Über Sozialismus. John Stuart Mill
John Stuart Mill
Über Sozialismus
Mill gilt als wichtiger Vertreter liberalen politischen Denkens. Dass sich bei ihm aber auch wesentliche Motive republikanischen, ja sogar sozialistischen Denkens finden, die sich dieser gradlinigen Zuordnung entziehen, wird bislang noch häufig übersehen.
In seiner Schrift „Über Sozialismus“ erweist sich Mill als radikaler Kritiker einer grundlegenden Institution der bürgerlichen Gesellschaft: des Privateigentums. Mill setzt sich in diesem Buch, das unvollendet geblieben ist und erst fünf Jahre nach seinem Tod veröffentlicht wurde, mit den verschiedenen Varianten der zeitgenössischen Kapitalismuskritik auseinander und stellt die soziale Ungleichheit in den Vordergrund seiner Kritik. Ausführlich schildert Mill die soziaslistischen und kommunistischen Strömungen seiner Zeit und diskutiert deren Reform- und Revolutionspläne. In seiner eigenen Sozialismuskonzeption verbindet Mill Gedanken des genossenschaftlichen Sozialismus mit liberalen Grundrechten.
Aus heutiger Sicht ist der Text von Mill vor allem wegen seiner überzeugenden Kritik am klassischen liberalen Eigentumsverständnis sowie wegen seiner experimentellen Offenheit gegenüber grundlegenden eigentumsrechtlichen Reformvorhaben lesenswert.
„Über Sozialismus“ wurde von Sigmund Freud 1880 mit Sinn für sprachliche Feinheiten und mit einer Portion Sympathie flüssig übersetzt und erscheint erstmals als separate Ausgabe.
Hubertus Buchstein, seit 1998 Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Greifswald. Gastprofessuren in New York und Tampere. Neuere Veröffentlichungen zu: Rechtsextremismus im ländlichen Raum, deutsche Sozialwissenschaftler im Exil nach 1933, Losverfahren in der Demokratie sowie zur Politischen Theorie von John Stuart Mill.
Sandra Seubert, seit 2009 Professorin für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politische Theorie an der Goethe-Universität Frankfurt a. M. 2000/2001 Gastwissenschaftlerin an der New School for Social Research in New York. Neuere Veröffentlichungen zu: Transformationen des Bürgerschaftlichen, Grenzverschiebungen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit sowie zur Politischen Theorie von John Stuart Mill.
John Stuart Mill
Über Sozialismus
In der Übersetzung von Sigmund Freud
Herausgegeben und mit einem Essay
„John Stuart Mill und der Sozialismus“
von Hubertus Buchstein
und Sandra Seubert
CEP Europäische Verlagsanstalt
© ebook-Ausgabe CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2016
Satz: datagrafix, Manila/Philippinen
Covergestaltung: Susanne Schmidt, Leipzig
Signet: Dorothee Wallner nach Caspar Neher »Europa« (1945)
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Übersetzung, Vervielfältigung (auch fotomechanisch), der elektronischen Speicherung auf einem Datenträger oder in einer Datenbank, der körperlichen und unkörperlichen Wiedergabe (auch am Bildschirm, auch auf dem Weg der Datenübertragung) vorbehalten. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Übersetzung, Vervielfältigung (auch fotomechanisch), der elektronischen Speicherung auf einem Datenträger oder in einer Datenbank, der körperlichen und unkörperlichen Wiedergabe (auch am Bildschirm, auch auf dem Weg der Datenübertragung) vorbehalten.
ISBN 978-3-86393-534-4
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Inhalt
Vorbemerkung Helen Taylor
1. Die Einwürfe der Sozialisten gegen die bestehende Gesellschaftsordnung
2. Prüfung der sozialistischen Vorwürfe gegen die gegenwärtige Gesellschaftsordnung
3. Die Schwierigkeiten des Sozialismus
4. Der Begriff des Privateigentums ist kein fester, sondern ein wandelbarer
John Stuart Mill und der Sozialismus Hubertus Buchstein und Sandra Seubert
Vorbemerkung1
Von dem Ausmaß beeindruckt, in welchem – selbst in den vorausgegangenen zwanzig Jahren, in denen die Welt so sehr mit anderen Dingen beschäftigt war – sich die sozialistischen Ideen von spekulativen Denkern unter den Arbeitern aller zivilisierten Länder verbreiten konnten, fasste Mill im Jahr 1869 den Entschluss, ein Buch über den Sozialismus zu verfassen. Da er davon überzeugt war, dass die unabwendbaren Entwicklungstendenzen der modernen Gesellschaft dieses Thema immer weiter nach oben auf die Tagesordnung rücken würden, war es für ihn von immensem praktischem Interesse, diese Ideen einer eingehenden und vorurteilsfreien Prüfung zu unterziehen. Darüber hinaus wollte er der Frage nachgehen, wie diese spekulativen Entwürfe auf die aktuellen Verhältnisse übertragen werden könnten, ohne damit gegenwärtiges Leiden zu verlängern und ohne gleichzeitig unnötige gesellschaftliche Unruhen heraufzubeschwören. Daher plante er eine Arbeit zu verfassen, in der der gesamte Themenkomplex erschöpfend, Punkt für Punkt erörtert werden sollte; und die hier abgedruckten vier Kapitel sind die ersten Entwürfe, die das Fundament des geplanten Werkes bilden sollten. Diese Kapitel wären möglicherweise, wenn ihr Verfasser das komplette Buch geschrieben und – wie es seine Gewohnheit war – danach noch einmal überarbeitet hätte, in einer anderen Reihenfolge erschienen; auch wären sie möglicherweise in verschiedene andere Teile eingebaut worden. Es geschah deshalb nicht ohne Zögern, dass ich dem drängenden Wunsch des Herausgebers dieser Zeitschrift nachgab, diese Kapitel der Welt zugänglich zu machen; aber ich habe der Bitte schließlich deswegen entsprochen, da sie für mich einen großen intrinsischen Wert besitzen und zugleich eine praktische Anwendung im Hinblick auf die Probleme bieten, die heute mit aller Macht in die Öffentlichkeit drängen. Die Kapitel werden, so bin ich überzeugt, die Reputation seines Verfassers in keiner Weise schmälern, sondern vielmehr als ein Beispiel für den geduldigen Fleiß stehen, mit der eine gute Arbeit getan wird.
Januar 1879
Helen Taylor
1 Anm. d. Hg.: Diese ‚Preliminary Notice‘ stellte Helen Taylor, John Stuart Mills Adoptivtochter, als Herausgeberin des posthum veröffentlichten Manuskripts, dem Text als redaktionelle Vorbemerkung der Erstveröffentlichung in der ‚Fortnightly Review‘ voran. Die Übertragung der Vorbemerkung ins Deutsche erfolgte durch die Herausgeber.
Einleitung2
In dem gewaltigen Gemeinwesen jenseits des atlantischen Ozeans, welches das mächtigste Land der Erde nahezu schon ist und in Bälde unzweifelhaft sein wird, herrscht das allgemeine Männer-Stimmrecht. Auf demselben Grunde ruht, seit 1848, das politische Leben Frankreichs und nunmehr auch des deutschen Bundesstaates, wenngleich nicht aller Einzelstaaten