Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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Clo, ich habe einen Grund.«

      Sie blieb ste­hen und blick­te ihm ins Ge­sicht:

      »Du schwin­delst … Wel­chen Grund?«

      Er wur­de rot und wuss­te nicht, was er sa­gen soll­te. Ent­rüs­tet fuhr sie fort: »Da siehst du, es ist Schwin­del … Du wi­der­wär­ti­ger Kerl.«

      Mit ei­ner wü­ten­den Ge­bär­de und Trä­nen in den Au­gen riss sie sich von ihm weg.

      Er fass­te sie noch ein­mal an den Schul­tern. Er war fas­sungs­los und be­reit, al­les zu ge­ste­hen, nur um einen Bruch zu ver­mei­den. Mit ver­zwei­fel­ter Stim­me er­klär­te er: »Der Grund ist … ich be­sit­ze kei­nen ein­zi­gen Sou.«

      Sie blieb plötz­lich ste­hen und sah ihm fest in die Au­gen, als woll­te sie die Wahr­heit her­aus­le­sen: »Du sag­test?«

      Er war bis in die Haar­wur­zeln rot ge­wor­den.

      »Ich sage, ich habe kei­nen Sou. Ver­stehst du mich? Kei­ne zwan­zig Sous, kei­ne zehn, nicht ein­mal so viel, um für dich im Café einen Li­kör zu be­zah­len. Du zwingst mich zu die­sem be­schä­men­den Ge­ständ­nis. Ich konn­te doch nicht mit dir aus­ge­hen, und wenn un­se­re Ge­trän­ke vor uns stän­den, dir ein­fach er­klä­ren: ich kön­ne sie nicht be­zah­len.«

      Sie sah ihm im­mer noch ins Ge­sicht:

      »Also wirk­lich … das ist al­les wahr?«

      Im Nu dreh­te er alle sei­ne Ta­schen um, Ho­sen­ta­schen, Rock- und Wes­ten­ta­sche und rief: »Nun … bist du jetzt zu­frie­den?«

      Plötz­lich öff­ne­te sie lei­den­schaft­lich ihre bei­den Arme, sprang ihm um den Hals und stam­mel­te:

      »Oh, du mein ar­mer Lieb­ling… ar­mer Lieb­ling. Wenn ich das nur ge­wusst hät­te! Aber wie ist denn das ge­kom­men?«

      Sie zog ihn zum Sofa und setz­te sich auf sei­ne Knie; sie leg­te ihre Arme um sei­nen Hals und küss­te ihn im­mer­fort; sie küss­te ihn auf sei­nen Schnurr­bart, auf sei­nen Mund, auf sei­ne Au­gen, und zwang ihn, zu er­zäh­len, wie er in die üble Lage ge­ra­ten war. Er er­fand eine rüh­ren­de Ge­schich­te. Er habe sei­nem Va­ter, der in Not ge­ra­ten war, hel­fen müs­sen, und nicht nur alle sei­ne Er­spar­nis­se hin­ge­ge­ben, son­dern auch drücken­de Schul­den auf sich ge­la­den.

      »Ich wer­de min­des­tens sechs Mo­na­te hun­gern müs­sen,« füg­te er hin­zu, »denn alle mei­ne Hilfs­quel­len sind er­schöpft. Es hilft eben nichts; es gibt halt schwe­re Stun­den im Le­ben. Im Üb­ri­gen lohnt es sich nicht, sich we­gen lum­pi­gen Gel­des Sor­gen zu ma­chen.«

      Sie flüs­ter­te ihm ins Ohr:

      »Ich will dir wel­ches lei­hen, willst du?«

      Er ant­wor­te­te wür­de­voll:

      »Das ist sehr lieb von dir, mein Herz, aber ich bit­te dich, spre­chen wir nicht mehr da­von, das ver­letzt mich.«

      Sie schwieg, dann drück­te sie ihn fest an sich und flüs­ter­te:

      »Du kannst dir gar nicht vor­stel­len, wie ich dich lie­be!«

      So einen zar­ten und lie­be­vol­len Abend hat­ten sie noch nie ver­bracht.

      Als sie fort­ge­hen woll­te, sag­te sie lä­chelnd:

      »Wenn man in dei­ner Lage ist, muss es ganz hübsch sein, plötz­lich in der Ta­sche ein Geld­stück zu fin­den, das ins Fut­ter ge­rutscht ist.«

      Er er­wi­der­te mit Über­zeu­gung: »Ach ja, das wäre sehr an­ge­nehm.«

      Sie woll­te zu Fuß nach Hau­se ge­hen un­ter dem Vor­wand, der Mond­schein wäre so herr­lich und sie be­geis­ter­te sich bei die­sem An­blick.

      Es war eine kal­te, schö­ne Win­ter­nacht. Men­schen und Pfer­de schrit­ten rasch und mun­ter in der hel­len, fros­ti­gen Luft. Die Ha­cken schall­ten auf den Bür­ger­stei­gen.

      Beim Ab­schied frag­te sie ihn:

      »Se­hen wir uns über­mor­gen wie­der?«

      »Ge­wiss.«

      »Um die­sel­be Zeit?«

      »Gut, um die­sel­be Zeit.«

      »Auf Wie­der­se­hen, mein Lieb­ling.«

      Und sie küss­ten sich zärt­lich.

      Er kehr­te ei­ligst nach Hau­se und zer­brach sich un­ter­wegs den Kopf, was er nun be­gin­nen soll­te, um sich aus der Klem­me zu zie­hen. Doch als er sei­ne Zim­mer­tür öff­ne­te und in sei­ner Wes­ten­ta­sche nach ei­nem Streich­holz such­te, fühl­te er zu sei­nem Stau­nen dar­in ein Gold­stück. Er zün­de­te das Licht an und be­sah sich nä­her die Mün­ze. Es war ein Zwan­zig­fran­cs­stück. Zu­erst dach­te er, er sei ver­rückt ge­wor­den. Er dreh­te es hin und her und über­leg­te, durch wel­ches Wun­der die­ses Geld in sei­ne Ta­sche ge­langt war. Es konn­te doch nicht vom Him­mel her­ab­ge­fal­len sein!

      Plötz­lich fiel es ihm ein und eine hef­ti­ge Ent­rüs­tung er­griff ihn. Sei­ne Ge­lieb­te hat­te ja in der Tat von Geld ge­spro­chen, das ins Fut­ter ge­rutscht sei und das man in Stun­den der Not wie­der­fän­de. Von ihr also stamm­te das Al­mo­sen. Wel­che Schan­de!

      »Na, über­mor­gen soll sie se­hen!« schwor er sich. »Sie wird eine hüb­sche Vier­tel­stun­de er­le­ben.«

      Er leg­te sich zu Bett, das Herz voll Scham und Zorn.

      Er wach­te spät auf. Er hat­te Hun­ger und ver­such­te, noch ein­mal ein­zu­schla­fen, um erst ge­gen zwei Uhr auf­zu­ste­hen. Dann sag­te er sich: »Da­mit kom­me ich nicht wei­ter, ich muss doch schließ­lich se­hen, wie ich Geld krie­ge.« Dann ging er aus, in der Hoff­nung-, dass auf der Stra­ße ihm ir­gend­ein gu­ter Ein­falt kom­men wür­de.

      Es kam aber kei­ner. Doch je­des Mal, wenn er an ei­nem Re­stau­rant vor­bei muss­te, über­fiel ihn ein sol­cher Hun­ger, dass ihm der Spei­chel im Mun­de zu­sam­men­lief. Als ihm mit­tags im­mer noch nichts ein­ge­fal­len war, ent­schloss er sich kurz: »Ach was, ich wer­de mit den zwan­zig Fran­cs von Clo­til­de früh­stücken. Ich schaf­fe es ir­gend­wie, dass ich es ihr mor­gen wie­der­ge­ben kann.«

      Er aß also in der Braue­rei für zwei Fran­cs fünf­zig. Beim Be­tre­ten der Re­dak­ti­on gab er dem Bo­ten die drei Fran­cs wie­der zu­rück:

      »Hier, Fou­cart, ha­ben Sie das Geld wie­der, das Sie mir ges­tern für mei­ne Drosch­ke ge­lie­hen ha­ben.«

      Er ar­bei­te­te bis sie­ben Uhr und ging dann Mit­tag es­sen, und nahm aber­mals drei Fran­cs von dem­sel­ben Gel­de. Mit den bei­den Glas Bier, die er abends trank, be­trug sei­ne Ta­ges­aus­ga­be neun Fran­cs drei­ßig Cen­ti­mes.

      Da er bin­nen vier­und­zwan­zig Stun­den sich we­der Geld noch Kre­dit ver­schaf­fen konn­te, so nahm er am fol­gen­den Tage noch­mals von dem Gel­de, das er am sel­ben Abend zu­rück­er­stat­ten woll­te, sechs Fran­cs fünf­zig Cen­ti­mes; und so er­schi­en er zum Ren­dez­vous mit vier Fran­cs zwan­zig in der Ta­sche.

      Sei­ne Lau­ne war die ei­nes tol­len Hun­des, und er nahm sich vor, die Lage so­fort klar zu stel­len; er wür­de sei­ner Ge­lieb­ten sa­gen: »Du weißt, ich habe die zwan­zig Fran­cs ge­fun­den, die du mir vor­ges­tern in die Ta­sche ge­steckt hast. Ich kann sie dir heu­te noch nicht zu­rück­ge­ben, weil mei­ne Lage sich in­zwi­schen noch nicht ge­än­dert hat, und au­ßer­dem hat­te


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