Das schwarze Herz. Armin Öhri
sich in einem der schönsten Gärten außerhalb der Berliner Zoll- und Akzisemauer wieder. Sorgfältig gestutzte Buchsbäume bildeten mehrere Quadrate, in denen die Gemüsebeete nicht bloß nützlich sein sollten, sondern ein dekoratives Element abgaben. Das Blaugrün des Lauchs stach ab vom lichten, hellen Grün des winterlichen Feldsalats. Dazwischen hatte man Rosenkohl und ein paar Steckrüben eingebettet und an den Ecken und Kreuzungen der Vierecke kleine Teiche ausgehoben, die von hölzernen Stangen überdeckt waren, welche ihrerseits von Kletterrosen überwuchert wurden. Auf mit Kies bestreuten Pfaden zwischen den Quadraten hindurch verlief der Weg zum Haus. Alles war von unzähligen Fackeln beleuchtet und in ein irisierendes Licht getaucht. Im Frühling und Sommer, wenn bei den meisten Pflanzen die Blütezeit gekommen war, würde die Anlage ein unvergessliches Bild abgeben.
Ein weiterer Diener empfing sie an der Eingangspforte und führte sie ins Gebäude, das aus ockerfarbenem Stein bestand. Der weitere Weg ging vorbei an prächtigen Möbeln und hinein in einen mondän eingerichteten Saal, dessen Fenster hin zum Garten zeigten. Etliche Gäste waren bereits anwesend, und der Diener kündete Bentheim und Krosick an, wie es einst wohl ein sklavischer Nomenklator der alten Römer gemacht haben würde: Laut und deutlich rief er ihren Vor- und Zunamen und räusperte sich, bevor er die Berufe des Tatortfotografen respektive Tatortzeichners erwähnte, die hier, bei den oberen Zehntausend, nicht gerade als gesellschaftsfähig galten.
Die Damen und Herren drehten sich für einen Augenblick zur Tür und bedachten ihre Wenigkeit mit einem belanglosen Nicken, und dann kam auch schon Gräfin Dorothea angerauscht, ihre zwei obligaten Schoßhündchen auf den Armen. Julius begrüßte sie warmherzig und kramte eine Bockwurst aus der Hosentasche hervor, die er speziell für diesen Augenblick eingepackt hatte.
»Sieh an, ein Geburtstagsgeschenk für meine Lieben!«, entfuhr es der erfreuten Dame. »Ach, es ist erbärmlich«, plauderte Gräfin Dorothea drauflos, »ich kokettiere und kokettiere, aber niemand würdigt mich auch nur eines Blickes. Glauben Sie, ich finde hier einen Gatten?« Und ohne dass der Angesprochene auch nur eine Silbe hätte antworten können, fuhr sie fort. »Dort drüben, sehen Sie, Julius? Dort steht Hermann von Thile, einer unserer Unterstaatssekretäre. Daneben parlieren die Herren Fontane, Möllhausen und Galen. Gehen Sie nicht hin, ich warne Sie; die reden ohne Unterbruch über ihre miesen Texte. Und da hinten, der mit dem Sektglas in der Hand, das ist ein Minister. Aber fragen Sie mich jetzt nicht, was er ministriert; ich bin doch immer so zerstreut und vergesse diese Dinge gleich wieder. Sowieso, diese Politik … Haben Sie übrigens meine neue Fassade bewundert?«
Bentheim verneinte.
»Das ist schade«, bemerkte sie mit Nachdruck. »Äußerst bedauerlich. Die Steine habe ich extra aus La Gaude kommen lassen. Das liegt in Frankreich, müssen Sie wissen. Aber Sie sind ein Studiosus; ich rede und rede, und Sie wissen das bestimmt besser als ich.«
Julius hüstelte leicht irritiert, streichelte ihren Hunden über die Köpfe und entschuldigte sich mit dem Verweis, einen Bekannten unter den Gästen entdeckt zu haben, den Journalisten Friedrich Goedsche. Gräfin Dorothea nahm ihm die Notlüge ab.
Wenig später, nach einer Anstandspause von fünf Minuten, die Julius und Albrecht im Eingangsflur auf und ab gehend hinter sich gebracht hatten, betraten sie erneut den Raum. Albrecht schnappte sich ein Glas Champagner von einem der Tabletts und gesellte sich mit Julius zu einer Ansammlung Männer und Frauen, die gerade dabei war, heftig über die weltpolitische Lage und insbesondere über die neu gegründete preußische Provinz Hessen-Nassau zu disputieren. Das Gespräch zog sich hin und wurde allgemein, bis schlagartig die Damen der Runde verstummten. Ihre Augen waren auf die Saaltür gerichtet, wo soeben ein junger, dandyhaft wirkender Gentleman Stellung bezogen hatte. Groß und dominant, mit viriler Ausstrahlung, betrachtete er herausfordernd die Gesellschaft.
»Das ist er«, seufzte die Frau zu Albrechts Linken. »Er sieht verdammt gut aus. Wenn er nur nicht diesen Pakt geschlossen hätte …«
»Verzeihen Sie. Aber welchen Pakt?«, erkundigte sich der Tatortfotograf.
Die Dame starrte ihn verständnislos an.
»Sie kennen den Vicomte de Rastignac nicht?«
»Ich hatte noch nicht das Vergnügen.«
»Meiden Sie ihn!«, befahl ihm die Frau mit Nachdruck. »Man erzählt sich, er pflege Freundschaft mit Werwölfen. Er steht mit dem Bösen im Bunde.«
Obgleich es sich einer Dame gegenüber nicht ziemte, lachte Julius, der dem Gespräch gefolgt war, unwillkürlich auf.
»So, so«, meinte Albrecht süffisant. »Trägt Ihr Vicomte denn ein Kainsmal? Als Franzose wird er am Ende gar ein Katholik sein. Das wäre bei uns bereits Grund genug, ihn aufzuhängen.«
»Zwei Gründe«, warf Julius leichthin ein. »Franzose und Katholik.«
»Sie belieben zu scherzen«, entgegnete die Frau sichtlich verärgert, bevor sie sich brüsk abwandte.
Julius zuckte mit den Achseln und schickte sich in eine weitaus interessantere Konversation mit einem alten Baron, der zufällig in der Nähe stand.
Drei Stunden später, als die Soiree zu Ende war und die letzten Gäste das Haus verließen, sollte jener besagte Vicomte tatsächlich vor dem Tatortzeichner Aufstellung beziehen und ihn in ein völlig unerwartetes Gespräch verwickeln. Sie standen auf dem Gehweg vor der Villa Sternau: Julius, Albrecht und der Franzose. Die Haare des Ausländers waren leicht pomadisiert, der Anzug tadellos geschnitten, das Gesicht glatt rasiert und die Augen stechend.
»Dacascos Rastignac«, stellte er sich freundlich lächelnd vor, ohne auch nur in Erwägung zu ziehen, seinen Titel oder zumindest sein Adelsprädikat zu nennen. »Und Sie sind die Herren Bentheim und Krosick, nicht wahr? Die berühmten Polizeiaspiranten, wie mir die reizende Gräfin Dorothea heute mitgeteilt hat.«
Er besaß den unvermeidlichen Akzent all jener, die hinter Lothringens Nordosten lebten. Das I betonte er, das R sprach er viel zu oft mit, wo es im Deutschen oft verschluckt wird, und das im Französischen stumme Anfangs-H übersah er auch in seinen Übersetzungen.
Mit der gebotenen Bescheidenheit fügte Julius an, dass sie bloß ihre Arbeit taten wie jeder andere anständige Mann auch. Sein Gegenüber erschien Bentheim trotz – oder vielleicht gerade wegen – seiner Jugend einnehmend und liebenswürdig zu sein. Um den Hals des Franzosen hing ein grauer Schal, der auf Höhe der Schultern mit einem roten Tatzenkreuz geschmückt war. An den Fingern der rechten Hand glänzten zwei teure Ringe.
»Ich habe heute Morgen die Gazetten gelesen, Herr Bentheim, die National-Zeitung, die Vossische und die Spenersche. Ich muss schon sagen, diese Geschichte mit dem toten Herzog hat ein richtiges Rauschen im Blätterwald verursacht. Haben Sie bereits einen Anhaltspunkt?«
»In Bezug auf wen oder was?«
Julius gab sich wortkarg. Langsam fröstelte er ein wenig.
»Natürlich in Bezug auf den Täter«, lachte der junge Vicomte auf. »Solche Mördergeschichten interessieren mich ungemein. Sie wissen schon: Marie-Catherine Cadière und Jean-Baptiste Girard, die Marquise de Brinvilliers und der Chevalier Godin de Sainte-Croix, Catherine Monvoisin oder Gilles de Rais und so weiter und so fort.«
»Leider muss ich Sie insofern enttäuschen, als ich verpflichtet bin, zu unseren laufenden Ermittlungen keine Auskünfte zu geben.«
»Wie schade, wie betrüblich«, sinnierte der Franzose, der diese Floskel zweifellos erwartet hatte. »Aber ich wünsche Ihnen eine gute Heimreise und verabschiede mich gleichzeitig von Ihnen. Ich sehe, mein Kutscher fährt gerade vor.«
Als ob es den Moment abgepasst hätte, raste ein Viergespann um die Ecke. Schnaubend blieben die Klepper vor den drei Männern stehen, ihre Nüstern tropften, ihr Atem qualmte in den Schwaden. Die Kalesche war gänzlich in Schwarz gehalten, die Insignien an der Seite zeigten zwei Ritter auf einem Pferd, darunter standen Name und Nummer des Gefährts; es war eine Velid 13-666, eine edle und keineswegs billige Sonderanfertigung. Vicomte Dacascos griff nach dem Schieber, der die Tür entriegelte, und bestieg den Wagen. Ein letzter Gruß noch aus dem Inneren, und dann stob das Gespann davon.
Der