Heliosphere 2265 - Der komplette Fraktal-Zyklus. Andreas Suchanek

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überdachte die Idee. Normalerweise wurden die kleinen Aufklärer-Drohnen direkt nach dem Eintritt in ein System ausgeschleust. Unter Ausnutzung der Restgeschwindigkeit beschleunigten sie kurz, wechselten in den Phasenraum und verteilten sich über das gesamte Sonnensystem. Die Aufklärungsdaten wurden per gerichtetem Phasenfunk an das Schiff gesendet. Im Gegensatz zu den stationären ÜL-Plattformen lieferten die Sonden eine einmalige Aufklärung für die Stellarkartographie, brannten dann aus und zerstörten sich selbst.

      Sie hier einzusetzen war eine gute Idee. Zwar würden die Sonden nicht in den Phasenraum eintreten, doch sie lieferten im Vorbeiflug Aufklärungsdaten in Quasi-Echtzeit, selbst wenn die feindlichen Raumer die verbliebenen Sensorplattformen ausschalteten. »Tun Sie es.«

      Seine I.O. gab Nurakow den entsprechenden Befehl, worauf dessen Finger flink über die Konsole glitten. »Kiesel sind abgesetzt«, meldete sie kurz darauf.

      »Die Shuttles sind soweit«, sagte Akoskin. »Sie werden soeben in unserem Ortungsschatten ausgeschleust. Wir richten sie per Fernsteuerung auf den Anflugvektor der feindlichen Schiffe aus und deaktivieren dann all ihre Systeme. Mit etwas Glück werden die unbekannten Raumer sie nicht orten können. Die Torpedos sind an einen Annäherungsalarm gekoppelt.«

      »Sir, wenn ich ebenfalls etwas vorschlagen dürfte«, sagte Lieutenant Nurakow. Auf ein Nicken von Jayden fuhr er fort: »Es gibt noch zwei Shuttles, die am Orbitaldock I von Pearl angedockt sind. Wenn wir diese mit einem unserer Täuschkörper bestücken, die wir andernfalls als Teil der Raketenabwehr einsetzen, können wir einen Kurs in die Shuttles programmieren und dadurch …«

      »… zwei weitere HYPERIONS auf deren Sensoren erschaffen«, vollendete Jayden den Satz.

      Ishida zog eine Braue in die Höhe. »Ob das so einfach funktioniert, ist fraglich, aber darauf kommt es wohl auch nicht mehr an. Die feindlichen Offiziere hinter den Konsolen werden sofort erkennen, dass da zwei Schiffe aus dem Nichts auftauchen, aber mit etwas Glück täuscht es die Suchköpfe der Torpedos.«

      »Veranlassen Sie das, Lieutenant«, sagte er. »Commander Akoskin, ich will Ihre taktische Einschätzung und das geplante Vorgehen auf meiner Konsole.«

      Mit grimmiger Miene blickte er den fünf Schiffen entgegen, die als winzige Icons im Holotank auf die Position der HYPERION zuflogen.

      *

      Admiral Juri Michalew beobachtete interessiert die Reaktion von Sjöberg. Über einen Kamera-Feed sah er seinem Erzfeind zum unzähligsten Mal dabei zu, wie dieser seine Frau, die noch immer in der Parlidenrüstung steckte, besuchte. Das Entsetzen war groß gewesen, als Juri die Wahrheit enthüllt hatte. Sjöberg hatte lange geschwiegen und dann verlangt, dass er zu seiner Frau gebracht wurde. Die übrigen Offiziere waren nicht weniger entsetzt gewesen.

      In den vergangenen Tagen hatte es vier Treffen des Rates der Admiralität gegeben, bei denen die Präsidentin jedes Mal zugegen gewesen war. Kartess hatte außerdem mehrere Sondersitzungen ihres Kabinetts einberufen und konferierte dauernd mit dem Verteidigungs- und dem Innenminister. Nicht einmal Juris Informanten konnten ihm erzählen, was dort besprochen wurde.

      Natürlich war das auch nicht notwendig. Es war klar, worauf die Sache hinauslief. Die Präsidentin hatte keine Wahl, musste einfach aktiv gegen die Parliden vorgehen. Wie sollte sie es der Öffentlichkeit verkaufen, dass sie nichts unternahm und ihre eigenen Bürger den verdammten Sternköpfen überließ?

      Nur noch wenige Admiräle sprachen sich gegen einen Krieg aus. Sogar Sjöberg war überraschend still geworden, wenn es um dieses Thema ging. Das Argument, dass der Angriff auf Schiffe der Parliden schließlich die Leben von Menschen kosten würde, hatte Juri recht schnell ausgehebelt. Genau genommen waren die versklavten Offiziere Geiseln. Und eine Regierung durfte sich von Geiselnehmern nicht erpressen lassen. Eine andere Möglichkeit als den direkten Angriff gab es schlicht und einfach nicht. Die Zweifler waren endlich in der Minderheit.

      Und dabei hatte Juri noch nicht einmal seine schärfste Waffe gezückt. Er warf einen Blick auf das mobile Pad, das vor ihm auf der Konsole lag. Er hatte den Bericht erneut gelesen, den Randall ihm über einen Mittelsmann beim Geheimdienst besorgt hatte. Darin wurde die ganze Wahrheit offenbar, die die Präsidentin noch immer unter Verschluss hielt.

      In den vergangenen vier Jahren waren drei Kolonien in den Randgebieten der Solaren Union quasi entvölkert worden. Die Bewohner: spurlos verschwunden. Eine geheime Ermittlungseinheit versuchte die Sache aufzuklären, bisher vergeblich. Um die Angelegenheit offiziell zu erklären, hatte man den Erios-Virus zu Hilfe genommen. Dieser sich durch die Luft verbreitende Erreger war absolut tödlich und es gab bisher kein Gegenmittel. Erstmals auf der Kolonie Erios aufgetreten, hielt er nun als Ausrede her und erklärte offiziell das Verschwinden der Kolonisten.

      Juri wusste es besser. Die Parliden waren dafür verantwortlich, es gab keine andere Erklärung. Dass die Regierung nicht längst gehandelt hatte, war ein Armutszeugnis. Doch jetzt, mit dem Wissen um die Versklavung und die psychische Folter von unzähligen Terranern, musste Kartess aktiv werden.

      Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder Sjöberg zu, der gerade einen Monitor nahm und gegen die Wand warf. Juri schüttelte den Kopf. Beim ersten Besuch hatte der Admiral fast das gesamte Labor demoliert. Sein Feind verlor nicht oft die Fassung, doch in dieser Situation konnte Juri es nachvollziehen.

      Er selbst hatte seine Großeltern im Parlidenkrieg verloren, seine Eltern im Kampf gegen den Eriin-Bund und seine Frau sowie seinen einzigen Sohn – Ironie des Schicksals – an das echte Erios-Virus. Der Inkompetenz der bisherigen Regierungen war es zu verdanken, dass noch keines der drei Probleme gelöst war.

      Gerade brach Sjöberg schluchzend über dem Stasetank zusammen, in dem seine Frau lag. Juri schaltete ab, wollte dieses erbärmliche Schauspiel nicht länger mit ansehen müssen.

      Zugegeben, allein der Gedanke, dass Offiziere der Space Navy – bei vollem Bewusstsein! – als Sklaven dienten, auf ihre eigenen Schiffe schossen und zu was auch immer noch missbraucht wurden, machte ihn krank. Gedanklich hatte er bereits die Flotte zusammengestellt, die dem Hauptsystem der Sternköpfe einen Besuch abstatten sollte. Die HYPERION konnte mit ihrem Interlink-Antrieb in das System fliegen und die Phasenstörer beseitigen, die Hauptflotte folgte und legte die Hauptwelt der Parliden in Schutt und Asche.

      Er lächelte bei dem Gedanken.

      *

      Büro der Präsidentin, Paris

      Ione Kartess hatte längst aufgehört, ihre ViKo-Drinks zu zählen. Seit mittlerweile achtundvierzig Stunden war sie auf den Beinen und traf sich abwechselnd mit Spezialisten des Geheimdienstes, dem Verteidigungsminister und Yoshio Zhang von der Admiralität der Space Navy. Dazwischen wurden immer wieder Sitzungen des Admiralitätsrates anberaumt, der die verschiedenen Szenarien einer militärischen Intervention durchspielte.

      »Also gut, was können Sie mir berichten, Collin«, wandte sie sich an ihren Verteidigungsminister.

      Collin O'Sullivan gehörte zur eher gemäßigten Fraktion des Kabinetts, und genau deshalb hatte sie ihn auf diesen Posten gesetzt. Der untersetzte Rotschopf, dessen Gesicht von Sommersprossen übersät war, dachte zuerst nach, bevor er handelte. Gleichzeitig behielt er die Space Navy eisern im Griff.

      »Überraschenderweise ist bisher noch kein Gerücht nach außen gedrungen – und mit ‚außen‘ meine ich die Presse«, sagte O'Sullivan bedächtig. »Zhang hat seine Leute unter Kontrolle, die Mehrheit des Kabinetts ist ebenfalls noch ahnungslos und die Presseheinis haben noch nichts bemerkt.

      Das gab uns die Möglichkeit, diverse Strategien auszuarbeiten. Ich habe alle Dokumente in Ihren persönlichen Speicher übertragen.«

      »Geben Sie mir eine Zusammenfassung.«

      »In einem Satz ausgedrückt: Wir können es mit der Parlidenflotte nicht aufnehmen. Der Geheimdienst hat unter Hochdruck die neuesten Schätzungen abgeliefert.


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