Hexenzirkel 3: Das Lied des auferstandenen Gottes. R.A. Salvatore

Hexenzirkel 3: Das Lied des auferstandenen Gottes - R.A. Salvatore


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Frau sah zu ihm auf, schenkte ihm ein ungewöhnlich verlegenes Lächeln und hob die Hand, um ihn zurückzuhalten.

      »Jetzt?«, fragte sie Aoleyn.

      Aoleyn führte die Schnur, einen aus Wedstein bestehenden Draht, der jenem glich, mit dem sie ihren eigenen Schmuck herstellte, durch die Lederriemen, dann einmal herum und knotete sie fest zusammen. Nach einem kurzen Blick auf den fertigen Gürtel beugte sie sich vor und band ihn um Khotais Hüften.

      »Ich bin keine Hexe«, flüsterte die Frau Aoleyn ins Ohr, als ihre Köpfe dicht beieinander waren.

      »Musst du auch nicht sein«, erwiderte Aoleyn leise. »Du wirst die Magie spüren und das Lied hören. Du musst ihr nur sagen, was sie tun soll.«

      Aoleyn lehnte sich zurück und rückte den Gürtel zurecht. »Das wird ein bisschen wehtun«, warnte sie und hob Khotais Hemd, sodass man ihren Bauchnabel sehen konnte.

      Das war die beste Stelle, das wusste Aoleyn aus eigener Erfahrung. Sie hatte viele Schmuckstücke mit Wedsteindraht in ihrem Fleisch verankert, aber jenes in ihrem Bauchnabel war am präsentesten, weil es mit ihrer Lebensenergie verbunden war. Sie stach den Draht in Khotais Bauchnabel und beschwor die schwache Heilmagie im Wedsteindraht, um die Wunde zu schließen und Khotai dauerhaft mit ihrem Gürtel zu verbinden.

      Khotais Gesichtsausdruck änderte sich abrupt. Aoleyn wusste sofort, dass sie das Lied der Magie tatsächlich hören konnte.

      »Schließ die Augen«, sagte Aoleyn, dann rutschte sie zur Seite, stand auf und trat einen Schritt zurück. »Sag ihr einfach, was du von ihr willst.«

      »Aoleyn, was …« Talmadge setzte zu einer Frage an, aber Aoleyn brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen.

      Er sagte nichts mehr, keuchte nur mit geweiteten Augen und offenem Mund, als Khotai vom Boden emporschwebte und auf ihrem verkrüppelten Bein stehen blieb. Einen Moment lang schwankte sie und Talmadge wollte ihr zu Hilfe eilen, aber Aoleyn hielt ihn mit ausgestrecktem Arm zurück.

      Khotai fand ihr Gleichgewicht wieder und strahlte Aoleyn an.

      »Wie lange?«, fragte sie.

      »Bis du müde wirst«, erwiderte Aoleyn. »Falls du je müde wirst.« Sie trat vor, legte ihre Hände auf Khotais Schultern und sah ihr fest in die Augen. »Deine Tage am Boden sind vorüber.«

      Khotais Lächeln erstarb, als sie um Worte rang. Doch sie brachte keine hervor, nur Tränen. Dann fiel sie Aoleyn in die Arme.

      »Das wird für immer so sein«, versprach Aoleyn.

      Die versammelten Menschen wussten nicht, wie sie reagieren sollten. Sie tauschten unsichere Blicke, zuckten mit den Schultern, starrten Khotai an, lachten, manche weinten, manche schüttelten den Kopf, vielleicht ungläubig, vielleicht wütend oder ablehnend – das wusste niemand so genau.

      Bahdlahn jubelte Aoleyn zu, aber die Reaktionen darauf waren eher verhalten. Talmadge lief zu Khotai, der Frau, die er liebte.

      »Du scheinst nicht überrascht zu sein«, sagte Catriona zu Aydrian, der äußerlich am wenigsten auf diese beeindruckenden Ereignisse reagierte.

      »Du weißt nichts über die Magie der Ostländer«, erklärte er der Frau. »Über die Zauber und Gegenstände. Über die Magie meines Schwerts oder meiner Brustplatte, über die Edelsteine, die es mir ermöglichen, auf Wasser zu gehen. Es überrascht mich, dass diese Usgar, die nicht zur abellikanischen Kirche gehört und auch keine Elfe ist, die Edelsteine so gut beherrscht, aber was die magischen Steine hier bewirkt haben, wundert mich nicht. Die Magie ist mächtig, Catriona aus Fasach Crann.«

      »Mächtig genug, um sie aufzuhalten?«, fragte die Frau mit einem Blick hinauf zum Gebirge und dem eroberten Ayamharas-Plateau.

      »Das werden wir sehen«, erwiderte Aydrian. »Ich befürchte, dass uns keine andere Wahl bleibt, als es herauszufinden.«

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      Die Flüchtlinge brachen kurz danach auf und folgten dem Nordufer des neuen Sees. Aydrian setzte Talmadges Quarzkristall ein, um sich den Wasserfall hinter ihnen anzusehen, der immer noch den neuen und gewaltigen See speiste, auch wenn er mittlerweile viel schmaler geworden war. Dann betrachtete er das Ostufer und entdeckte einen kleinen Fluss, der aus dem See in Richtung Osten mäanderte.

      »Die Reise wird einfacher, wenn wir am Seeufer bleiben«, erklärte er Catriona und den anderen. »Dort steht uns Wasser und Nahrung zur Verfügung, um durch die Wüste bis zu den Ländern zu kommen, in denen sich Talmadge und Khotai gut auskennen. Dort werden wir weit weg von den Eroberern sein.«

      »Wenn sie uns nicht vorher erwischen«, erwiderte die Frau.

      Darauf wusste Aydrian keine Antwort.

      »Sie werden uns nicht erwischen«, sagte Aoleyn, die sich einige Reihen hinter ihnen befand. »Und wenn doch, dann werden sie das bereuen.«

      Selbst die Seebewohner, die ihr nicht trauten und sie sogar hassten, weil sie eine Usgar war, nickten, als sie diese Worte hörten.

      Aydrian war froh darüber. Er warf einen Blick auf Khotai, die sich inzwischen elegant fortbewegte, mühelos mithielt und dank des magischen Gürtels, den Aoleyn angefertigt hatte, auf diese seltsam gehende und gleitende Weise sogar schneller laufen konnte als alle anderen. Obwohl das verbliebene Bein der Frau verkrüppelt und missgestaltet war, kam sie, wenn sie den Fuß auf den Boden setzte, mit einem einzigen, beinahe schwerelosen Hüpfer zwanzig Schritte weit.

      Dank dieses Erfolgs, der Arbeit mit dem Heilstein und Khotais Entschlossenheit, die Magie anzunehmen, gelang es Aoleyn, den Hass der anderen Stück für Stück zu überwinden.

      Das gab Aydrian Hoffnung.

      Nicht für Aoleyn, denn er war davon überzeugt, dass sie sich trotz der turbulenten Entwurzelung behaupten würde, sondern für sich selbst. Aydrian wusste, was er zu tun hatte, und er konnte sich recht gut vorstellen, welchen Widerstand er von König Midalis in Ursal zu erwarten hatte, vor allem von der abellikanischen Kirche selbst.

      Ihm kam recht oft der Gedanke, dass er auf dem Weg in den Tod war. Die Bedingungen für sein Exil waren eindeutig gewesen: Auf seine Rückkehr nach Honce-der-Bär stand die Todesstrafe.

      Er kehrte zwar zurück, um vor einer potenziellen Gefahr aus dem Westen zu warnen, befürchtete jedoch, dass dies nicht zu einer Aussetzung der Bedingungen führen würde.

      Dann war es eben so.

      Sie schlugen ihr Lager nicht weit vom Hügelland des Plateaus entfernt am Seeufer auf, da die Weiterreise bei Dunkelheit zu gefährlich war. Catriona erlaubte keine Fackeln, überhaupt kein Licht, aber Aoleyn konnte mit ihrem Rubinring wenigstens einige Steine für das Lager anwärmen, sodass die Menschen in der nächtlichen Wüstenkälte nicht frieren mussten.

      Wie sie versprochen hatte, war sie mit Khotai noch nicht fertig. Sie hatte mit ihren Kräften die rechte Hand der Frau geheilt, aber die linke erwies sich als problematischer. Durch das jahrelange Kriechen hatten sich die Sehnen zusammengezogen und die Finger verkrümmt.

      »Ich kann das beheben«, sagte Aoleyn zu Khotai. »Aber das wird vielleicht mit den stärksten Schmerzen verbunden sein, die du je erlebt hast.«

      »Oh, mach dir keine Sorgen, meine Liebe«, erwiderte Khotai und zwinkerte Talmadge zu. »Ich weiß, was Schmerzen sind. Mir hat ein Seeungeheuer, das nun anscheinend zum Drachen geworden ist, ein Bein abgebissen und das andere zerschmettert.«

      Aoleyn lachte und nickte.

      »Wann?«, fragte Khotai.

      »Wann immer du bereit bist«, entgegnete Aoleyn.

      »Jetzt«, sagte die Frau, ohne zu zögern und ohne das geringste Zittern in der Stimme.

      Aoleyn zeigte auf Talmadge und Aydrian. »Holt ihr etwas, auf das sie beißen kann, und haltet sie fest.«

      »Bist


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