Die geheime Kraft des Fettstoffwechsels. Prof. Dr. med. Marion Kiechle
Sie erfahren, wie viel Kalorien Sie täglich verbrauchen müssen, um das Gewicht zu halten.
Ein Körperfettanteil von 20 bis 30 Prozent ist für uns Frauen normal, bei Männern liegt dieser zwischen 10 und 25 Prozent. Mit steigendem Alter darf aber auch mehr Fett vorhanden sein (bis zu 35 Prozent bei Frauen jenseits von 60 Jahren). Da Fettgewebe lebenswichtig ist, sollten auch untere Grenzwerte nicht unterschritten werden: Frauen sollten deshalb nicht unter einen Körperfettwert unter zehn bis 15 Prozent, Männer nicht unter fünf bis acht Prozent kommen.
Die unterschätzte »Pandemie«
Seit dem Ausbruch von SARS-CoV-2 im Jahr 2020 in Deutschland und der ganzen Welt ist das Wort Pandemie in aller Munde. Im Kontext mit Übergewicht und Adipositas ist dieser Begriff den meisten eher noch nicht untergekommen, obwohl beide weltweit auf dem Vormarsch sind und sich eben pandemisch ausbreiten. Die WHO hat Übergewicht und Adipositas schon seit geraumer Zeit als Pandemie eingestuft. Die Ursachen hierfür liegen nicht nur an den schlechten Essgewohnheiten und einem ungesunden Lebensstil im Allgemeinen, sondern auch daran, dass Übergewicht unsere Gene auf Fettleibigkeit umprogrammieren kann – es kann uns also durchaus schon in die Wiege gelegt werden.
Wenn Eltern adipös sind, sind aus diesem Grund auch häufig deren Kinder zu dick. Natürlich auch deshalb, weil sie die Gewohnheiten in Sachen Essen von ihren Eltern übernommen haben – aber auch, weil deren Ernährung die Ursache dafür ist, dass sich die Keimzellen in Richtung Übergewicht verändert haben. All das trifft auf weibliche und männliche Keimzellen zu.
Allein in Deutschland sind laut Robert Koch-Institut 53 Prozent der Frauen und 67 Prozent der Männer übergewichtig. 25 Prozent der Frauen und Männer sind adipös, sprich, sie haben einen BMI von 30 oder mehr. Dies hat verheerende Auswirkungen auf deren Gesundheit. Es gibt praktisch kein Organ, das über kurz oder lang nicht unter dem Übergewicht leidet und erkrankt. Dazu zählen auch das Gehirn und die Seele. Das Fettgewebe ist eben nicht nur ein Organ, das Energie speichert, sondern es hat – wie Sie bereits wissen - auch immunologische Aufgaben und bildet zahlreiche Hormone, die den Stoffwechsel beeinflussen. Dies erklärt, warum ein Zuviel an Fett durch die Überproduktion von Entzündungsstoffen und Hormonen den Stoffwechsel aus der Balance bringt und krank machen kann.
EIN ZU VIEL AN FETT DURCH DIE ÜBERPRODUKTION VON ENTZÜNDUNGSSTOFFEN UND HORMONEN BRINGT DEN STOFFWECHSEL AUS DER BALANCE UND KANN KRANK MACHEN.
Weltweit haben zwei Milliarden Menschen Gesundheitsprobleme, die durch Übergewicht entstanden sind. Eine groß angelegte Studie im Fachmagazin »The Lancet« aus dem Jahr 2019 zeigt, dass mittlerweile jeder fünfte Todesfall in der Welt auf eine falsche Ernährung und Übergewicht zurückzuführen ist. Neben Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen, Gefäßverkalkungen, Fettleber, Herzinfarkt, Krebs, Thrombosen und Schlaganfall treten auch degenerative Leiden vermehrt auf, da die Knochen und Gelenke stärker belastet sind. Es leidet aber auch das Gehirn, was sich durch eine Abnahme der Gedächtnisleistung und eine emotionale Instabilität äußern kann.
Der Zusammenhang von Fett und Sexualität sowie Fruchtbarkeit
Auch Tabuthemen, über die viele nicht offen reden wollen, wie Inkontinenz und Sexualität, können durch Übergewicht negativ beeinflusst werden. Beispielsweise kann eine Harninkontinenz der Frau durch eine Schwäche der Beckenbodenmuskulatur auftreten, die durch Übergewicht entstanden ist. Wenn das Gewicht, das der Beckenboden zu tragen hat, zu hoch ist, leiert dieser aus und es kommt zu einer Störung des Blasenverschlusses. Bei vielen Frauen wirkt sich das darüber hinaus negativ auf die Intimität aus – es ist ihnen peinlich, wenn es beim Verkehr zu einem unwillkürlichen Abgang von Urin kommt.
Da im Fettgewebe bekanntermaßen weibliche Geschlechtshormone gebildet werden, gilt hier: Je mehr Fettgewebe, desto mehr Östrogene.
Das ist sowohl bei uns Frauen wie auch bei Männern der Fall. Dicke Männer entwickeln aufgrund dessen häufig eine Brust. Zudem leidet die Libido: Manneskraft und Zeugungsfähigkeit nehmen ab. Auch haben übergewichtige Frauen mitunter Probleme, ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Frauen mit einem BMI zwischen 25 und 30 haben eine um 30 Prozent reduzierte Chance, schwanger zu werden, als Frauen mit einem normalen BMI zwischen 20 und 25. Steigt der BMI noch weiter, so nimmt die Chance auf ein Kind weiter ab. Man vermutet auch hier, dass dies an einer gestörten Fettgewebe-Gehirn-Eierstock-Achse liegt. Adipöse Frauen haben oft sehr hohe Leptinspiegel. Zur Erinnerung: Leptin sorgt dafür, dass wir satt sind und aufhören zu essen. Aus verschiedenen Gründen kann das Sättigungsgefühl trotz hohem Leptinspiegel ausbleiben – das Gehirn ist praktisch resistent geworden gegen das vom Leptin vermittelte Sättigungsgefühl und reagiert nicht mehr darauf. Leptin hat aber auch die oben beschriebene Wirkung auf die Fruchtbarkeit. Möglicherweise können die hohen Leptinspiegel den Pulsgeber des Hypothalamus stören und so dafür sorgen, dass der Eisprung ausbleibt. Wenn übergewichtige Frauen sich für eine künstliche Befruchtung entscheiden, haben sie auch hier geringere Chancen auf Erfolg. Und wenn es dann endlich klappt, ist leider die Rate an Aborten erhöht. Daher ist es wichtig, vor der Familienplanung ein mögliches Übergewicht gezielt anzugehen – nicht nur für die eigene Gesundheit, sondern auch für das Wohl des Babys.
DIE PO-HIRN-ACHSE DER FRAU
Für das Überleben der Menschheit spielt das Fett am Po eine wichtige Rolle und unterliegt daher dem strengen Kontrollsystem des Gehirns. Aus diesem Grund gibt es eine sehr gute Kommunikation zwischen dem Energiespeicher Fettgewebe und den Eierstöcken. Das Hormon Leptin stimuliert dabei direkt den Hypothalamus im Gehirn, eine Region, die auch die Fruchtbarkeit der Frau steuert. Der Hypothalamus wiederum stimuliert die Hypophyse (Hirnanhangsdrüse). Sie produziert die essenziellen Fruchtbarkeitshormone FSH, das follikelstimulierende Hormon, und LH, das luteinisierende Hormon, die zur Follikelreifung im Eierstock führen und den Eisprung auslösen. Bei zu wenig Fettreserven am Po stellt der Hypothalamus die Stimulation der Hypophyse sofort ein. Die Folge: Die Konzentration von FSH und LH fällt drastisch ab, sodass Eisprung und Periode ausfallen – und somit auch die Möglichkeit, schwanger zu werden.
Diese Achse ist vor allem bei untergewichtigen Frauen gestört. Diese Störung kann bereits ab einem BMI unter 19 anfangen und äußert sich durch das Ausbleiben oder sehr unregelmäßige Auftreten der Periode.
Fettaufbau durch Hormonresistenzen
Das Wechselspiel zwischen Fettauf- und -abbau unterliegt der hormonellen Regulation. Über das Hormon Leptin sowie die Auswirkungen einer Leptinresistenz haben Sie bereits lesen können.
EIN ERHÖHTER INSULINSPIEGEL IST EIN ZENTRALES ELEMENT BEI DER ENTWICKLUNG VON ÜBERGEWICHT.
WAS GENAU IST EINE HYERINSULINÄMIE?
Darunter versteht man eine zu hohe Insulinkonzentration im Blut. Eine Hyperinsulinämie tritt auf, wenn der Körper zu viel Insulin freisetzt, zum Beispiel durch ständiges Snacken zwischen den Hauptmahlzeiten. Hyperinsulinämie kann im schlimmsten Fall zu einer Insulinresistenz des Körpers und somit zu Diabetes mellitus führen.
Insulin ist ein weiterer zentraler Player, wenn es um Fettaufbau geht – in der Fachsprache als Lipogenese bezeichnet: Insulin regt die Zellen zur Glukoseaufnahme sowie Lipogenese an und hemmt den Fettabbau. Ein erhöhter Insulinspiegel ist ein zentrales Element bei der Entwicklung von Übergewicht. Ein auf Dauer erhöhter Insulinspiegel, die sogenannte Hyperinsulinämie, behindert die Fettverbrennung – auch wenn er nur geringfügig erhöht ist. Die Folge: Ungeliebte Kilos liegen wie Blei auf der Waage. Die Ursachen einer solchen Hyperinsulinämie können zum Beispiel eine übermäßige Kalorienaufnahme sein, mangelnde Bewegung oder schlechter und zu wenig Schlaf. Aber auch seelische Faktoren wie Depressionen und zu viel Stress können zu einem erhöhten Insulinspiegel führen. Neueste Untersuchungen zeigen, dass auch Feinstaub durch Straßenverkehr und sogar Bestandteile von Plastikprodukten mögliche Ursachen sein können.
Ein weiterer Anlass für erhöhte Insulinwerte im Blut kann eine sogenannte