Hexenzirkel 3: Das Lied des auferstandenen Gottes. R.A. Salvatore
eine Flotte aus den Booten zusammen, die sie in den Dörfern am Seeufer gefunden hatten. Am nächsten Morgen würde man auf dem neuen See viele Fischerboote sehen, während andere an den Ufern entlangfahren würden, um sich die Strömungen und die Winde zu notieren.
Und das alles in so kurzer Zeit.
Tuolonatl winkte eine ihre Adjutantinnen herbei, die mit einem Cuetzpali zu ihr eilte. Die Echse war bereits gesattelt. Ihr fiel auf, wie eifrig die junge Frau wirkte, so als wüsste sie etwas, von dem Tuolonatl noch nichts ahnte.
Tuolonatl sprang elegant in den Sattel und ließ die Echse die lange Treppe hinunterlaufen. Sie ritt nicht gern auf den Kragenechsen, weil sie das unelegante Schaukeln störte, aber sie musste zugeben, dass die Echsen mit ihrem tiefen Schwerpunkt und den wulstigen, rutschsicheren Füßen für ein so steiles Gelände wie diese Treppe besser geeignet waren als Pferde.
Ihre Adjutantin folgte ihr auf einem zweiten Reittier. Sie hielt ein Horn in der Hand, in das sie jedes Mal stieß, wenn sie sich jemandem auf den Stufen unter ihnen näherten. Diese Xoconai, sogar jene, die sich mit den schweren, unhandlichen Booten abmühten, gingen hastig aus dem Weg, um die große Tuolonatl durchzulassen – schließlich waren selbst Kleinigkeiten, die sie zu erledigen hatte, wichtiger als alles, was sie selbst taten.
Es war ein warmer Tag, die Sonne schien hell und der Echse stand viel Energie zur Verfügung, deshalb kam die mächtige Mundunugu-Kriegerin rasch am Boden des Beckens an. Sie machte sich auf den Weg zu der gewaltigen Hauptpyramide von Otontotomi, die als Tempel und Rathaus diente, und in der der Hohepriester und der Fürst dieser freigelegten Stadt leben und Hof halten würden. Tuolonatl vermutete, dass Scathmizzane die Pyramide zu seinem Palast machen würde.
»Große Cochcal, warte bitte«, rief die Adjutantin hinter Tuolonatl zu ihrer Überraschung. Sie zog an den Zügeln, worauf der Cuetzpali mit einem Zischen reagierte, und drehte sich im Sattel zu der anderen Reiterin um, die auf einen Sandhaufen neben einem fast komplett freigelegten Gebäude deutete.
Tuolonatl verstand nicht so recht, was sie meinte, bis ein gut aussehender junger Mundunugu hinter dem Sandhaufen hervorkam. Tuolonatl erkannte ihn sofort.
Sie wollte nach Ataquixt rufen, nach dem Mann, den sie zu ihrem Hauptkundschafter ernannt hatte, dem Mann, den sie mittlerweile als Freund betrachtete und hoffentlich irgendwann einmal als Liebhaber. Doch bevor sie seinen Namen aussprechen konnte, zog Ataquixt an dem Zügel in seiner Hand und im nächsten Moment trottete ein zweiter guter Freund hinter dem Sandhaufen hervor, vielleicht sogar Tuolonatls bester Freund.
»Pocheoya«, sagte die Frau und kicherte fröhlich beim Anblick des braun-weiß gescheckten Pinto-Pferds mit den blauen Augen. Ein brauner Schild bedeckte seine stolze, muskulöse Brust. Pocheoya war nicht groß, maß nicht einmal fünfzehn Handspannen, aber er war so schnell wie die besten Pferde, die Tonoloya zu bieten hatte. Und dank seines niedrigen Schwerpunkts und seiner Kraft konnte er bei den Fassrennen, wenn Tuolonatl ihn mit geübter Hand anleitete, jedes andere Pferd ausmanövrieren und übertrumpfen.
Im Gegensatz zu allen anderen Pferden, die sie kannte, und vor allem den dummen Cuetzpali-Echsen, kam sich Tuolonatl nie wie Pocheoyas Herrin vor. Wenn sie auf seinem breiten Rücken saß, waren sie nicht Herrin und Tier, sondern ein Team. Es kam ihr so vor, als würden sie dann zu einer Einheit verschmelzen, so gut verstanden sie einander.
»Wie hast du ihn so schnell den Berg herunter und nach Otontotomi gebracht?«, fragte sie Ataquixt, als er mit dem Pferd näherkam. Tuolonatl reichte ihm die Zügel ihres Cuetzpali, während er ihr Pocheoyas gab.
»Ich wusste, dass du ihn an deiner Seite haben willst«, antwortete Ataquixt lächelnd. Es schien ihn glücklich zu machen, dass er Tuolonatl offensichtlich großes Vergnügen bereitet hatte.
»Ataquixt war die ganze Nacht auf den Beinen und hat sich mit Pocheoya am Dorfrand entlanggeschlichen, damit du nichts bemerkst«, erklärte die Adjutantin.
Tuolonatl bedachte ihren Hauptkundschafter mit einem warmherzigen Lächeln, der auf niedliche Weise mit den Schultern zuckte, wie sie fand. Ihr Blick blieb länger als beabsichtigt an Ataquixts schönem Gesicht hängen. Es zog sie in ihren Bann. Die Farbmischung darauf verlieh ihm irgendwie etwas Besonderes, bemerkte sie in Gedanken. Seine Nase war leuchtend rot, wurde am unteren Rand jedoch rosa und endete in einem fast schon gelblichen schmalen Strich, an den auf beiden Seiten blaue Haut grenzte. Sie stellte sich vor, wie er frühmorgens auf der Seite lag und sie anschaute, und sie überlegte, dass dieses Gesicht, egal welche Hälfte, sie an die sanften Farben eines Sonnenaufgangs oder Sonnenuntergangs erinnern würde.
Im Morgenlicht würde sein farbenfrohes Gesicht sicher sanfter wirken und bestimmt sehr schön.
Sie bemerkte noch etwas anderes auf diesem Gesicht, was sie dazu brachte, den jungen Krieger eingehender zu betrachten. Er hatte den Krieg herbeigesehnt, die anderen Kundschafter mit lauten Rufen angefeuert und ihnen Ruhm versprochen, aber Tuolonatl spürte, dass sich in seinem Inneren ein ähnlicher Konflikt abspielte wie bei ihr. Sie zweifelte nicht daran, dass der Marsch gen Osten die Welt verbessern würde, aber auf die Pfützen aus Blut, durch die dieser Marsch führen würde, freute sie sich nicht.
Sie fragte sich, ob die gleichen Bedenken an Ataquixt nagten.
Ataquixt verschränkte die Hände ineinander und half Tuolonatl in Pocheoyas Sattel, dann stieg er auf den Cuetzpali, den sie geritten hatte.
»Nach Canahuac?«
Tuolonatl musterte ihn mit listigen Augen. »Canahuac oder Tepachoni?«, fragte sie. »Tempel oder Regierungssitz?«
»Canahuac«, erwiderte Ataquixt, ohne zu zögern. »Scathmizzane ist dort, in der großen Pyramide. Dies ist sein Ort und er füllt ihn mit seinen Auguren. Die Fürsten sind abgesehen von Einzelaudienzen, die er angeordnet hat, nicht eingeladen worden.«
Tuolonatl sank tiefer in den Sattel und in sich selbst, während sie über die Bedeutung von Ataquixts Aussage nachdachte. Aus Erfahrung wusste sie, dass es zu einem Tauziehen zwischen den Auguren und den weltlicher orientierten Fürsten, die über die großen Städte von Tonoloya herrschten, kommen würde, denn die Ziele der Auguren ließen sich oft nicht mit einer pragmatischen Staatspolitik vereinbaren. Sie hatte bereits vermutet, dass die Auguren bei diesem ewigen Streit die Nase in Zukunft vorn haben würden – schließlich war ihr Gottkönig zu ihnen gekommen –, aber dass es tatsächlich so war, erschütterte sie mehr, als sie erwartet hatte.
»Vielleicht sollten wir zuerst zur Ixnecia reiten«, sagte sie und wandte ihr Pferd gen Osten, zu der gewaltigen Spalte, die in das Gebirge gerissen worden war.
Sie ließ Pocheoya in gemächlichem Tempo über die breite Straße traben, die in diese Richtung führte, und warf immer wieder einen Blick zur Seite, um die Fortschritte zu begutachten, die überall um sie herum bei der Freilegung der Stadt gemacht wurden. Sie war noch weit von der Ixnecia entfernt, als sie einen Lichtblitz hoch oben zu ihrer Rechten bemerkte. Dann einen zweiten, von weiter unten, auf den Blitze von der linken Seite der Spalte antworteten.
Tuolonatl hatte mit diesen kurzen und langen Lichtsignalen, die von Sonnenlicht reflektierenden Spiegeln stammten, nicht gerechnet, deshalb verpasste sie die ersten und konnte den Rest nicht mehr entschlüsseln, nicht einmal zählen, aber es war ihr klar, dass sich dort hinten etwas Wichtiges ereignen musste.
Sie ließ Pocheoya schneller traben, dann galoppieren, sodass die Echsen ihrer Begleiter nur mit Mühe mithalten konnten.
Als sie am Ziel eintrafen, sahen sie, dass sich am rechten Ufer des Bergflusses, der am Südostrand des Beckens entlangführte und durch die Spalte in den gewaltigen neuen See stürzte, zahlreiche Xoconai versammelt hatten. Sie hatten bereits eine Brücke über diesen Fluss gebaut, aber sie war noch nicht verstärkt und außerdem zu schmal für ein Pferd. Tuolonatl stieg ab, winkte Ataquixt heran und bat ihre Adjutantin, sich um die Reittiere zu kümmern.
Die Xoconai, die auf dem großen flachen Felsen am anderen Flussufer standen, ließen sich auf ein Knie sinken, als sie die Frau erkannten, die auf sie zukam.
»Was wissen wir?«, fragte Tuolonatl Zhorivemba,