Küsse lügen nicht. Kay Rivers

Küsse lügen nicht - Kay Rivers


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      Kay Rivers

      KÜSSE LÜGEN NICHT

      Fortsetzung des Romans

      »Küsse unter Palmen«

      © 2021

       édition el!es

      www.elles.de [email protected]

      Alle Rechte vorbehalten.

      ISBN 978-3-95609-329-6

      Coverfotos:

       RAUL RODRIGUEZ/iStock.com

      Gerasimov174/iStock.com

      1

      »Hey Dale, kommst du auch mal wieder nach Hause?« Der Tankwart grinste von einem Ohr zum anderen.

      »Ja.« Dale schob ihm ihre Kreditkarte hin. Das Platin glänzte in der Sonne.

      »Deine Mutter war gestern hier, hatte Probleme mit ihrem Wagen. Na ja, Frauen und Technik. – Sorry.« Er räusperte sich. »War nicht so gemeint.«

      »Schon gut.« Dale ärgerte sich, dass sie nicht bei der letzten Gelegenheit auf der Strecke getankt hatte, dann hätte sie dieses Gespräch mit dem Tankwart der kleinen Stadt in Texas, in der sie aufgewachsen war, vermeiden können.

      »Na, bist du mittlerweile General?« Er grinste weiter.

      »Ich bin nicht mehr –« Dale brach ab und räusperte sich. »Nein«, sagte sie. »Immer noch Colonel.«

      »Auf Heimaturlaub«, ergänzte er ganz selbstverständlich.

      Mehr konnte er auch nicht wissen, denn Dale war viele Jahre nicht mehr zu Hause gewesen. Niemand wusste, was sie jetzt tat. Das letzte Mal, als sie hiergewesen war, war sie mit – sie schluckte und versuchte, es zu verstecken – Kat hiergewesen, beide in Uniform, der Stolz der Stadt. Man hatte sogar eine Parade für sie veranstaltet.

      Der Stolz der Stadt, nicht aber der Stolz von Dales Mutter. Sie hatte Dale nie vergeben, dass sie zur Armee gegangen war, sie schämte sich regelrecht dafür, obwohl sie das selbstverständlich niemals öffentlich zugegeben hätte und bei der Parade natürlich auch nicht gezeigt hatte. Da hatte sie so gelächelt, dass man es für Stolz hätte halten können. Nach außen hin war sie immer bemüht, den Schein zu wahren. Den schönen Schein einer heilen Familie, die sie spätestens seit dem Tod von Dales Vater nicht mehr waren.

      »Schön. Wir müssen unsere Jungs und Mädels an der Front ja auch fit halten«, unterbrach Tom, der diese Tankstelle schon länger führte, als Dale denken konnte, ihre Gedanken, während er mit der Kreditkarte an der Kasse hantierte. Er drehte sich zu einem Abzeichen an der Wand um, das Auskunft darüber gab, dass er Mitglied der Nationalgarde war. »Wir von der Nationalgarde machen das auch.« Patriotisch legte er eine Hand auf sein Herz. »Damit wir euch im Notfall unterstützen können.«

      »Ihr seid wichtig. An der Heimatfront«, sagte Dale. Sie deutete ein Lächeln an. »Das wissen wir.«

      Tom gab ihr die Kreditkarte zurück. »Dann auf ins Gefecht, Colonel.« Er legte zackig die Hand an die Stirn, während er versuchte, seine recht beleibte Gestalt zu einer Art militärischer Haltung zu straffen.

      Dale grüßte nur mit einer leichten Handbewegung zurück. Sie wollte einen allzu militärischen Eindruck vermeiden. »Wir sehen uns sicher noch, Tom«, nickte sie ihm verabschiedend zu.

      »Bleibst du diesmal länger?« Toms graue Augenbrauen hoben sich fragend.

      Dale zögerte. »Weiß noch nicht«, sagte sie dann. »Hängt davon ab.« Bevor er fragen konnte, wovon, stieg sie in ihren Wagen und fuhr los.

      Wieder zu Hause, dachte sie, als sie die altbekannten Straßen entlangglitt, in denen sich so wenig verändert hatte. Sollte das nicht eigentlich ein schönes Gefühl sein?

      Das war es allerdings nicht. Anstatt sich wohl und zuhause zu fühlen, fühlte sie sich fremd und äußerst unbehaglich. Sie hatte nicht vorgehabt, noch einmal herzukommen, auch wenn sie sich hin und wieder deswegen Vorwürfe gemacht hatte. Aber jeder Versuch, ihre Mutter oder ihre Schwester telefonisch zu kontaktieren, um eventuell den Pfad für einen weiteren Besuch zu ebnen, hatte sie davon überzeugt, dass es die richtige Entscheidung gewesen war. Dass es besser war, wegzubleiben.

      Kat hatte sie das letzte Mal, als sie nach Presidio County gekommen war, regelrecht dazu überreden müssen. Thanksgiving sollte man bei seiner Familie verbringen, hatte Kat gemeint, und Weihnachten noch mehr. Denn sie hatte keine Familie. Sie war ein Waisenkind gewesen, das sich Thanksgiving oder Weihnachten im Kreise einer liebenden – oder überhaupt irgendeiner – Familie immer als besonders schön ausgemalt hatte. Anders als im Waisenhaus.

      Wie Kelly, dachte Dale. Kelly ist auch ein Waisenkind. Sie seufzte. Waisenkinder können sich einfach nicht vorstellen, wie belastend eine Familie sein kann. Sie sehen nur das Gute daran.

      Romantisch. Sentimental. So waren die Vorstellungen von Familie oft. Insbesondere wenn man keine hatte. Wenn man so etwas nur aus kitschigen Fernsehserien kannte. In denen Vater und Mutter die Kinder unterstützten und Geschwister bis auf kleine, harmlose Neckereien nett waren. So war die Realität aber leider nicht. Jedenfalls nicht immer. Auf der Richards Ranch herrschten andere Zustände.

      Das hieß: jetzt. Nicht solange ihr Vater noch gelebt hatte. Er war ein ausgleichender Charakter gewesen, ein Fels in der Brandung. Und für Dale der Einzige, der sie verstand. Er hatte immer dafür gesorgt, dass Gerechtigkeit herrschte. Dass jeder das bekam, was ihm zustand. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Er konnte Streitigkeiten mit einem einzigen Blick beenden. Jeder in der Familie respektierte ihn. Und jeder im County. Man hatte gar keine andere Wahl. Er hatte einfach so eine Ausstrahlung. Er musste noch nicht einmal die Stimme heben.

      Der Tod ihres Vaters hatte Dale tief getroffen. Und das, obwohl sie damals fast nur von Tod umgeben gewesen war. Im Krieg. Sie kämpfte im Staub und Sand des Iraks, während ihr Vater im Staub und Sand von Texas begraben wurde. Sie hatte nicht einmal zu seinem Begräbnis kommen können. Es gab keinen Urlaub während der Offensive.

      Später dann hatte sie an seinem Grab gestanden. Aber sie hatte sich nicht richtig von ihm verabschieden können. Sie hatte gedacht, sie würde ihn wiedersehen, wenn sie zurückkam. Er war viel zu früh gestorben.

      Die breite Straße – in Texas waren alle Straßen breit, selbst in kleinen Städtchen wie diesem hier, es gab ja so viel Platz –, die einen glauben lassen konnte, sie würde zu etwas Bedeutendem führen, trennte sich von der Stadt und verband sich mit der Prärie, der sandigen Savanne, die die Straße, die sie nur wie ein graues Band durchzog, nun einschloss und die es so schwer machte, hier irgendetwas wachsen zu lassen. Oftmals gab es noch nicht einmal genug Wasser, um die Menschen zu versorgen, geschweige denn die Tiere.

      Die Richards Ranch war in dieser Hinsicht privilegiert, denn ein kleiner Fluss führte hindurch. Zwar nur für ein paar Meilen, aber wenn das Jahr nicht extrem trocken war, war immer Wasser da. In extrem trockenen Jahren versiegte das kleine Flüsschen jedoch schon, bevor es die Richards Ranch erreichte, und das waren die harten Jahre gewesen.

      Die harten Jahre, bevor sie Öl gefunden hatten. Danach hatten die Bohrtürme das Bild der Richards Ranch bestimmt. Bis es sich dann nicht mehr lohnte, das Öl zu fördern, weil die Ölscheichs den Preis für ein Barrel so tief gedrückt hatten, dass kleinere Ölförderer nicht mehr mithalten konnten. Zwar waren viele der Ölvorkommen noch lange nicht ausgeschöpft gewesen, aber es war nicht mehr so leicht, an das Öl heranzukommen, weil es zwischen verschiedenen Gesteinsschichten eingeschlossen war. Es dort herauszuholen war zu aufwändig und damit zu teuer.

      So hatten die Bohrtürme ihre Arbeit eingestellt. Bis vor kurzem, als eine Methode entdeckt worden war, die Vorkommen, die man vorher kaum bis gar nicht erschließen konnte, auch noch auszubeuten. Nun arbeiteten wieder viele Menschen auf der Ranch, und Dale hatte an den Einkünften, die auf ihr Konto flossen, gemerkt, dass sie wohl bis an ihr Lebensende nicht mehr würde arbeiten müssen.

      Das war jedoch auch vorher schon so gewesen. Sie arbeitete nicht, weil sie musste, sie arbeitete, weil sie es so wollte. Weil ihr ihr Leben sonst sinnlos


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