Felix Neureuther. Stefan Illek

Felix Neureuther - Stefan Illek


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Natürlich gab es für viele Familien auch sehr belastende Umstände, aber in schicksalhaften Zeiten muss jeder zurückstecken. Ein „Mehr“ an Zeit mit den Kindern kann aber nicht zum Super-GAU mutieren. In welcher Gesellschaft leben wir denn, bitte? Das Ganze entwickelt sich in eine Richtung, die ich nur sehr, sehr schwer verstehen kann. Horx sagt zu diesem Thema: „Die Individualisierung der Eltern ist einfach zu weit gegangen. Die Eltern ranken ihre eigenen Bedürfnisse so hoch wie jene der Kinder. Wir sprechen dabei von einer Überindividualisierung. Man will Kinder, aber keine Kompromisse eingehen. Das ist ein unvermeidbarer Widerspruch. Das individuelle Wohl wird über das Gemeinwohl gestellt. Und das führt zu krassen Verhaltensformen in Sachen Egoismus und Eigensinn.“ Kräftig befeuert wird diese Überindividualisierung von den zahllosen Social-Media-Inszenierungen. „Ich würde zum Beispiel Instagram deshalb in dieser Hinsicht als ein Negativmedium bezeichnen“, meint Horx. Auch die Politik gibt da ebenfalls kein gutes Beispiel ab, jeder macht nur sein Ding, die Länder und Nationen denken ja auch nur an ihre Interessen und sehen nicht das große Ganze.

      Das nächste Problem, das der Breitensport hat, ist die finanzielle Entlohnung, denn sie ist im Vergleich zu vielen Bereichen des Spitzensports geradezu lächerlich und verschwindend klein. Horx: „Die Entlohnungsstruktur ist nicht gegeben. Wenn dir etwas an der Gesellschaft liegt, dann wählst du das Engagement im Breitensport. Wenn es dir ums Geld geht, dann den Spitzensport. Dadurch gehen leider sehr viele mögliche Synergien verloren.“ Das aber heißt, dass sich die Entlohnung fürs Engagement im Breitensport verbessern muss. Mittlerweile ist es so weit gekommen, dass die Eltern den Breitensport auf ihren ohnehin schon gestressten Schultern zu tragen haben. Das ist eine Tragödie, ein Vollversagen der Politik, die keinerlei Unterstützung liefert!

      Die Gagen im Spitzensport aber müssen dieses teilweise pervers hohe Level verlassen. Die Leute können mit dieser absolut disproportionalen Entlohnung nichts anfangen und spüren die Abgehobenheit der Sportelite. Nicht von ungefähr antwortete während Corona eine italienische Krankenschwester auf eine Frage eines Reporters: „Ich bekomme 1.500 Euro pro Monat. Cristiano Ronaldo bekommt jeden Monat mehrere Millionen. Fragt doch Cristiano nach einer Lösung für all unsere Probleme!“

      Ein nahes Ende der Millionen-Gagen vor allem im Fußball-Bereich sieht Horx aber nicht: „Da wurde über viele Jahre ein Monster geschaffen. Aussteigen und etwas ändern könnte man nur von innen, könnten also nur die Spieler selbst.“ An der Spitze dieser absoluten (finanziellen) Fehlentwicklung steht aber leider die olympische Bewegung. Und da blutet mein Herz bekanntlich ganz besonders stark. „Olympia war einmal eine kulturelle Universalerfahrung“, sagt Tristan Horx. „Mitmachen ist alles, das war das Credo. Das fühlt sich mittlerweile nicht mehr so an!“ Dass da einiges schiefgelaufen ist, zeigt sich daran, dass selbst traditionelle Wintersportländer wie Österreich und Deutschland ihre Bevölkerung nicht mehr überzeugen können, Olympia im eigenen Land haben zu wollen. „Die Finanz- und Korruptionsskandale haben in der breiten Gesellschaft zu einem massiven Vertrauensverlust in den Spitzensport geführt. Dazu kommen die zahllosen Dopingskandale. Der gesellschaftliche Deal ist gewissermaßen flöten gegangen.“ Das müsste eigentlich auch für den Fußball gelten angesichts einer WM-Vergabe nach Katar und vieler, vieler weiterer Korruptionsskandale auf höchster Ebene im Weltverband FIFA und im Europaverband UEFA. Allerdings genießt der Fußball auch hier eine absolute Sonderstellung. Horx sagt über dieses Phänomen: „FIFA und UEFA können noch so ein schrottiges Bild abgeben, Fußball-WM und Fußball-EM, das bekommst du nicht kaputt. Das ist noch immer eine sehr positive globale Form von Brot und Spielen. Da gibt es wahnsinnig tolle, weltzusammenführende Effekte. Und gerade in diesen Wochen und Monaten von Fußball-Großereignissen zeigt sich, dass der Sport und das Essen die zwei universellsten Erfahrungen sind, über die sich Menschen in aller Welt austauschen können.“

      Umso trauriger ist es, wie es so weit kommen konnte, wie dermaßen viel kaputtgemacht werden konnte. Und es bleibt die Grundfrage: Wie kriegt man das hin, dass die Menschen wieder Vertrauen in sportliche Großereignisse, in die großen Sportverbände bekommen? Wie schafft man es, dass man wieder zurück zu den Wurzeln des Sports kommt, wieder die Herzen der Menschen erreicht?

      Ansetzen muss man ganz klar mit einer Revolution des Bildungsbereichs. Genau dafür kämpfe ich ja auch mit meiner Felix-Neureuther-Stiftung, denn sie soll den Kids Freude an der Bewegung vermitteln. Allerdings läuft man da größtenteils gegen Betonmauern. Allein bis zum Frühjahr 2020 bin ich fünfmal topmotiviert ins Kultusministerium spaziert und hab dort versucht zu erklären, wie wichtig Bewegung für unsere Kinder ist. Und fünfmal bin ich rausgekommen und hab mich gefühlt wie ein kleiner, gebeutelter Bub. Weil ich das Gefühl hatte, dass sich einfach nichts bewegt. Deshalb schnappte ich für einen Termin beim Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder meinen Freund Uli Hoeneß an der Hand und sagte: „Uli, bitte komm mit.“ Immerhin dürfte da jetzt etwas anrollen. Die tägliche Sportstunde in unser System zu implizieren, scheint jedoch weiter ein Ding der Unmöglichkeit. Aber zumindest gibt es jetzt den Plan, dass sich die Kinder von den 50 Minuten einer Schulstunde immerhin fünf Minuten bewegen „müssen“, also eigentlich dürfen! Es kann doch nicht der Sinn der Sache sein, dass die Kinder still dasitzen und ruhig halten müssen, ihnen der Stoff reingeprügelt wird und es keine Chance auf Bewegung gibt!? Tristan Horx meint zu diesen Zuständen: „Das ist eine Diskussion, die ich noch nie verstanden habe. Es ist doch klar erwiesen, dass die Kinder durch Bewegung in jeder Hinsicht leistungsfähiger werden. Nur leider wirkt hier die Kraft der Fakten anscheinend nicht. Da ist eine politische Blockade drinnen. Es liegt an diesem zähen Schulsystem, in dem wir Kinder weiterhin für einen Arbeitsmarkt ausbilden, den es seit 40 Jahren in dieser Art nicht mehr gibt. Abgesehen davon funktioniert die Talentförderung in den öffentlichen Schulen gar nicht.“

      Bei all den negativen Folgen von Corona stellt sich in sämtlichen Bereichen des Lebens auch die Frage: Ist Corona nicht auch eine große Chance? – Wobei Corona noch eine Sache sehr, sehr deutlich gezeigt hat: Mit welchem Risiko wurde da seit vielen Jahren gewirtschaftet, wenn manche Unternehmen nicht einmal einen zweimonatigen Lockdown verkraften!? Also, ich persönlich könnte ja überhaupt nicht gut schlafen, wenn ich wirtschaftlich so am Limit kalkulieren würde. Horx: „Genau deshalb fordere ich neben Sportbildung auch Zukunftsbildung als verpflichtendes Schulfach! Wie kann es sein, dass manch 80-jährige Unternehmen nicht einmal ein paar Wochen Lockdown überleben? Dabei ist der Mensch eigentlich so, dass er Krisen mag. Mehr Krisenliebe würde uns guttun. Menschen entwickeln sich durch Krisen weiter. Nehmen wir den Teamsport als Beispiel. Da gibt es zehn Rückschläge und am Ende erreichst du dann dein Ziel. Die Menschheit ist durch Krisen immer gewachsen. Es war letztlich die Pest, die das Mittelalter beendete und die Renaissance einläutete. Hier wird jetzt ebenfalls etwas mobilisiert werden, da bin ich mir sicher!“

      Horx sieht also die Chance Corona ebenfalls ganz deutlich. Und er setzt auch viel, viel Hoffnung in die neue Generation, die er sehr treffend als Generation C, also als Generation Corona bezeichnet. „Die Krise hat die kollektive Entschleunigung beschleunigt. Davor hatte es schon Tendenzen in diese Richtung gegeben. Aber davor hatte man auch das Gefühl, wenn man entschleunigt, wenn man einmal den Pause-Knopf drückt, dann überholen einen die Leute links und rechts wie wild. Der Rest zieht an einem vorbei, im Arbeitsmarkt, in der Bildung, im Sport. Diesmal war’s eine kollektive, gemeinsame Erfahrung, man war kein Außenseiter, wenn man eine Pause machte. Wenn du zu Hause festsitzt, dann ist das Spazierengehen oder Joggen plötzlich der Höhepunkt des Tages. Es war eine Rückbesinnung auf die Urwerte, eine Kurskorrektur. Corona hat nichts neu erfunden, aber das Augenmerk auf Schwächen des Systems gerichtet. Wirtschaftlich gibt es bereits Tendenzen, zum alten Spiel zurückzukehren. Spannend ist für mich zum Beispiel die Frage, ob die Kultur der Mega-Kreuzfahrten wieder aufersteht. Gibt es weiterhin genügend Idioten, die so etwas machen? Aber ich denke, dass wir auf einem guten Moment sitzen, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Die Leute verstehen, dass man nicht wieder zurück in die Steinzeit gehen sollte, dass Qualität statt Quantität zählt.“

      Ich denke auch, dass da draußen so viele coole, junge Menschen herumlaufen. Die trauen sich was, wie zum Beispiel die Bewegung „Fridays For Future“ zeigt. Aber ganz provokant gefragt: Wird es eine Generation, die sich von irgendwelchen selbsternannten Influencern sagen lässt, was richtig und wichtig ist, schaffen, die richtigen Lehren


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