Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Woche; er flehte sie an, früher zu kommen, mit stammelnden Worten und leuchtenden Augen, während er ihre Hände streichelte, drückte und presste. Sein Gesicht glühte fieberhaft, verzerrt von Verlangen, das einer Mahlzeit zu zweien zu folgen pflegt. Es machte ihr Spaß, sein glühendes Bitten zu sehen und zu hören und sie ging einen Tag nach dem anderen zurück. Aber er wiederholte immerfort:
»Morgen … Sagen Sie … morgen.«
Endlich willigte sie ein. »Gut, also morgen, um fünf.«
Freudig und erleichtert seufzte er auf und nun plauderten sie wieder ganz ruhig; sie waren so vertraut miteinander, als hätten sie sich bereits seit zwanzig Jahren gekannt.
Ein Klingelzeichen ertönte; mit einem Ruck fuhren sie auseinander.
»Es wird wohl Laurine sein«, flüsterte sie.
Das Kind erschien, blieb einen Augenblick erstaunt stehen und lief dann händeklatschend auf Duroy zu. Als sie ihn sah, war sie außer sich vor Freude und rief:
»Ah, mein Bel-Ami.«
Madame de Marelle begann zu lachen:
»Halt, Bel-Ami. Laurine hat Sie so getauft. Das ist ein netter Kosename für Sie und ich werde Sie auch ›Bel-Ami‹ nennen.«
Er nahm das Mädchen auf die Knie und musste nun mit ihr alle die Spiele spielen, die er sie gelehrt hatte.
Zwanzig Minuten vor drei brach er auf, um auf die Redaktion zu gehen. Auf der Treppe flüsterte er nochmals durch die halboffene Tür:
»Morgen, um fünf.«
Die junge Frau antwortete lächelnd »Ja« und verschwand.
Sobald er seine Tagesarbeit erledigt hatte, überlegte er sich, wie er sein Zimmer ausschmücken sollte, um seine Geliebte zu empfangen, und wie er am besten die Ärmlichkeit des Raumes verbergen sollte. Er kam auf den Gedanken, allerlei kleine japanische Gegenstände mit Stecknadeln an den Wänden zu befestigen und kaufte sich für fünf Francs eine ganze Sammlung von kleinen Fächern und Wandschirmen, mit denen er die beschmutzten Stellen der Tapete verdeckte. Auf die Fensterscheiben klebte er durchscheinende Bilder von Flüssen mit Kähnen, von Vogelschwärmen auf glühendem Himmel, von buntgekleideten Damen oder von einer Reihe kleiner, schwarzer Gestalten, die auf einer schneebedeckten Ebene wanderten.
Auf diese Weise sah sein Zimmer, das gerade groß genug war, um darin zu schlafen und zu sitzen, sehr bald wie das Innere einer bemalten Papierlaterne aus. Er hielt die Wirkung für hinreichend und verbrachte den Abend damit, aus kolorierten Blättern, die er noch besaß, einige Vögel auszuschneiden und an die Decke zu kleben. Dann legte er sich schlafen, eingewiegt durch das Pfeifen der Eisenbahnzüge.
Am nächsten Tage kehrte er frühzeitig heim und brachte Gebäck und eine Flasche Madeira mit, die er beim Kolonialwarenhändler gekauft hatte. Dann musste er nochmals hinunter, um zwei Teller und zwei Gläser zu besorgen, worauf er alles auf den Waschtisch stellte, dessen schmutzige Platte er durch eine Serviette verdeckte. Das Waschbecken und den Wasserkrug hatte er darunter versteckt.
Und nun wartete er.
Um viertel nach fünf erschien sie; die bunten Bilderchen gefielen ihr sehr, und sie rief:
»Es ist nett bei Ihnen, nur auf der Treppe trifft man zu viel Leute.«
Er nahm sie in seine Arme und küsste leidenschaftlich ihre Haare durch den Schleier hindurch zwischen Stirn und Hut.
Anderthalb Stunden später begleitete er sie zu einer Droschkenhaltestelle in der Rue de Rome. Als sie im Wagen saß, sagte er leise:
»Dienstag um dieselbe Zeit.«
Sie wiederholte:
»Um dieselbe Zeit Dienstag.«
Da es schon dunkelte, zog sie seinen Kopf noch einmal an sich und küsste ihn auf den Mund.
Der Kutscher hieb auf sein Pferd ein; sie rief:
»Leb’ wohl, Bel-Ami!«
Der Schimmel begann langsam zu traben und die Droschke rollte davon.
Drei Wochen lang besuchte Frau de Marelle jeden zweiten oder dritten Tag ihren Freund, manchmal des Morgens, manchmal des Abends.
Eines Nachmittags, als er sie erwartete, hörte er lauten Lärm auf der Treppe und eilte nach der Tür. Ein Kind heulte. Eine wütende Männerstimme schrie:
»Willst du Halunke wohl das Maul halten.«
Eine schrille, keifende Weiberstimme antwortete:
»Die dreckige Hure, die immer zum Journalisten hinaufläuft, hat meinen Nicolas umgestoßen. So ein Gesindel läuft hier frei herum und gibt nicht mal auf die Kinder auf der Treppe acht.«
Duroy war entsetzt und zog sich zurück, denn schon hörte er das Rauschen von Röcken und hastige Schritte die letzte Treppe hinaufeilen.
Es klopfte gleich darauf an seiner Tür, die er wieder geschlossen hatte, und er öffnete. Madame de Marelle stürzte atemlos, verstört ins Zimmer und stammelte: »Hast du gehört?«
Er tat, als ob er von nichts wüsste:
»Nein, was denn?«
»Wie sie mich beleidigt haben?«
»Wer?«
»Die abscheulichen Menschen, die da unten wohnen.«
»Aber nein, was gibt es denn? Sage es mir doch!«
Sie fing an zu schluchzen und konnte kein Wort hervorbringen. Er musste ihr den Hut abnehmen, ihr Korsett öffnen, sie aufs Bett legen und ihre Schläfen mit einem feuchten Tuch kühlen; sie erstickte fast. Dann, als ihre Erregung sich etwas gelegt hatte, brach ihre ganze Wut und Entrüstung los. Er sollte sofort hinuntergehen, sich mit den Leuten schlagen, sie umbringen.
»Das sind doch Arbeiter, rohe Menschen«, wiederholte er immer wieder. »Bedenke doch, man müsste sie der Polizei anzeigen, du könntest erkannt und festgenommen werden, du wärest verloren. Man gibt sich mit solchen Leuten nicht ab.«
Sie kam nun auf einen anderen Gedanken.
»Was sollen wir tun, ich kann nicht wieder herkommen!«
»Ganz einfach,« erwiderte er, »ich ziehe aus.«
Sie murmelte:
»Ja, aber das dauert zu lange.«
Dann fiel ihr plötzlich etwas anderes ein und sie sagte schnell und wieder ganz heiter:
»Nein, höre mal, ich weiß etwas. Überlass