Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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ihre Ge­dan­ken weil­ten bei der Lie­be, schwol­len lang­sam an und wirk­ten be­rau­schend auf ihre See­len, wie der hel­le Cham­pa­gner, der Trop­fen für Trop­fen durch ihre Keh­len rann, ihr Blut er­hitz­te und den Geist ver­wirr­te.

      Man ser­vier­te zar­te, leich­te Ham­mel­ko­te­letts, die auf ei­ner dich­ten Un­ter­la­ge von Spar­gel­spit­zen la­gen.

      »Oh, das ist was Fei­nes!« rief Fo­res­tier aus.

      Und sie aßen lang­sam und ge­nos­sen das schö­ne Fleisch und das wei­che cre­me­ar­ti­ge Ge­mü­se.

      Du­roy fuhr fort:

      »Wenn ich eine Frau lie­be, dann ver­schwin­det für mich al­les üb­ri­ge auf der Welt.«

      Er sag­te das aus vol­ler Über­zeu­gung und be­rausch­te sich an die­sem Vor­ge­fühl von Lie­bes­freu­de, wie er sich eben jetzt an dem Ge­nuss und Wohl­ge­schmack der Ta­fel be­geis­ter­te.

      Ma­da­me Fo­res­tier mur­mel­te mit ei­nem un­ver­ständ­li­chen und un­nah­ba­ren Ge­sichts­aus­druck:

      »Es gibt kein grö­ße­res Glück als den ers­ten Hän­de­druck, wenn die eine Hand fragt: ›Liebst du mich?’, und die an­de­re dar­auf mit ei­nem lei­sen Druck er­wi­dert: ›Ja, ich lie­be dich!’«

      Ma­da­me de Ma­rel­le hat­te eben wie­der ein neu­es Glas Cham­pa­gner aus­ge­trun­ken und setz­te es wie­der hin mit den Wor­ten:

      »Ich bin we­ni­ger pla­to­nisch!«

      Alle lach­ten und stimm­ten ihr mit er­reg­ten Bli­cken zu.

      Fo­res­tier lehn­te sich auf dem Sofa zu­rück, stütz­te sich mit aus­ge­brei­te­ten Ar­men auf die Kis­sen und sag­te ganz ernst­haft:

      »Die­se Frei­mü­tig­keit ehrt Sie und be­weist, dass Sie eine of­fen­her­zi­ge, prak­ti­sche Frau sind. Aber dürf­te ich viel­leicht er­fah­ren, wel­cher An­sicht Ihr Herr Ge­mahl ist?«

      Sie zuck­te be­däch­tig die Ach­seln, mit tiefer Ver­ach­tung, dann sag­te sie mit kla­rer Stim­me:

      »Mein Mann hat über die­sen Punkt über­haupt kei­ne Mei­nung … er ent­hält sich …«

      Dann glitt die Un­ter­hal­tung lang­sam von den all­ge­mei­nen Theo­ri­en über Lie­be auf jene schlüpf­ri­gen Ge­bie­te hin­ab, wo man an fei­nen An­spie­lun­gen aus dem Reich des Eros Ge­fal­len fin­det.

      Es kam zu wit­zi­gen, ge­schick­ten Zwei­deu­tig­kei­ten, zu ei­nem Schlei­er­lüf­ten mit Wor­ten. Es über­stürz­ten sich ver­we­ge­ne Scher­ze und pi­kan­te An­deu­tun­gen, die uns al­les blitz­ar­tig klar und scharf vor Au­gen füh­ren, was wir nie­mals aus­zu­spre­chen wa­gen wür­den und uns plötz­lich in lei­den­schaft­li­cher Er­re­gung al­les ent­hül­len, was sonst scham­haft und ver­schwie­gen bei uns im In­nern ver­schlos­sen bleibt, und was der vor­neh­men Ge­sell­schaft eine Art ge­heim­nis­vol­ler Wol­lust ge­währt, eine Art un­keu­scher Berüh­rung der Ge­dan­ken durch die gleich­zei­tig auf­re­gen­de, sinn­li­che Be­schwö­rung al­ler ge­hei­men, scham­lo­sen Trie­be.

      Man brach­te den Bra­ten: Reb­hüh­ner, mit Wach­teln gar­niert, jun­ge Erb­sen und dann eine Ter­ri­ne Gän­se­le­ber­pas­te­te, zu der es Salat gab, der wie grü­ner Schaum eine große Salat­schüs­sel in Form ei­nes La­voirs füll­te.

      Sie kos­te­ten von al­lem, ohne dar­auf zu ach­ten, was sie ei­gent­lich aßen, so sehr wa­ren sie mit ih­ren Ge­dan­ken und der Un­ter­hal­tung be­schäf­tigt, als ob sie in ein Bad von Lie­be tauch­ten.

      Die bei­den Da­men be­gan­nen bald auch An­ek­do­ten zu er­zäh­len. Ma­da­me de Ma­rel­le tat es mit ei­ner na­tür­li­chen Kühn­heit, die fast her­aus­for­dernd wirk­te, wäh­rend Ma­da­me Fo­res­tier mit ei­ner ge­wis­sen Ver­schämt­heit im Ton, in der Stim­me, im Lä­cheln und in ih­rem gan­zen We­sen eine rei­zen­de, al­ler­liebs­te Zu­rück­hal­tung be­wahr­te, was alle Keck­hei­ten, die ih­rem Mun­de ent­quol­len, schein­bar mil­der­te, in Wahr­heit aber un­ter­strich.

      Fo­res­tier hat­te sich ganz und gar zwi­schen die So­fa­kis­sen ver­gra­ben; er lach­te, trank und aß un­un­ter­bro­chen und warf hin und wie­der eine so un­zwei­deu­ti­ge Be­mer­kung da­zwi­schen, dass die Frau­en der brüs­ken Form hal­ber et­was un­ge­hal­ten wa­ren und ei­ni­ge Se­kun­den lang ein ver­le­ge­nes Ge­sicht zeig­ten. Hat­te er eine zu der­be Zote vor­ge­bracht, dann setz­te er hin­zu:

      »Ihr be­nehmt euch fein, mei­ne Kin­der, wenn es so wei­ter geht, wer­det ihr noch al­ler­hand Dumm­hei­ten an­stel­len.«

      Nach dem Des­sert wur­de Kaf­fee ser­viert, und die Li­kö­re weck­ten in den er­reg­ten Ge­mü­tern eine noch schwe­re­re und hei­ße­re Un­ru­he.

      Ma­da­me de Ma­rel­le war an­ge­hei­tert, wie sie es sich bei Be­ginn der Mahl­zeit vor­ge­nom­men hat­te, und das er­kann­te sie ohne wei­te­res an mit der lus­ti­gen, schwatz­haf­ten An­mut ei­ner Frau, die einen tat­säch­lich klei­nen Rausch über­treibt, um ihre Gäs­te zu amü­sie­ren.

      Ma­da­me Fo­res­tier schwieg ver­mut­lich aus Vor­sicht, und auch Du­roy, der fühl­te, dass er in sei­nem an­ge­reg­ten Zu­stan­de leicht einen Miss­griff be­ge­hen konn­te, be­wahr­te eine ge­schick­te Zu­rück­hal­tung.

      Jetzt wur­den Zi­ga­ret­ten her­um­ge­reicht und Fo­res­tier be­gann plötz­lich zu hus­ten. Es war ein schreck­li­cher An­fall, der ihm die Brust bei­na­he zu zer­rei­ßen schi­en. Mit krebs­ro­tem Ge­sicht, die Stir­ne mit Schweiß be­deckt, er­stick­te er fast in sei­ner vor­ge­hal­te­nen Ser­vi­et­te. Als der An­fall ei­ni­ger­ma­ßen vor­bei war, mur­mel­te er wü­tend:

      »Es ist zu dumm, ich kann sol­che Fes­te nicht mit­ma­chen.«

      Sei­ne gan­ze, gute Lau­ne ver­schwand vor der Angst, die ihm der Ge­dan­ke an sei­ne Krank­heit ein­flö­ßte:

      »Ge­hen wir nach Hau­se«, sag­te er.

      Ma­da­me de Ma­rel­le klin­gel­te nach dem Kell­ner und ver­lang­te die Rech­nung. Sie er­hielt sie so­gleich und ver­such­te, sie zu le­sen, aber die Zif­fern tanz­ten ihr vor den Au­gen und sie reich­te Du­roy das Pa­pier:

      »Bit­te, be­zah­len Sie für mich, ich kann nicht mehr le­sen, ich bin zu be­rauscht.«

      Und gleich­zei­tig warf sie ihm die Bör­se zu. — Die Rech­nung be­trug hun­dert­und­drei­ßig Fran­cs. Du­roy prüf­te sie, gab zwei Bank­no­ten, ließ sich her­aus­ge­ben und frag­te halb­laut: »Wie viel soll ich dem Kell­ner ge­ben?«

      »Was Sie wol­len, ich weiß nicht.«

      Er leg­te fünf Fran­cs auf den Tel­ler, gab der jun­gen Frau ihre Bör­se zu­rück und sag­te:

      »Darf ich Sie nach Hau­se be­glei­ten?«

      »Aber un­be­dingt. Ich bin über­haupt nicht mehr im­stan­de, mei­ne Woh­nung zu fin­den.«

      Sie drück­ten Herrn und Frau Fo­res­tier die Hand, und gleich dar­auf saß Du­roy al­lein mit Ma­da­me de Ma­rel­le in ei­ner rol­len­den Drosch­ke.

      Sie wa­ren jetzt dicht an­ein­an­der ge­drängt in die­sem schwar­zen Kas­ten ein­ge­schlos­sen, der dann und wann auf einen Au­gen­blick durch das Licht der Stra­ßen­la­ter­ne be­leuch­tet wur­de. Er fühl­te durch sei­nen


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