Heliosphere 2265 - Der komplette Fraktal-Zyklus. Andreas Suchanek
allerdings nicht darauf hoffen, dass es dauerhaft so bleibt.«
Noriko nickte. »Das werde ich nicht. Es einfach nur auszusitzen, wird dieses Mal nicht helfen.«
»Und war es nicht genau das, was zu dem Debakel auf der INCEPTION führte?«
»Sie sind tatsächlich ausgezeichnet informiert.« Noriko fixierte Lorencia. »Ich nehme nicht an, dass Sie mir Ihre Quellen nennen werden?«
Die L.I. lachte. »Auf keinen Fall.« Sie nippte noch einmal an ihrem Drink, bevor sie an die Wand trat und den leeren Becher in einen der Recycling-Schächte warf. »Ich verbringe einfach viel Zeit im Galaktischen Netz. Man hört Gerüchte, lernt Avatare kennen, stolpert hier und da über geheime Informationen.« Sie zwinkerte.
Noriko ließ das unkommentiert. Sie wusste um die Leidenschaft der L.I. für Technik, Software und das Web. Genau genommen war Giulia Lorencia ein waschechtes Genie, wenn es um Informationsbeschaffung und das Hacken ging. Eine Eigenschaft, die sie sympathisch machte. Doch wenn es um Regeln und Protokolle ging, wollte Noriko lieber nichts von möglichen Übertretungen wissen. Sie glaubte an Recht, Gesetz und Ordnung. Alles andere führte nur ins Chaos.
»Ich danke Ihnen für diese Informationen. Ich werde Sie einzusetzen wissen.« Sie nickte Lorencia noch einmal freundlich zu, dann trat sie in den Lift.
Die L.I. beugte sich über die Konsole. Ihre Finger huschten über die Oberfläche und gaben Daten ein. »Warten Sie nur nicht zu lange«, war das Letzte, was Noriko von ihr hörte, bevor der Lift sie außer Hörweite trug.
*
IL HYPERION, Konferenzraum I, 27. Dezember 2265, 09:00 Uhr
»Nehmen Sie Platz«, bat Captain Cross, während sich das Schott hinter ihm schloss. Bei seinem Eintreten hatten die Offiziere sich erhoben. Ein altmodischer Brauch, auf den er ebenso wenig Wert legte wie auf ein gebrülltes »Captain an Deck«.
Wie üblich nahm er an dem einen Ende des ovalen Konferenztisches Platz, Commander Ishida ihm gegenüber. An den Seiten saßen die Brückenoffiziere, die Chefingenieurin, Doktor Petrova und Doktor Tauser.
»Wie Sie alle zweifellos bereits vermuten«, begann er, »gab uns die Admiralität neue Befehle. Die Wissenschaftler auf dem Mars konnten durch die Auswertung eines Phasenimpulses, der vom Artefakt ausging, einen zugehörigen Planeten lokalisieren.« Er verzichtete darauf, von dem Zugriff auf seinen Kommando-Chip zu berichten. Es reichte schon, dass die Nachrichten über den in Schwärze gehüllten Mars im Galaktischen Netz die Runde machten. Die Presse stürzte sich auf das Mysterium, und Admiral Sjöberg war zu Präsidentin Kartess zitiert worden, die umgehend eine Aufklärung der Ereignisse forderte.
Allerdings würde Jayden mit Doktor Petrova ein ernstes Gespräch über die erfolgte Chip-Manipulation führen.
»Eine weitere Welt, deren Bewohner von der Strahlung dieses Dings ausgelöscht wurden?«, fragte Lieutenant Commander Akoskin. Der schwarzhaarige Sunnyboy entstammte der Kolonie Comienzo I. Er besaß eine überragende Begabung für Taktik und Waffensysteme. Darüber hinaus bestand seine Hauptbeschäftigung aus flirten, wie Jayden zu Ohren gekommen war.
»Es bleibt zu hoffen, dass dem nicht so ist.« Jayden aktivierte den Holo-Projektor. Zwischen der Deckenplatte und dem Tisch entstand das charakteristische Wabern, bevor das holografische Abbild eines Planetensystems materialisierte. »Es ist davon auszugehen, dass wir andernfalls davon erfahren hätten.« Er zoomte den vierten Planeten des Systems heran.
»Das ist Rental IV«, sagte seine I.O. »Die Hauptwelt des rentalianischen Volkes. Wie kann das sein?«
»Wir wissen es nicht«, erwiderte Jayden. Er wandte sich an den Schiffspsychologen, der neben seiner normalen Tätigkeit auch im Fachbereich Xenopsychologie promoviert hatte und als Spezialist in Inter-Spezies-Kommunikation galt. »Doktor Tauser, bringen Sie uns auf den aktuellen Stand über die Rentalianer.«
Janis Tauser richtete sich in seinem Sessel auf. Das schlohweiße Haar von Jaydens Freund aus Akademietagen verlieh ihm das Aussehen eines distinguierten älteren Herrn, womit Jayden ihn ab und an neckte. Doch selbst in Zeiten von Gen-Re-Skulpturierung und Dermalverjüngung wollte Janis nicht auf seine natürliche Alterung verzichten. Das verleihe ihm einen besonderen Charme, sagte er immer.
»Die Rentalianer sind das erste Volk, auf das die frühen terranischen Erkundungsschiffe stießen. Sie sind durchschnittlich einen Meter sechzig groß und flink. Ihr Körper ist komplett mit Fell bedeckt und ihre Gesichter ähneln entfernt jenen von Hunden.« Janis berührte ein Icon auf seiner Konsole, worauf das Abbild eines Rentalianers auf dem Holoschirm entstand. »Machen Sie jedoch niemals den Fehler, einem Rentalianer gegenüber diesen Vergleich zu erwähnen. Etwas Derartiges führte bereits zu einem schweren diplomatischen Zwischenfall. Die Rentalianer sind in ihrer Art eine sehr direkte Rasse. Meist sprechen sie interindividuelle Probleme sofort an und besitzen wenig Sensibilität. Sie sind treue Freunde und waren in den Jahrzehnten seit dem Erstkontakt immer loyal gegenüber der Menschheit.«
Jayden erinnerte sich noch an die Euphorie auf der Erde, als die SCOUT I – eines der ersten Erkundungsschiffe der damals noch jungen Solaren Union – die hundeähnlichen Rentalianer entdeckte.
»Das Wichtigste im Leben eines Rentalianers ist sein Rudel, das sich aus vier bis zwölf Individuen zusammensetzt. Es gibt drei Geschlechter, die für einen Fortpflanzungsprozess zusammenkommen müssen. Da die Rentalianer sehr«, Janis verhaspelte sich, fand den Faden aber schnell wieder, »ungezwungen sind, genießt der Sex bei ihnen – auch außerhalb des Fortpflanzungsprozesses – einen hohen Stellenwert. Wundern Sie sich also nicht, wenn ein Rentalianer Sie auf Ihre eigenen Vorlieben und dergleichen anspricht. Wie bereits gesagt: Sie kennen da keine Scheu.«
»Sympathisches Völkchen«, murmelte Lieutenant Commander Akoskin.
»Im Verlauf des Parlidenkrieges ergriffen die Rentalianer Partei für uns, obwohl die Parliden ihre direkten Nachbarn sind. Im Zuge dessen kam es zu einem Großangriff auf ihre Systeme. Die Parliden fielen in zwei komplette Sonnensysteme ein und hinterließen nur entvölkerte Welten, vernichtete Habitate und von Antimateriebomben ausgelöschte Raumbasen. Die Rentalianer zogen sich in ihr Hauptsystem zurück.«
»Und begannen mit ihrer Politik der Isolation«, warf Sarah McCall gedankenverloren ein. Als sie bemerkte, dass sie laut gesprochen hatte, räusperte sie sich und versuchte, tiefer in ihren Konturensessel zu rutschen.
»In der Tat.« Janis nickte väterlich. »Die Rentalianer lassen nur noch sehr ungern Außenweltler in ihr System und haben sich vollständig eingeigelt. Eine nachvollziehbare Reaktion bei einem solchen Trauma. Ich nehme an, in ein bis zwei Generationen wird sich das wieder ändern, aber bis dahin müssen wir damit leben. Glücklicherweise besteht noch immer ein gutes Verhältnis zwischen der Solaren Union und den Rentalianern. Unsere Hilfe beim Wiederaufbau und die Unterstützung durch Technologie und Nahrung wurden nicht vergessen. Zudem ist Rental an die Phasenfunk-Relaiskette angeschlossen.« Mit einem Nicken beendete Janis seine Ausführungen.
Jayden nickte seinem Taktikoffizier ebenfalls zu.
Lukas Akoskin ließ die Holografie des Rentalianers verschwinden und sagte: »In den vergangenen Jahrzehnten besiedelten die Rentalianer alle acht Welten ihres Heimatsystems und errichteten zahlreiche Atmosphären- und Raumhabitate. Das gesamte System wurde mit Phasenstörern zugepflastert, die jeden festen Körper aus dem Phasenraum holen, der versucht, außerhalb der Einflugvektoren in das System zu gelangen – nur Phasenfunkwellen auf dem unteren Band können übertragen werden. Zudem gibt es ein Netz aus Torpedowerfern und Raumminen. Ohne eine offizielle Erlaubnis ist es Selbstmord, in das System einzudringen. Da die Minen immer wieder ihren Standort ändern, wechseln die möglichen Einflugkorridore ständig. Hinzu kommt der einmalige Vorteil, den die Rentalianer gegenüber allen anderen Völkern besitzen.«
»Die Transmittertechnik.« Jayden nickte Akoskin dankend zu und übernahm wieder das Wort. »Obwohl unsere Diplomaten alles versucht haben, die Technik von den Rentalianern zu erhalten, sind diese bei ihrem Nein geblieben. In verschiedenen Fällen