Hexenzirkel 3: Das Lied des auferstandenen Gottes. R.A. Salvatore

Hexenzirkel 3: Das Lied des auferstandenen Gottes - R.A. Salvatore


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Sie wandte sich ein weiteres Mal dem See zu, so herrisch, dass sie fast schon damit rechnete, gleich mit dem Fuß aufzustampfen.

      »Das ist richtig«, stimmte er zu.

      Aoleyn war froh, dass diese Diskussion vorbei war, aber das war sie nicht, denn nach einer langen Pause fügte Aydrian hinzu: »Mir fällt auf, dass du meine Beobachtung nicht leugnest.«

      Nach einer weiteren Minute des Schweigens, in der sie seine Worte verdaute und sich innerlich eingestand, dass sie der Wahrheit entsprachen, sah sie Aydrian an.

      »Und was soll ich deiner Meinung nach tun, weiser Mann?«, fragte sie und versteckte den ehrlichen Wunsch nach einer Antwort hinter Sarkasmus.

      »Du hast das Richtige getan, für dich selbst und den jungen Mann«, sagte Aydrian. »Intimität ist nichts, was man jemandem schuldet – niemals. Sie muss von beiden aus freiem Willen angeboten werden.«

      Aoleyn musterte ihn eindringlich.

      »Sie ist entweder vorhanden oder nicht, habe ich gehört«, sagte Aydrian.

      »Hast du gehört? Ist sie für diesen Mann namens Aydrian nicht vorhanden?«

      Er lachte leise, was fast schon bemitleidenswert klang. »Die ersten zwanzig Jahre meines Lebens steckte ein Daktylus-Dämon in mir, ein Krebsgeschwür, das in den Leib meiner Mutter gelangte, als sie tapfer gegen einen äußerst verdorbenen Feind kämpfte.«

      »Wie die dämonische Fossa«, sagte Aoleyn leise und musste sofort eine Woge der Angst niederkämpfen – ihre Furcht davor, dass die Magie der Bestie auch in ihr steckte und sie dazu bringen wollte, ganz zum Tier zu werden, so wie die dämonische Fossa. Sie dachte an den buntgesichtigen Feind und ihre instinktive Verwandlung, mit der sie seinem Speer entkommen war. Wie leicht es gewesen wäre, ihm die Kehle herauszureißen … wie warm sich sein Blut angefühlt hätte …

      »Und die letzten zehn Jahre habe ich im Exil bei den Touel’alfar verbracht«, fuhr Aydrian fort. Als er Aoleyns verwirrten Gesichtsausdruck bemerkte, erklärte er: »Den Elfen.« Er hob die Hand bis auf Hüfthöhe. »So groß. Nicht menschlich. Die einzig menschliche Gesellschaft, die ich ein Jahrzehnt lang hatte, abgesehen von der zufälligen Begegnung mit Talmadge und mit euch, war die meiner Mutter.«

      »Dann warst du einsam?«

      »Nein, ganz und gar nicht«, erwiderte er. »Die einzige Person, die ich nicht wirklich kannte, war ich selbst. Wie konnte ich mit jemand anderem intim werden, wenn ich nicht einmal so recht wusste, wer ich war?«

      Aoleyn fühlte sich in diesem Moment, als würde er über sie sprechen, und sie entspannte sich, denn sie erkannte, dass dieser Fremde den Kampf, der in ihrem Inneren tobte, verstand.

      »Ich war mit der Gesellschaft, in der ich mich wiederfand, sehr zufrieden«, erzählte Aydrian. »Mit der der Elfen, der meiner Mutter – man kann sich keine wunderbarere Mutter als Jilseponie vorstellen – und mit der von Bradwarden, dem Zentaur.«

      »Ein Zentaur?«

      »Halb Mensch, halb …«

      »Halb Pferd. Ja, ich kenne sie aus unseren alten Geschichten – Geschichten, mit denen man Kinder erschrecken wollte.«

      »Oh, es gibt sie tatsächlich«, versicherte ihr Aydrian. »Sie sind überlebensgroß und wenn man einen kennenlernt, vor allem Bradwarden, vergisst man ihn garantiert nie wieder.«

      Aoleyn dachte darüber nach. »Ich glaube, ich würde ihn gern kennenlernen.«

      »Vielleicht werde ich ihn dir eines Tages vorstellen«, sagte Aydrian mit einem warmherzigen Lächeln. »Dann wirst du aus gutem Grund wütend auf mich sein.«

      Er konnte nicht ernst bleiben und schon bald lachte Aoleyn mit ihm, denn sie hatte den Witz verstanden.

      »Eines Tages«, sagte sie und Aydrian nickte.

      »Ruh dich aus«, sagte er einen Moment später. »Ich bin hergekommen, um dich abzulösen. Ich werde den See beobachten.«

      Aoleyn nickte. »Kennst du die magischen Lieder?«, fragte sie.

      »Ich weiß, wie man die Edelsteine benutzt, wenn du das meinst.«

      Aoleyn zog einen Kristall aus ihrem Gürtel und hielt ihn hoch. »Ich habe den hier auf dem Berg gefunden«, erklärte sie, als sie ihn vor ihre Augen hob und hindurchspähte, um das Wasser zu betrachten. »Durch sein Lied kann ich die Fische spüren. Wenn ich ihn benutzt hätte, wärst du nicht in der Lage gewesen, mein Gespräch mit Bahdlahn zu belauschen, denn ich hätte dich bemerkt.«

      »Es verrät dir, ob Lebewesen in der Nähe sind?«

      »So ist es. Als wir bei Sonnenuntergang die Kojoten gehört haben, konnte ich sie dank der Magie, die in diesem Kristall steckt, zählen und wusste, dass sie uns nicht gefährlich werden würden. Und hier auf dem See in der dunklen Nacht …« Sie hielt den Kristall hoch und warf einen Blick nach Westen, in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

      »Kannst du damit weit blicken?«, fragte Aydrian und Aoleyn nickte, während sie sich langsam drehte. Zuerst nach rechts, zum Landesinneren, und dann nach links, um vor dem Zubettgehen einen letzten Blick auf den See zu werfen.

      Dann hielt sie abrupt inne, starrte angestrengt auf den See hinaus und sog dann vor Überraschung scharf die Luft ein.

      »Was siehst du?«, fragte Aydrian.

      »Da draußen ist etwas – jemand«, erwiderte Aoleyn. Ihr Blick blieb weiterhin auf den See gerichtet, aber den Kristall reichte sie Aydrian, damit er hindurchsehen konnte, in die Richtung, in die sie mit ausgestrecktem Arm deutete.

      Aydrian nahm den Kristall, aber zu Aoleyns Überraschung hob er ihn nicht vor die Augen. Stattdessen hockte er sich hin, ging dann noch tiefer, bis er schließlich auf dem Boden lag, und schaute dann auf den See hinaus.

      »Was machst du da?«

      »Komm runter«, bat er. »Bring deine Augen so nahe wie möglich an den Boden heran und sieh dann nach oben, so hoch, dass die Schwärze des Gebirges knapp unterhalb deines Blickwinkels ist.«

      Aoleyn tat ihm den Gefallen und starrte konzentriert auf den See hinaus. Sie wollte Aydrian gerade fragen, was das alles sollte, aber dann verschwanden einige Sterne, dann weitere, und als sie der Silhouette, die in der Schwärze entstand, mit dem Blick folgte, erkannte sie, um was es sich dabei handelte.

      »Ein Segel, ein Boot«, keuchte sie und setzte sich auf.

      »Und es kommt rasch näher«, sagte Aydrian.

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      »Eine Salve«, befahl Ataquixt seinen Kriegern leise. »Sie sollen davonlaufen, aber wir werden sie nicht in einen Kampf verwickeln.«

      »Wir können sie besiegen«, widersprach ein älterer Mundunugu.

      »Neue Sklaven für Scathmizzane«, sagte ein anderer.

      Ataquixt beruhigte sie und rief ihnen ins Gedächtnis, dass man Geräusche auf dem offenen Wasser weithin hören konnte. »Eine«, wiederholte er und unterstrich die Anweisung, indem er einen Finger hob. »Sie sollen davonlaufen, damit ich an Land gehen kann.«

      Einige verzogen mürrisch das Gesicht, andere seufzten, aber die meisten bekundeten mit zögerlichem Nicken ihre Zustimmung. Sie waren als Kundschafter hier, nicht als Krieger, das hatte man ihnen vor der Abfahrt erklärt. Und diese Erkundung würde nicht am Ufer des neuen Sees enden. Leise bestückten die zwanzig Krieger ihre Atlatl-Wurfstäbe mit Speeren, während der Steuermann das Boot näher ans Ufer brachte, um beidrehen zu können, damit mehr Speerwerfer nebeneinander Platz hatten.

      Der Wind hatte nicht nachgelassen. Mit geblähten Segeln schoss das Boot dem Ufer entgegen. Der Steuermann rief eine Warnung und änderte mit einem Ruck den Kurs, sodass das Boot sich parallel zum Ufer seinem Ziel näherte.

      Die Xoconai


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