Die Löwenskölds. Selma Lagerlöf

Die Löwenskölds - Selma Lagerlöf


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heran, und es gelang ihm, die beiden Wacholderknüppel und die Haselrutenbündel auf die Schäre zu werfen. Darauf aber entfernte er sich mit hurtigen Ruderschlägen von dem Ort des Grauens.«

      »Mein verehrter Freund …«, begann der Propst.

      Der Rittmeister aber ließ sich nicht unterbrechen: »Schon in kurzem Abstand aber ließ er die Ruder ruhen, um zu sehen, ob sich nicht etwas Merkwürdiges begeben würde. Und er brauchte nicht vergebens zu warten. Denn auf einmal stieg der Gischt himmelhoch über der Schäre empor, das Getöse wurde wie das Donnern einer Feldschlacht, und grausige Jammerrufe ertönten über das Meer hin. Eine ganze Weile ging es, jedoch mit abnehmender Heftigkeit, so weiter, und schließlich hörten die Wogen ganz auf, gegen Gathenhielms Grab anzustürmen. Und bald lag die Schäre ruhig und still da, wie alle die andern Schären auch. Der Knecht tauchte die Ruder nun wieder ein, um den Heimweg anzutreten; doch in demselben Augenblick hörte er eine höhnische, triumphierende Stimme, die ihm zurief: »Geh nach Gata in Onsala, und bestelle meiner Frau, dass Lasse Gathenhielm im Tode wie einst im Leben über seine Feinde siegt.«

      Der Propst hatte jetzt mit gesenktem Kopf zugehört.

      »Als der Hauslehrer dies Letzte erzählte«, fuhr der Rittmeister fort, »merkte ich wohl, dass meine Söhne mit dem Schurken Gathenhielm Mitleid empfanden und gern von seinem Übermut erzählen hörten. Deshalb erklärte ich, diese Geschichte schiene mir sehr gut aneinandergehängt zu sein, sei aber kaum etwas andres als Lüge und Dichtung. ›Denn‹, sagte ich, ›wenn ein so wilder Seeräuber wie Gathenhielm die Kraft gehabt hätte, sich auch noch nach seinem Tode zu verteidigen – wie ließe es sich dann erklären, warum mein Vater, der ein ebensolcher Haudegen wie Gathenhielm, aber dabei ein guter und redlicher Mensch war, einen Dieb in sein Grab hinein dringen und sich das Liebste, das er besaß, rauben ließ, ohne die Macht zu haben, die Untat zu verhindern und später den Schuldigen in irgendeiner Weise zu verfolgen oder zu beunruhigen.‹«

      Bei diesen Worten stand der Propst mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit auf und sagte: »Das ist auch ganz meine Meinung.«

      »Ja, aber hör nun, was weiter geschah!«, fuhr der Rittmeister fort. »Kaum hatte ich ausgesprochen, als ich hinter meinem Stuhl ein lautes Stöhnen hörte. Und dieses Stöhnen klang genauso wie der müde Seufzer, den mein seliger Vater auszustoßen pflegte, wenn er von den Gedanken des Alters geplagt wurde; mir war wirklich, als befinde er sich hinter mir, und ich sprang von meinem Stuhl auf. Da sah ich allerdings nichts, aber ich war mir so sicher, dies Stöhnen gehört zu haben, dass ich mich nicht zu Tisch setzen wollte, sondern bis jetzt hier ganz allein über diese Sache nachgegrübelt habe. Und ich habe inständig gewünscht, auch die Ansicht meines hochgeschätzten Freundes über diese Frage zu hören. War es mein Vater, den ich einen klagenden Seufzer über den verschwundenen Schatz habe ausstoßen hören? Wenn ich glauben könnte, er fühle noch immer Sehnsucht nach dem verlorenen Kleinod, dann wollte ich wahrlich lieber von Hof zu Hof ziehen und überall nachforschen, als meinen Vater noch einen einzigen Augenblick den grausamen Schmerz fühlen lassen, von dem dieses Stöhnen mir Kunde gab.«

      »Dies ist am heutigen Tag das zweite Mal, dass ich auf die Frage zu antworten habe, ob der tote General wohl noch immer um seinen verlorenen Ring trauert und ihn wiedergewinnen möchte«, sagte der Propst. »Nun will ich mit deiner Erlaubnis, verehrter Freund, zuerst meine Geschichte berichten, und dann wollen wir uns miteinander darüber beraten.«

      Danach rückte nun der Propst mit seiner Erzählung heraus, und er merkte jetzt sehr wohl, wie wenig er zu befürchten gehabt hätte, der Rittmeister werde sich der Sache seines Vaters nicht ernsthaft annehmen. Der Propst hatte nicht gedacht, dass sich selbst in dem friedlichst gesinnten Menschen noch etwas von der Natur der Lodbroksöhne finden würde. Nein, es ist wohl doch wahr, wie die Sage berichtet: Die meisten Schweine grunzen, wenn sie erfahren, was der alte Eber hat leiden müssen. Jetzt sah er, wie die Adern auf der Stirn des Rittmeisters anschwollen, und wie seine Fäuste sich ballten, bis die Knöchel weiß schimmerten. Ein furchtbarer Zorn hatte sich des Rittmeisters bemächtigt.

      Natürlich berichtete der Propst die Sache entsprechend seiner Ansicht. Er erzählte, wie der Zorn Gottes die Missetäter getroffen habe, und er wollte durchaus nicht ein Eingreifen des Toten anerkennen.

      Der Rittmeister aber erklärte alles, was er hörte, auf ganz andere Weise. Nein, sein Vater hatte in seinem Grab keine Ruhe gehabt, weil der Ring ihm von seinem Zeigefinger gezogen worden war. Jetzt fühlte der Sohn Angst und Gewissensqual, weil er bisher diese Sache allzu leicht genommen hatte. Er fühlte jetzt alles wie eine stechende, schmerzende Wunde in seinem Herzen.

      Der Propst, der wohl merkte, wie aufgeregt der Rittmeister war, fürchtete sich fast, den Verlust des Ringes zu bekennen; doch als er es tat, wurde es mit einer Art grimmiger Befriedigung aufgenommen.

      »Also einer von dem Diebsgesindel ist noch vorhanden, und er ist ebenso erbärmlich wie die anderen«, sagte Löwensköld. »Das ist gut. Der General hat die Eltern gestraft und fest dreingeschlagen, jetzt bin ich an der Reihe.«

      Der Propst fühlte eine unbarmherzige Härte in der Stimme des Rittmeisters, und ihm wurde vor Angst immer beklommener. Er fürchtete, der Rittmeister könnte Ingilbert mit seinen eigenen Händen erwürgen oder ihn zu Tode peitschen.

      »Ich habe es für meine Pflicht gehalten, dir, meinem hochgeschätzten Freund, die Botschaft des Toten zu überbringen«, sagte der Propst, »ich hoffe aber, dass du kein rasches, unüberlegtes Verfahren einschlägst. Ich habe im Sinn, jetzt gleich dem Lehnsmann von dem an mir begangenen Diebstahl Mitteilung zu machen.«

      »Damit kannst du es halten, wie du willst«, erwiderte der Rittmeister. »Es ist aber eine ganz unnötige Mühe, die du dir machst, denn jetzt werde ich diese Sache selbst in die Hand nehmen.«

      Da wurde dem Propst vollkommen klar, dass er hier auf Hedeby nichts mehr ausrichten konnte. Er ritt also so rasch wie möglich von dannen, um dem Lehnsmann noch vor dem Abend Nachricht zukommen lassen zu können.

      Der Rittmeister Löwensköld aber rief alle seine Leute zusammen und erzählte ihnen, was sich begeben hatte. Dann fragte er sie, ob sie am nächsten Morgen mit ihm ausziehen wollten, den Dieb zu fangen. Da war keiner, der sich weigerte, ihm und dem toten General diesen Dienst zu leisten. Und der Rest des Abends wurde dazu verwendet, alle möglichen Waffen hervorzusuchen: alte Donnerbüchsen, kurze Bärenspieße, lange Degen, Knüppel und Sensen.

      Sechstes Kapitel

      Nicht weniger als fünfzehn Mann leisteten dem Rittmeister Gefolgschaft, als er am nächsten Morgen früh um vier Uhr auf die Jagd nach dem Dieb auszog. Und alle waren von höchster Kampflust beseelt. Es handelte sich ja um eine gerechte Sache, und überdies stand der General hinter ihnen. Da der Tote die Sache nun so weit geführt hatte, würde er sie auch zu einem glücklichen Ausgang bringen.

      Die richtige Wildnis fing jedoch erst eine Weile jenseits von Hedeby an. Am Anfang ging die Wanderung durch ein weites Tal, das teilweise unbebaut und nur von kleinen Schuppen wie übersät war. Da und dort auf den Hügeln aber zogen sich ziemlich große Dörfer hin, und eines davon war Olsby, wo Bård Bårdsson seinen Hof gehabt hatte, ehe dieser von dem General eingeäschert worden war.

      Dahinter lag der große, tiefe Wald wie ein dichtes Fell über die Erde gebreitet, Baum an Baum ohne Unterbrechung. Und doch war es hier noch nicht mit aller menschlichen Macht zu Ende. Es gab schmale Pfade durch den Wald, die zu Sennhütten und Kohlenmeilern hinaufführten.

      Der Rittmeister und seine Leute nahmen gleichsam eine andere Haltung und ein anderes Aussehen an, als sie in den großen dunklen Wald kamen. Sie hatten ja früher schon hier Jagd auf Großwild gemacht, und jetzt bekam die Jagdlust in ihnen wieder die Oberhand. Sie begannen, scharfe Blicke in das Gestrüpp zu werfen, und sie schritten jetzt auch in ganz anderer Weise dahin, leichter und gleichsam schleichend.

      »Hört jetzt, ihr Leute«, sagte der Rittmeister, »über eine Sache sind wir alle einig. Keiner von euch darf sich dieses Diebes wegen ins Unglück stürzen, sondern ihr müsst ihn mir überlassen. Gebt nur acht, dass ihr ihn nicht entwischen lasst!«

      Diesem Befehl


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