Der kleine Fürst Staffel 13 – Adelsroman. Viola Maybach

Der kleine Fürst Staffel 13 – Adelsroman - Viola Maybach


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Umweg für mich.«

      »Das ist nett von Ihnen, vielen Dank, aber ich möchte nicht gern mit Ihnen gemeinsam am frühen Morgen aus dem Auto steigen und mir dann danach wochenlang dumme Bemerkungen anhören müssen. Tschüss, vergessen Sie nicht, in den nächsten Tagen am Fenster zu stehen!«

      Mit diesen Worten stieg sie aus, warf schwungvoll die Autotür zu und eilte auf das Haus zu. Bevor sie hineinging, drehte sie sich noch einmal um und winkte ihm zu.

      Er setzte seinen Weg langsamer als zuvor fort. Eine Frau wie sie war ihm noch nie begegnet. So jung noch, aber doch schon sehr selbstbewusst und klar in dem, was sie wollte und was nicht. Und einmal, als ihre Blicke sich begegnet waren, hatte er gesehen, dass es auch noch etwas anderes gab als diese heitere Oberfläche, und er ertappte sich dabei, dass er das, was sie in ihrem Inneren verbarg, gern herausgefunden hätte.

      Er sehnte sich nicht nach einer Affäre mit ihr, denn Affären hatte er wahrhaftig genug gehabt in den letzten Jahren. Er sehnte sich danach, sie kennenzulernen – mit allem, was sie ausmachte.

      *

      »Schlaft schön«, sagte Maren Flemming und beugte sich über ihre beiden Kinder, um sie zu küssen. Paul war jetzt sieben, seine Schwester Lili gerade vier geworden.

      »Noch eine Geschichte«, bat Lili.

      »Ich habe euch doch schon zwei vorgelesen, Lili, und es ist schon ziemlich spät. Schlaft jetzt, ich lasse die Schäfchenlampe noch an.«

      Lili hörte auf zu betteln, Paul hatte sich sowieso schon klein zusammengerollt und die Augen geschlossen. Sie machte sich Sorgen um ihn. Er nahm den Tod seines Vaters viel schwerer als Lili, die bereits anfing, ihn zu vergessen. Ihren dritten Geburtstag hatten sie noch zu viert feiern können, kurz danach war Oliver verunglückt.

      Leise verließ sie das Zimmer und ging zurück in die Küche, um aufzuräumen. Aber dann setzte sie sich doch an den Tisch und stützte den Kopf in die Hände. Wieder einmal kamen ihr die Tränen, sie waren ihre ständigen Begleiter geworden in den zurückliegenden Monaten. Ihr ging es wie Paul: Sie konnte Olivers Tod einfach nicht verwinden. Mit gerade einmal Mitte Dreißig hatte er bei diesem entsetzlichen Unfall ums Leben kommen müssen! Bis dahin waren sie eine glückliche Familie gewesen, Sorgen hatten sie nicht gekannt, große jedenfalls nicht.

      Wie dramatisch hatten sie es damals gefunden, dass Paul sich zu Beginn in der Schule nicht hatte eingewöhnen wollen, und wie lächerlich erschien ihr das heute. Hatten sie wirklich keine größeren Sorgen gehabt?

      Sie trocknete sich gerade die Augen, als sie leise Schritte hörte. Erschrocken sah sie, dass Paul wohl schon eine Weile an der Tür gestanden hatte. Jetzt kam er auf sie zu und kletterte auf ihren Schoß, wo er sich wieder zusammenrollte, wie eben im Bett. Sie hielt ihn ganz fest, wiegte ihn hin und her und summte dazu, wie sie es gemacht hatte, als er noch ganz klein gewesen war. Auch Oliver hatte ihm oft etwas vorgesummt, wenn er rechtzeitig zu Hause gewesen war, um seinen Sohn ins Bett zu bringen. Als Lili auf die Welt gekommen war, waren solche Abende schon eine große Seltenheit gewesen. So viele Einsätze, auch abends …

      »Glaubst du, Papa kann uns sehen?«, fragte Paul mit leiser, kläglicher Stimme. Sein Gesicht war nass von Tränen. Es war nicht das erste Mal, dass er diese Frage stellte.

      Und es war nicht das erste Mal, dass Maren antwortete: »Ja, das glaube ich. Er wacht über uns, Paul. Er passt auf, dass es uns auch weiterhin gut geht, und er ist froh, dass wir so viel an ihn denken.«

      »Lili denkt nicht mehr so viel an ihn, Mama. Sie vergisst ihn, und vielleicht vergesse ich ihn auch.«

      »Lili war drei, als Papa verunglückt ist. Du warst schon sechs, du hast viel mehr Erinnerungen an ihn als sie, Paul. Es kann gut sein, dass sie sich später nicht mehr an ihn als Person erinnert, aber eins wird sie ihr Leben lang begleiten: das Gefühl, dass er sie geliebt hat, dass sie ein Wunschkind war. Und so war es bei dir auch. Ich glaube nicht, dass du ihn vergisst.«

      »Aber manchmal versuche ich, mir sein Gesicht vorzustellen, und dann fällt es mir nicht ein«, sagte Paul. »Und seine Stimme … Manchmal kann ich sie nicht mehr hören.«

      Maren zog ihn noch fester an sich. »Er war so stolz auf dich, Paul. Er hat immer gesagt, wie ähnlich du ihm bist und wie sehr ihn das freut. Ihr habt viel zusammen unternommen, und das wird dir bleiben, für immer, auch wenn die Erinnerung schwächer wird. Aber wir können sie auffrischen, indem wir uns Fotos und Filme ansehen. Er hat doch so viel gefilmt in unserem letzten Urlaub an der See, weißt du noch? Und auf den Filmen ist auch seine Stimme zu hören.«

      Der Junge nickte. »Aber wir haben die Filme bis jetzt noch nicht angesehen«, sagte er zaghaft.

      »Ich weiß«, flüsterte sie. »Ich hatte Angst davor. Angst, dass mir das Herz bricht, wenn ich ihn noch einmal sehe, wie er lachend und lebendig durch den Sand ins Wasser läuft. Aber irgendwann werden wir die Filme ansehen, gemeinsam, das verspreche ich dir.«

      Er nickte nur, und sie merkte daran, dass sein Körper schwerer und weicher wurde, dass er dabei war, wieder einzuschlafen. »Komm, ich bringe dich zurück ins Bett«, sagte sie. »Tragen kann ich dich nicht mehr, du bist zu schwer geworden.«

      Widerstandslos ließ er sich ins Kinderzimmer zurückbringen, wo sie ihn liebevoll zudeckte. Lili schlief fest, sie bewegte sich im Schlaf.

      Maren ließ die Schäfchenlampe brennen. Manchmal hatte eins der Kinder Albträume und wachte weinend auf. Dann war es besser, wenn es nicht stockdunkel war, sondern die Lampe nicht nur Licht, sondern auch Trost spendete, bis die Mama kam und das Kind wieder in den Schlaf wiegte.

      Eine halbe Stunde später kam Marens Schwägerin Corinna. »Alles in Ordnung?«, fragte sie. »Du hast geweint, Maren.«

      »Ja, ich habe geweint, zusammen mit Paul. Ich dachte, die Trauer würde irgendwann schwächer, aber irgendwie scheint das nicht zu stimmen. Manchmal denke ich sogar, es wird mit jedem Tag schlimmer, mit jedem Tag, der einem klarmacht, dass das jetzt für immer so bleiben wird, dass es kein Zurückdrehen der Zeit gibt. Oliver ist tot, er kommt nie wieder.«

      Erschrocken sah sie, dass nun auch Corinnas Augen nass wurden. Corinna war erst Anfang Zwanzig, sie hatte ihren großen Bruder, der zwölf Jahre älter als sie gewesen war, durch dieses Unglück verloren. Die Geschwister waren von dem Tag an, als Corinna auf die Welt gekommen war, ein Herz und eine Seele gewesen und hatten einander vieles gelehrt: Corinna war durch die Nähe zu ihrem Bruder Gleichaltrigen immer weit voraus gewesen, weil sie ein Vorbild gehabt hatte, dem sie nacheifern konnte, und Oliver hatte von ihr gelernt, Rücksicht auf Schwächere, Kleinere zu nehmen, die sich selbst noch nicht wehren konnten.

      Und jetzt war ausgerechnet Olivers kleine Schwester ihre stärkste Stütze geworden! Sie hatte das vorher nie für möglich gehalten, doch genauso war es. »Entschuldige, Corinna, ich war gedankenlos«, flüsterte Maren. »Du trauerst nicht weniger als ich, und deshalb weißt du natürlich, dass es Tage gibt, an denen es besonders schlimm ist. Heute war so ein Tag.«

      Sie umarmten einander, dann half Corinna ihrer Schwägerin beim Aufräumen der Küche. Als sie sich verabschiedete, fühlte Maren sich besser. Aber kaum war sie wieder allein, als Angst und Verzweiflung zurückkehrten.

      Noch lange saß sie am Küchentisch, mit dem Kopf auf beiden Armen, und weinte. Oliver war noch kein Jahr tot – ihr ganzes weiteres Leben würde sie ohne ihn verbringen müssen. Wie sollte sie das nur aushalten?

      *

      Baron Friedrich von Kant unterschrieb gerade einen Scheck, als seine Frau das Büro betrat. Sie kam näher, beugte sich zu ihm hinunter, um ihm einen Kuss zu geben und las dabei den Namen, der auf dem Scheck stand.

      »Ich würde den Scheck dieses Mal gern persönlich überbringen«, sagte sie.

      Ihr Mann sah sie überrascht an. »Warum?«

      »Es ist mir ein Bedürfnis, Fritz. Ich möchte wissen, wie sie leben, wie sie zurechtkommen, ob es noch etwas gibt, das wir für sie tun können. Bisher haben wir ja ihren Wunsch nach strikter Zurückgezogenheit respektiert, aber jetzt denke ich, wäre ein persönlicher Besuch angemessen.«


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