Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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Bi­schö­fen, Kupp­lern, Män­nern der bes­ten Ge­sell­schaft, Falsch­spie­lern, Drosch­ken­kut­schern, Kell­nern und vie­len an­de­ren Leu­ten; er war der be­rech­nen­de und gleich­gül­ti­ge Freund al­ler ge­wor­den, ach­te­te alle gleich hoch und gleich nied­rig, maß sie mit dem­sel­ben Maße, be­ur­teil­te sie mit dem­sel­ben Blick, denn er muss­te sie an je­dem Tage und zu je­der Stun­de in der­sel­ben Stim­mung be­grü­ßen und mit ih­nen über al­les, was sei­nen Be­ruf an­ging, spre­chen. Er selbst kam sich da­bei wie ein Mensch vor, der un­mit­tel­bar hin­ter­ein­an­der von al­len mög­li­chen Wei­nen kos­ten muss und schließ­lich den feins­ten Cha­teau-Mar­gaux von Ar­gen­teuil nicht mehr un­ter­schei­den kann.

      Er wur­de in kur­z­er Zeit ein acht­ba­rer Re­por­ter, zu­ver­läs­sig in sei­nen Nach­rich­ten, lis­tig, schnell und ge­nau, eine wert­vol­le Kraft für die Zei­tung, wie der alte Wal­ter be­haup­te­te, der sich in Re­dak­teu­ren aus­kann­te.

      Da er aber au­ßer sei­nem fes­ten Ge­halt von zwei­hun­dert Fran­cs nur zehn Cen­ti­mes für die Zei­le be­kam und da das Le­ben in den Bou­le­vards, in den Cafés und Re­stau­rants teu­er war, so hat­te er nie einen Sous in der Ta­sche und war ver­zwei­felt über sei­ne Ar­mut.

      Es steckt ir­gend­ein Kniff da­hin­ter, dach­te er, wenn er man­che sei­ner Kol­le­gen mit geld­ge­füll­ten Ta­schen sah, ohne je zu be­grei­fen, wel­che ge­hei­men Mit­tel sie wohl an­wand­ten, um sich die­sen Wohl­stand zu ver­schaf­fen. Er wit­ter­te vol­ler Neid ir­gend­wel­che heim­li­chen und ver­däch­ti­gen Ab­ma­chun­gen, ein ge­gen­sei­ti­ges Schmug­gel­sys­tem. Auch er muss­te hin­ter das Ge­heim­nis kom­men, auch er woll­te Mit­glied die­ser ver­schwie­ge­nen Ge­nos­sen­schaft wer­den und sich den Kol­le­gen, die ohne ihn die Beu­te teil­ten, auf­drän­gen. Und wenn er abends an sei­nem Fens­ter die Ei­sen­bahn­zü­ge vor­über­fah­ren sah, dann träum­te er oft von den Mit­teln, die ihn die­sem Zie­le nä­her­brin­gen konn­ten.

      V.

      So wa­ren zwei Mo­na­te ver­gan­gen. Der Sep­tem­ber rück­te her­an, aber das schnel­le Glück, das Du­roy er­hofft hat­te, schi­en nur sehr lang­sam her­an­zu­kom­men. Am meis­ten quäl­te ihn die ge­sell­schaft­li­che Be­deu­tungs­lo­sig­keit sei­ner Stel­lung, und er sah kei­nen Weg, auf dem er zu den Hö­hen hin­auf­klet­tern konn­te, wo man An­se­hen, Macht und Geld fin­det.

      Der un­be­deu­ten­de Be­ruf ei­nes Re­por­ters um­fing ihn wie eine Fes­sel; er war dar­in wie ver­mau­ert und konn­te nicht hin­aus. Zwar ach­te­te man sei­ne Tüch­tig­keit, aber man schätz­te ihn nach sei­ner Stel­lung. Selbst Fo­res­tier, dem er tau­send Diens­te leis­te­te, lud ihn zum Di­ner nicht mehr ein und be­han­del­te ihn wie einen Un­ter­ge­be­nen, ob­wohl er ihn noch freund­schaft­lich duz­te.

      Frei­lich ge­lang es Du­roy von Zeit zu Zeit, auch einen klei­nen Ar­ti­kel in sei­nem Blat­te an­zu­brin­gen, und da er durch sei­ne Lo­kal­nach­rich­ten einen flot­ten Zei­tungs­stil und Schreibart ge­lernt hat­te, was ihm bei der Ab­fas­sung sei­nes zwei­ten Ar­ti­kels über Al­gier ab­so­lut fehl­te, so lief er kei­ne Ge­fahr mehr, dass sei­ne Ar­ti­kel ab­ge­wie­sen wür­den. Aber von da bis zu ei­nem aus ei­ge­nen Ge­dan­ken­gän­gen und ei­ge­ner Fan­ta­sie ge­schaf­fe­nen Feuil­le­ton oder ei­nem erns­ten po­li­ti­schen Auf­satz be­stand ein eben­so großer Un­ter­schied wie zwi­schen ei­nem Kut­scher und ei­nem selbst­kut­schie­ren­den Herrn, der in den Ave­nues du Bois de Bou­lo­gne spa­zie­ren fährt. Was ihn be­son­ders de­mü­tig­te, war, dass ihm die Tü­ren der Ge­sell­schaft ver­schlos­sen blie­ben und dass er kei­nen Ver­kehr hat­te, wo er als Gleich­be­rech­tig­ter auf­tre­ten konn­te, und vor al­len Din­gen, dass er kei­ne nä­he­ren, in­ti­men Be­zie­hun­gen zu Da­men hat­te, ob­gleich ihn meh­re­re be­kann­te Schau­spie­le­rin­nen mit auf­fal­len­der Lie­bens­wür­dig­keit emp­fan­gen hat­ten.

      Er wuss­te üb­ri­gens aus Er­fah­rung, dass alle Frau­en, ob sie nun den gu­ten oder schlech­ten Ge­sell­schafts­krei­sen an­ge­hör­ten, eine merk­wür­di­ge Zu­nei­gung und eine spon­ta­ne Sym­pa­thie für ihn ver­spür­ten. Die Tat­sa­che je­doch, dass er ge­ra­de die­se We­sen, von de­nen doch sei­ne Zu­kunft ab­hän­gen konn­te, nicht kann­te, mach­te ihn un­ge­dul­dig und ner­vös wie ein Renn­pferd, dem man nicht freie Bahn gibt.

      Oft ge­nug hat­te er dar­an ge­dacht, Frau Fo­res­tier zu be­su­chen, doch die Erin­ne­rung an die letz­te Be­geg­nung de­mü­tig­te ihn und hielt ihn da­von zu­rück, und au­ßer­dem er­war­te­te er, dass ihn der Mann ein­la­den wür­de. Dann fiel ihm wie­der Ma­da­me de Ma­rel­le ein; sie hat­te ihn ja ge­be­ten, er möch­te sie doch mal be­su­chen. So ging er ei­nes Nach­mit­tags, an dem er nichts an­de­res zu tun hat­te, zu ihr hin.

      »Ich bin bis drei Uhr im­mer zu Hau­se«, hat­te sie ge­sagt.

      Um halb drei klin­gel­te er an der Tür.

      Sie wohn­te Rue de Ver­neuil, im vier­ten Stock. Auf das Klin­gel­zei­chen öff­ne­te ein Dienst­mäd­chen mit zer­zaus­tem Haar die Tür; sie setz­te ihre klei­ne Hau­be zu­recht und ant­wor­te­te:

      »Ja, die gnä­di­ge Frau ist zu Hau­se, aber ich weiß nicht, ob sie auf ist.«

      Sie öff­ne­te die Sa­lon­tür, die nicht ver­schlos­sen war. Du­roy trat ein. Das Zim­mer war ziem­lich groß, aber nicht reich mö­bliert und sah et­was ver­wahr­lost aus. Die al­ten ab­ge­nutz­ten Ses­sel stan­den an der Wand ent­lang, so wie sie das Dienst­mäd­chen hat­te ste­hen las­sen, nir­gends spür­te man die sorg­sa­me Hand der ele­gan­ten Haus­frau, die sich ihr Heim ge­müt­lich zu ge­stal­ten liebt. Vier arm­se­li­ge Bil­der, die einen Kahn auf dem Flus­se, ein Schiff auf dem Mee­re, eine Müh­le in ei­ner Ebe­ne, einen Holz­hau­er im Wal­de dar­stell­ten, hin­gen in der Mit­te der vier Wän­de an Stri­cken ver­schie­de­ner Län­ge, und alle vier hin­gen schief. Man er­riet, dass sie wahr­schein­lich schon lan­ge so schief hin­gen un­ter den nach­läs­si­gen Au­gen der gleich­gül­ti­gen Be­sit­ze­rin.

      Du­roy setz­te sich und war­te­te. Er war­te­te lan­ge. End­lich öff­ne­te sich die Tür und Ma­da­me de Ma­rel­le trat ei­lig her­ein. Sie trug ein ja­pa­ni­sches Mor­gen­kleid aus rosa Sei­de, das mit gol­de­nen Land­schaf­ten, blau­en Blu­men und wei­ßen Vö­geln be­stickt war.

      »Den­ken Sie, ich war noch im Bett«, rief sie aus. »Das ist aber nett, dass Sie sich auch mal bei mir se­hen las­sen. Ich dach­te be­stimmt, Sie hät­ten mich ver­ges­sen.«

      Mit strah­len­dem Ge­sicht streck­te sie ihm bei­de Hän­de ent­ge­gen, und Du­roy, dem die ver­wahr­los­te Ein­rich­tung des Zim­mers sei­ne vol­le Si­cher­heit wie­der­gab, er­griff sie und küss­te die eine Hand, wie er es ein­mal von Nor­bert de Va­ren­ne ge­se­hen hat­te.

      Sie bat ihn, Platz zu neh­men. Dann mus­ter­te sie ihn vom Kopf bis zu den Fü­ßen und sag­te: »Sie ha­ben sich sehr zu Ihrem Vor­teil ver­än­dert. Pa­ris hat Ih­nen gut ge­tan. Er­zäh­len Sie mir, was gibt es Neu­es?«

      Da­mit be­gan­nen sie zu plau­dern, als ob sie alte Be­kann­te wä­ren. Und sie fühl­ten, wie zwi­schen ih­nen eine un­mit­tel­ba­re Ver­trau­lich­keit ent­stand, ein Über­strö­men von Zu­nei­gung, Herz­lich­keit und ge­gen­sei­ti­gem Ver­ständ­nis, das in we­ni­gen Mi­nu­ten zwei We­sen von glei­cher Art und Cha­rak­ter zu Freun­den macht. Plötz­lich stock­te die jun­ge Frau und


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