Seewölfe - Piraten der Weltmeere 666. Sean Beaufort

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 666 - Sean Beaufort


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und sie würden jeden Fetzen aufziehen, den sie an Bord hatten.

      „Hier braucht sich die Schebecke nicht mehr sehen zu lassen. Der Pfeil hat alles geändert.“

      Garcia rieb sich die knochigen Hände. Die Fingernägel waren kurz geschnitten und, wie Ruthland fand, übertrieben sauber. Der Spanier nickte, hob den Kopf und starrte Ruthland in die Augen. Wieder erkannte der Engländer, daß der Capitán einen unbeugsamen Willen hatte und mit Stärke, Ausdauer und erstklassiger Führung aufholen wollte, was ihm die Natur versagt hatte. Ein Zwerg mit dem klaren Verstand zweier ausgewachsener Männer.

      „Richtig, der beste Schachzug“, sagte Francis Ruthland. „Ihnen ist nur die Flucht geblieben. Wird diesem verdammten Seewolf gar nicht geschmeckt haben, den Schwanz einziehen zu müssen.“

      „Auch Ihnen wäre es nicht anders ergangen, Capitán“, sagte Garcia.

      Er schaute hinaus in den Hafen. Am anderen Ende dieses verwahrlosten Landeplatzes entluden Eingeborene einen Lastensegler. Sie bildeten, die Säcke und Ballen auf den gekrümmten Rücken, eine lange Reihe, die irgendwo im dunklen Hintergrund in einem Lagerhaus verschwand.

      Das Wasser plätscherte in kleinen Wellen gegen die verdreckten Quader einer Kaiecke. Die Flut drückte das schwarze, stinkende Wasser, in dem kleine Kadaver schwammen, in den Hafen zurück.

      Irgendwo dort draußen, gegen den Monsun ankreuzend, kämpfte sich die Schebecke durch die Nacht, dachte Garcia.

      Der Wirt brachte eine Schüssel und zwei frischgewaschene Schalen. Von ihrem Boden tropfte noch das Wasser.

      „Gut Früchte, Herren“, sagte der Wirt.

      Obwohl er freundlich grinste, sah er aus, als plane er eine Teufelei, fand Ruthland. Garcia schob den Cutlass um eine Handbreite weiter nach rechts.

      „Schon gut. Stell’s hierher“, sagte Ruthland.

      Die Menschenmenge, die noch vor einer halben Stunde hier zu sehen gewesen war, schien bis auf wenige Eingeborene verschwunden zu sein. Eine Wache marschierte von rechts heran. Leise unterhielten sich die Männer des Padischah miteinander und warfen wachsame Blicke nach allen Seiten.

      Rasselnd rollte ein Vorhang aus Bambusrohr nach unten und verschloß einen der vielen Läden in den schmalbrüstigen Häusern. Irgendwo jaulte ein Hund, als habe ihn ein Stiefeltritt in die Rippen getroffen.

      Der Wirt, der um den Hals eine Kette aus Holzperlen, Muscheln und goldschimmernden kleineren Vierecken trug, räumte das Tischchen bis auf die Quirra-Schalen und den Nachtisch ab, wischte mit einem feuchten Lappen über das rissige Holz und drehte sich um, als ihn ein anderer Gast rief.

      Der junge Mann warf ein paar Münzen in eine leere Schale, stand auf und ging, nicht ohne vorher die beiden Männer schweigend und grimmig zu mustern. Als er an Ruthland vorbeiging, hob der Engländer sein Bein und streckte es in Richtung auf das Heck der „Ghost“ aus. Der Inder stolperte und fing sich gerade noch an einem Holzpfosten des Vordachs ab.

      Ruthland tat, als habe er nichts bemerkt. Er packte den Holzlöffel und häufte sich das Gemisch aus Feigen, Nüssen, Granatäpfeln und anderen Früchten, die in Sahne und Honig schwammen, in die Schale.

      „Der Kerl sieht aus wie der Knecht Satans“, knurrte er, während er die zerstückelten Früchte löffelte, „aber kochen kann er gut, das muß man ihm lassen.“

      Inzwischen überdeckte der Geruch, der aus den Quirra-Schalen aufstieg, alles andere. Der Kai leerte sich. Ein kurzer, dünner Regenguß pladderte vom Himmel und ließ die Steine glänzen.

      „Hm“, sagte Garcia undeutlich. „Für viele Tage das letzte Essen an Land.“

      „Mein Koch tut, was er kann“, antwortete Ruthland. „Und David Lean, der Stückmeister, wird ebenfalls zeigen, was er wert ist.“

      Während sie aßen, hörte der Regen auf. Die Fackeln am anderen Ende des Kais wurden gelöscht. Knarrend rieben sich die Taue an den hölzernen Pollern. Zwischen den Nachtwolken funkelten die ersten Sterne. An anderen Stellen des Hafens mochte noch mehr Betrieb herrschen, hier schien sich alles zur Ruhe zu begeben.

      Garcia gähnte, nachdem er seinen Napf geleert hatte. Er fingerte in seinem Gurt nach den Münzen.

      „Darauf trinken wir, Francis“, sagte er. „Und dann – ankerauf, hinter Hasard Killigrew her.“

      Die Früchte waren aufgegessen. Die Kapitäne hoben die Schalen und gossen sich das stark riechende Getränk in die Kehlen. Jetzt schmeckte das Zeug nicht mehr nach Beeren, sondern gleichzeitig nach allen scharfen Gewürzen Indiens. Die Zunge brannte, die Männer rangen nach Luft. Der Schlund schien sich in etwas Glühendes zu verwandeln. Im Bauch breitete sich Hitze aus.

      Daga, der Wirt, der neben seinem Koch stand und Geld zählte, drehte den Kopf weg und grinste in sich hinein, nachdem er die Gesichter der Fremden gesehen hatte.

      „Madre de dios“, ächzte Garcia und holte stöhnend Luft. „Das ist ein höllischer Schnaps.“

      Seine Augen schienen hervorzutreten. Er setzte die leere Schale ab und lehnte sich zurück. Er hatte das Gefühl, in wenigen Minuten auseinanderzuplatzen.

      „Paßt zu unserem Vorhaben“, sagte Ruthland, als er wieder sprechen konnte. Seine Lippen waren eiskalt geworden, aber er schüttelte sich nicht mal. „Ein gutes Zeichen.“

      Das Getränk war weitaus weniger stark als guter Rum. Aber die geheimnisvollen Zutaten und die Gewürze darin schienen den letzten Rest von Müdigkeit und dunklen Gedanken fortzubrennen. Die Männer standen auf und sahen, daß außer ihnen niemand mehr unter dem Vordach saß. Alle anderen waren gegangen, ohne daß sie es gemerkt hatten. Der Wirt erschien und verbeugte sich noch tiefer als sonst.

      „Geschmeckt, Herr?“ fragte er.

      Ruthland und Garcia nickten. Der Spanier fragte: „Wieviel?“

      Daga hob beide Hände und fing an den Fingern zu zählen an. Dann nannte er einen Betrag, der auch in Rupien nicht hoch war.

      Garcia sagte: „Es ist mir eine Ehre, mein lieber Ruthland, Sie eingeladen zu haben. Ich habe schließlich die Gastfreundschaft an Bord Ihrer ‚Ghost‘ lange genug in Anspruch genommen. Ich zahle unser Essen.“

      Ruthland lachte und winkte ab. „Schon gut, Capitán. Mir gereicht’s auch zur Ehre, einen Mann an Bord zu haben, der über Killigrew das gleiche denkt wie ich.“

      Garcia zählte die Münzen langsam in die Hand des Wirtes, während sich Ruthland unter dem Dach bückte und einige Schritte auf das Schiff zuging. Quelch, der Wache ging, eilte über Deck und wartete neben der Laufplanke.

      Daga wartete, dann schloß er die Hand und sagte: „Dank, Herr. Bald wieder bei mir gut essen, ja?“

      „Besonders gut trinken, du Schurke“, erwiderte Garcia in seinem Dialekt. „Quirra gut gegen alle Krankheiten.“

      Daga sah den Männern nach. Sie gingen bis zum Rand des Kais und ohne zu schwanken über die Laufplanke. Als sie im Halbdunkel hinter dem Schanzkleid verschwunden waren, hörte das unterwürfige Lächeln Dagas auf. Er fühlte, wie seine Finger, die sich um die Münzen geschlossen hatten, zitterten.

      Wie eine schwarze Kobra kroch Kälte an seinem Rücken hinauf und packte ihn im Genick. Sein braunes Gesicht wurde zu einer schwarzen Maske. Er war nicht abergläubisch. Und auch vor den meisten Dämonen hatte er keine Angst. Aber diese beiden Fremden hatten ihn gelehrt, daß das böse Schicksal in vielen Masken auftreten konnte.

      Er steckte die Münzen ein, stapelte das leere Geschirr ineinander und war froh, daß er mit dem Koch allein war. Er zog an der Schnur, die die Bambusrolle zusammenhielt. Der dünne Vorhang sperrte das Innere der Schenke gegen den Anblick des fremden Schiffes ab.

      Daga hockte sich neben Amuu, den Koch, auf ein leeres Faß.

      Amuu wischte die ölglänzende flache Pfanne aus und fragte: „Soll ich dir einen Chapatti füllen, Daga? Du siehst aus, als wolltest du bald deine Kinder um dein Totenbett


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