Über Sozialismus. John Stuart Mill

Über Sozialismus - John Stuart Mill


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für einen großen Teil derjenigen, die von Wochenlohn leben, die Schranken der Verfassung so weit geöffnet, dass sie, sobald und so oft sie als eine vereinte Klasse auftreten und die ihnen eingeräumte Macht für ein gemeinsames Ziel aufzubieten gewillt sind, die Gesetzgebung, wenn auch nicht völlig beherrschen, so doch wesentlich beeinflussen müssen. Gerade Leute dieser Klasse sind es nun, von denen die höheren Stände zu sagen pflegen, dass ihnen am Wohlergehen des Landes nichts gelegen sei, weil sie dabei nichts zu verlieren haben. In Wahrheit haben sie jedoch selbstverständlicherweise dabei am meisten zu verlieren, da ihr tägliches Brot von dem Gedeihen des Landes abhängt. Nur das ist richtig, dass sie durch kein eigenes Sonderinteresse dafür eingenommen – wir dürfen vielleicht sagen, bestochen – sind, für die Erhaltung des Eigentums in seiner gegenwärtigen Gestalt, oder gar für die Erhaltung der Ungleichheiten in der Verteilung des Eigentums einzustehen. Soweit ihre Macht jetzt reicht oder späterhin reichen mag, werden die das Eigentumsverhältnis regelnden Gesetze ihre Stütze in Erwägungen allgemeiner Natur, in dem Urteil über die Zweckdienlichkeit derselben für das allgemeine Beste, nicht in rein persönlichen Beweggründen der herrschenden Klassen zu suchen haben.

      Es scheint mir, dass die Bedeutung dieses Umschwungs noch keineswegs vollständig gewürdigt worden ist, weder von denen, welche unsere letzte Verfassungsreform durchgeführt, noch von jenen, welche sich ihr widersetzt haben. Um die Wahrheit zu sagen: der Scharfblick der Engländer für die Tragweite politischer Neuerungen hat sich in letzter Zeit einigermaßen abgestumpft. Sie haben viele Neuerungen mit angesehen, welche, solange sie noch in Aussicht standen, zu großen Erwartungen – guter sowohl als schlimmer Art – Anlass gaben, während der wirkliche Erfolg in dem einen wie in dem anderen Betracht hinter jenen Voraussagungen weit zurück blieb. Dies hat eine Vorstellung von der Art erzeugt, als läge es in der Natur politischer Neuerungen, die an sie geknüpften Erwartungen nicht zu erfüllen, und man ist, ohne sich davon genaue Rechenschaft zu geben, in den Glauben verfallen, dass solche Neuerungen, wenn sie ohne eine gewaltsame Revolution erfolgen, den gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht erheblich oder dauernd zu verändern vermögen. Diese Auffassung beruht jedoch auf einer oberflächlichen Beurteilung der Vergangenheit sowohl als der Zukunft. Die mannigfachen Reformen der letzten zwei Generationen sind an schwerwiegenden Folgen mindestens so fruchtbar gewesen, wie man vorhergesagt hatte. Die Voraussagen waren allerdings oft irrig in Bezug auf die Raschheit, mit der diese Erfolge eintraten, und selbst mitunter in Bezug auf deren Natur. Wir belächeln jetzt die eitlen Erwartungen derjenigen, die da meinten, dass die Emanzipation der Katholiken Irland beruhigen oder mit der englischen Herrschaft aussöhnen werde. Als die ersten zehn Jahre nach der Reformakte von 1832 verstrichen waren, hielten wenige mehr die Meinung aufrecht, dass dieselbe alle bedeutenden praktischen Übelstände beseitigen würde, oder dass sie dem allgemeinen Stimmrecht das Tor geöffnet hätte. Aber die weiteren fünfundzwanzig Jahre ihrer Wirksamkeit haben ihren mittelbaren Ergebnissen, welche weit gewichtiger sind als ihre unmittelbaren Folgen, zu einer reichen Entfaltung verholfen. Plötzliche Wirkungen sind im geschichtlichen Leben gewöhnlich von oberflächlicher Art. Ursachen, welche tief in die Wurzeln künftiger Ereignisse eindringen, bringen den bedeutendsten Teil ihrer Wirkung nur allmählich hervor und haben daher Zeit, mit der gewohnten Ordnung der Dinge zu verschmelzen, ehe die allgemeine Aufmerksamkeit sich auf die Veränderungen lenkt, die sie hervorrufen. Daher sind zur Zeit, da die bewirkten Veränderungen klar zu Tage liegen, oberflächliche Beobachter oft nicht mehr im Stande, deren Verknüpfung mit der Ursache zu erkennen. Die entfernteren Folgen einer neuen politischen Tatsache werden selten als solche erkannt und richtig beurteilt, ausgenommen in dem Falle, wenn sie schon vorher ins Auge gefasst worden sind.

      Diese rechtzeitige Würdigung wird uns besonders leicht in Betreff der Tragweite der Wandlung, welche die Reformakte von 1867 in unseren Einrichtungen hervorgebracht hat. Der große Machtzuwachs, welchen diese Erweiterung des Wahlrechts den arbeitenden Klassen gewährt hat, ist von dauernder Art; die Umstände, welche dieselben bisher veranlasst haben, von dieser Macht einen sehr beschränkten Gebrauch zu machen, sind ihrer Natur nach nur von zeitweiliger Geltung. Selbst der unaufmerksamste Beobachter muss wissen, dass die arbeitenden Klassen politische Ziele besitzen und voraussichtlich auch besitzen werden, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Arbeiter am Herzen liegen, und in Bezug auf welche sie – mit Recht oder Unrecht – glauben, dass die Interessen und Ansichten der anderen mächtigen Klassen den ihren zuwiderlaufen. So sehr sie auch für den Augenblick in der Verfolgung dieser Ziele durch den Mangel einer politischen Organisation, durch innere Zwistigkeiten oder durch den Umstand aufgehalten sein mögen, dass sie bisher ihre Wünsche in keine hinreichend bestimmte praktische Form gekleidet haben, so ist es doch so gewiss, als irgendetwas in politischen Dingen sein kann, dass sie binnen kurzer Zeit Mittel und Wege finden werden, ihre gesamte Macht als Wähler in wirksamer Weise der Förderung ihrer gemeinsamen Ziele dienstbar zu machen. Und wenn sie dies tun, werden sie nicht in der planlosen und unzweckmäßigen Weise vorgehen, wie sie Leute kennzeichnet, die den Mechanismus der Gesetze und der Verfassung nicht zu benützen verstehen; auch werden sie dabei nicht bloß einem rohen nivellierenden Triebe gehorchen. Die Presse, das Vereins- und Versammlungswesen, und die Entsendung einer möglichst großen Anzahl von Männern ins Parlament, welche für die Bestrebungen der arbeitenden Klassen in Pflicht genommen sind, – dies sind die Werkzeuge, derer sie sich bedienen werden. Die politischen Zielpunkte selbst werden durch scharf ausgeprägte politische Doktrinen bestimmt werden; denn die politischen Fragen werden gegenwärtig vom Standpunkt der arbeitenden Klassen aus in wissenschaftlicher Weise behandelt, und Ansichten, welche zu Gunsten der besonderen Interessen dieser Klassen ausgestellt wurden, werden jetzt zu Systemen und Glaubenslehren verarbeitet, welche, mit demselben Rechte wie die Lehren älterer Denker, einen Platz im Bereiche der politischen Philosophie für sich in Anspruch nehmen. Es ist auf das dringendste zu wünschen, dass alle denkenden Menschen sich beizeiten die Frage vorlegen, wie diese volkstümlichen Glaubenssysteme wahrscheinlicherweise beschaffen sein werden, und dass sie auf jeden einzelnen Artikel derselben das Licht der gründlichsten Untersuchung und Erörterung fallen lassen, damit, wenn der rechte Augenblick gekommen ist, alles Richtige an ihnen, wenn möglich, einmütig angenommen, und alles Unrichtige ebenso einmütig verworfen werde, und damit ein feindlicher Zusammenstoß – physischer oder auch nur moralischer Art – zwischen dem Alten und dem Neuen vermieden, und die besten Bestandteile beider zu einem verjüngten Aufbau der Gesellschaft vereinigt werden können. Bei der Langsamkeit, mit welcher sich gewöhnlich solche großen sozialen Wandlungen, die nicht durch physische Gewalt herbeigeführt werden, vollziehen, haben wir noch einen Zeitraum von ungefähr einem Menschenalter vor uns, von dessen gehöriger Verwendung es abhängt, ob die Anpassung der sozialen Einrichtungen an den veränderten Zustand der menschlichen Gesellschaft das Werk weiser Voraussicht oder das Ergebnis des Widerstreites voneinander entgegengesetzten Vorurteilen werden soll. Die Zukunft des Menschengeschlechtes wird ernstlich bedroht sein, wenn man zulässt, dass die Entscheidung so gewaltiger Fragen zwischen der unwissenden Neuerungssucht und dem unwissenden Widerstreben gegen jede Neuerung ausgefochten werde.

      Die Untersuchung aber, welche jetzt noch nötig ist, muss bis auf die allerobersten Prinzipien der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung zurückgehen, denn die fundamentalen Lehren, welche früheren Generationen als unbestreitbar galten, werden nunmehr in Zweifel gezogen. Bis auf unser Zeitalter ist die Institution des Eigentums in der Form, wie sie von Alters her auf uns gekommen ist, von Niemandem außer von einigen wenigen spekulativen Denkern ernstlich in Frage gestellt worden; denn die Konflikte der Vergangenheit haben sich zwischen Klassen abgespielt, welchen insgesamt an der Erhaltung der bestehenden Eigentumsordnung gelegen war. Damit ist es nun zu Ende. Wenn Klassen eine Stimme bei der Erörterung haben, welche so viel wie gar kein Eigentum besitzen, und welche an dieser Institution bloß insofern interessiert sind, als sie dem allgemeinen Wohle dient, werden diese niemals zugeben, dass irgendein Prinzip als ausgemacht hingestellt werde, – am wenigsten das des Privateigentums, dessen Rechtmäßigkeit und Ersprießlichkeit von vielen Denkern, die sich auf den Standpunkt der arbeitenden Klassen stellen, bestritten wird. Diese Klassen werden sicherlich verlangen, dass der Gegenstand in allen seinen Teilen neuerdings von Grund auf erörtert werde, dass alle Vorschläge, diese Einrichtung zu beseitigen, und alle in Aussicht genommenen Modifikationen derselben, welche ihrem Interesse günstig zu sein scheinen, die eingehendste Prüfung und Berücksichtigung erfahren, bevor man sich dafür entscheidet, dass es beim Alten sein Bewenden haben müsse.

      Soweit England in Betracht


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