstecken, sondern weiter als Prokuristin tätig sein. Manchmal übt sie den neuen Namen schon auf dem Papier: Felice Kafka, mit freundlichen Grüßen.

      Wie unendlich lange haben sie gebraucht, wie viele Briefe mussten zwischen Berlin und Prag hin und her gehen, um einander zu finden! Wohl kein anderes Brautpaar auf der Welt hatte eine solche Achterbahnfahrt hinter sich wie Franz und Felice.

       Damals bei Brods

      Am 13. August 1912 war Felice Bauer Dr. Franz Kafka zufällig im Hause der Familie Brod in der Prager Schalengasse begegnet. Sie war auf Durchreise nach Budapest und stattete Max Brod, mit dem sie um Ecken verwandt war – ihr Cousin hatte Max’ Schwester Sophie geheiratet –, am frühen Abend einen Besuch ab. Felice, der durch seine Brille etwas neunmalklug blickende Max, dessen jüngerer Bruder Otto und die Eltern Brod saßen beim Nachtmahl am Tisch, als es an der Tür läutete. Mit dem Eintreffen des seltsamen Herrn Kafka zu vorgerückter Stunde, neun Uhr war schon vorüber, empfand Felice sich unversehens als Störenfried. Der schriftstellernde Doktor war eigens hergekommen, um mit seinem Freund Max über Literatur zu sprechen, über sein Manuskript, das den Titel Betrachtung trug. Einen fremden, unerwarteten Gast in der Familie vorzufinden, schien ihm daher so gar nicht in den Kram zu passen. Und dass Otto später auch noch anfing, zur Unterhaltung der Gäste auf dem Klavier herumzuklimpern! Felice versuchte, ihre Verunsicherung zu verbergen, sie verschanzte sich hinter einer förmlichen Begrüßung des mit unhöflicher Gleichgültigkeit dreinblickenden Herrn Dr. Kafka, die jede Herzlichkeit vermissen ließ. Umso überraschter war Felice, als der alsbald auftaute und während des Essens Fotografien aus der Tasche zauberte, die jemand auf einer Fahrt mit dem Dampfschiff Thalia gemacht hatte, das neben anderen fernen Ländern auch Palästina ansteuerte. Felice legte das Besteck auf den Teller und schaute sich, vor allem erleichtert über die unvermittelte Lockerung des späten Gastes, aber durchaus mit Interesse, die Aufnahmen an, die er ihr über den Tisch hinüberreichte. Sie zeigten eine luxuriöse Schiffskabine und den stattlichen, weißen Dampfer, der vor einer malerischen Kulisse an der Küste Palästinas vor Anker lag. Unvorsichtigerweise prahlte Felice damit, dass sie angefangen habe, Hebräisch zu lernen, der Doktor fühlte ihr gleich auf den Zahn: Ob sie dann auch wisse, was der Name der Stadt Tel Aviv bedeute. Peinlich, Felice musste passen. Ihr Unwissen bedeute aber keineswegs, dass sie sich nicht für den Zionismus interessiere, schickte sie rasch hinterher, die Bewegung, die einen israelischen Staat in Palästina anstrebe, sei der beste Impuls gegen den Antisemitismus, der auch in Berlin immer wieder aufflamme. Max Brod pflichtete bei, seit er Martin Buber in Prag übers Judentum hatte sprechen hören, sei er ein glühender Anhänger des von Theodor Herzl 1897 ins Leben gerufenen Zionismus. Prager Deutsche und Tschechen waren sich nicht besonders grün, doch arrangierten sie sich zwangsläufig unter der Krone, und was sie einte, war der Hass auf die Juden, unter diesen Umständen erschien der Siedlungsgedanke im Nahen Osten wie ein Silberstreif am Horizont, Palästina, das klang wie ein magisches Zauberwort. Wie auf Kommando zog Kafka eine Ausgabe der gleichnamigen Zeitschrift aus der Tasche, und Felice traute ihren Ohren nicht, als der Fremde, den sie gerade eben kennengelernt hatte, ihr nun allen Ernstes eine gemeinsame Reise ins Gelobte Land vorschlug. Sie lächelte höflich, mit entwaffnender Geste streckte ihr Franz Kafka über den Tisch die Hand entgegen. Überrumpelt, leicht amüsiert und durchaus geschmeichelt durch diesen Überfall, schlug Felice ein.

      Da Franz Kafka auch noch das jiddische Jargontheater ansprach, für dessen Tradition er sich interessierte, brachte Felice das Gespräch geschickt auf Berlin und die lustige Aufführung der Posse Das Autoliebchen, die sie neulich im Thalia-Theater in der Dresdener Straße gesehen hatte. Ja, das haben die Mädchen so gerne war ein Ohrwurm aus der Revue, der seitdem die Runde machte und auf Schellackplatte zu haben war. Kein Thema, das bei den Männern auf fruchtbaren Boden fiel, mit populären Possen schienen sie sich nicht abgeben zu wollen. Franz kannte das Theater von einem früheren Berlin-Besuch, hatte allerdings »mit einem Gähnen meines ganzen Menschen größer als die Bühnenöffnung« in dem prächtigen Saal gesessen. Das Duett aus dem Autoliebchen ging Felice aber nicht aus dem Kopf: ›Hat ein Jüngling sich erklärt, dass er Herz und Hand begehrt, heißt es: Nun mal flink den Verlobungsring!‹ Felice, die gern mal ein Liedchen anstimmte, verkniff es sich lieber, das schmissige Couplet hier in der ernsten literarischen Runde zum Besten zu geben.

      Als Kafka seine drei Schwestern erwähnte, erzählte Felice ihrerseits von drei Schwestern, alle brünett wie sie, und von Ferdinand, genannt Ferri, ihrem einzigen Bruder, der sie, Felice rieb sich demonstrativ den Unterarm, als sei der Schmerz bis heute nicht von ihr gewichen, immer gehauen hatte, als er ein kleiner Junge war, so heftig, dass sie blaue Flecke davontrug. Ob der so wohlerzogen wirkende Herr Kafka seine Schwestern auch derart malträtiert hatte? Schwer vorstellbar, dass er nicht schon als Kind jene Ernsthaftigkeit ausgestrahlt hatte, mit der er auftrat. Frau Brod kümmerten weder Zionismus noch Berliner Revuen oder Geschwister; sie schwärmte den ganzen Abend vom schönen Batistkleid, das sie in Felices Hotelzimmer gesehen hatte, wo man sowas Feines in Prag wohl bekommen könne?

      Zu Felices eher unbehaglichen Erinnerungen an den Abend bei Brods in Prag gehörten vor allem ihre durchnässten Schuhe, mit denen sie tagsüber durch den schrecklichen Dauerregen gelaufen war, bis hinauf auf den Hradschin, den ihr ein Prager Kollege trotz des Hundewetters unbedingt hatte zeigen wollen. Wie hatte sie bloß ihren Regenschirm in der Bahn vergessen können! Als das Geschirr abgeräumt wurde und sie ins Klavierzimmer wechselten, und als Felice sich vom Tisch erhoben hatte, fiel Herrn Kafkas verwunderter Blick auf ihr Schuhwerk: Sie trug die Pantoffeln der Frau Brod, weil die Stiefel austrocknen mussten. Etwas verlegen, weil sie glaubte, ihren leicht schlurfenden Gang erklären zu müssen, verriet Felice, dass sie zu Hause an Pantoffeln mit Absätzen gewöhnt sei. Dass es sowas wie Pantoffeln mit Absätzen überhaupt gab, löste bei Kafka große Verwunderung aus, offenbar hatte er sich trotz dreier Schwestern nie näher mit Damenpantoffeln befasst.

      Im Klavierzimmer saß Felice Herrn Kafka direkt gegenüber, der nun endlich dazu kam, seine Manuskriptseiten auf dem Tisch auszubreiten, noch unentschieden, in welcher Reihenfolge er die einzelnen Erzählungen der Betrachtung präsentieren sollte. Ob das Stück mit dem Titel Das Unglück des Junggesellen vor dem stehen sollte, das Entlarvung eines Bauernfängers hieß, oder ob der Junggeselle besser ganz ans Ende gehöre und der Bauernfänger an den Anfang. Felice ließ die beiden Schriftsteller wissen, sie schriebe gern Manuskripte ab, vielleicht könne Max ihr gelegentlich ein wenig Arbeit schicken. Kafka schlug bei ihren Worten energisch mit der Hand auf den Tisch. In sein Gesicht trat ein erstaunter Ausdruck. Mit Frauen, die sich zutrauten, literarische Texte fehlerfrei zu kopieren, schien er noch keine Bekanntschaft gemacht zu haben. Auch hatte er bislang noch nichts veröffentlicht,


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