Küsse lügen nicht. Kay Rivers
einen Schreibtischjob hatte sie nie haben wollen.
Sie lachte selbstironisch in sich hinein. Und jetzt hatte sie doch einen. Schon seit Jahren. Ja, es gab auch das Training, aber das war der kleinste Teil. Und dass sie selbst einmal einen Einbrecher verfolgen musste, wobei sie ihre körperlichen Fähigkeiten ausschöpfen konnte, das war seit dem Diebstahl, bei dem sie hätte ausgebootet werden sollen, auch nicht mehr vorgekommen.
Will ich das wirklich? dachte sie, während sie ihre Blicke rechts und links an der Straße entlang in die karge, raue Landschaft gleiten ließ. Es hat sich doch offensichtlich nichts geändert. Wäre Kat damals nicht gewesen, wäre ich noch nicht einmal damals gekommen.
Kat. Ja, Kat war der Grund gewesen damals. Und heute war es Kelly. Kat und Kelly. Sie ließen es einfach nicht zu, dass man sich seinen Gefühlen verschließen konnte. Sie holten alles herauf, selbst aus den tiefsten Tiefen – und wenn Dale sich noch so sehr dagegen wehrte – wie die Ölbohrer das Öl. Nach Kats Tod hatte sie das nie mehr zulassen wollen, hatte sich von allem ferngehalten, was sie hätte dazu bringen können.
Aber dann war Kelly gekommen. Kelly mit ihrer Art, die so sanft und nichts fordernd war und die Dale so sehr bezaubert hatte.
Ein Wort wie bezaubert hätte Dale normalerweise nie in den Mund genommen, aber auf Kelly traf die Beschreibung zu. Sie war bezaubernd.
Und das musste sie auch sein, wenn das, womit Dale sich jetzt herumschlagen musste, weshalb sie nach Hause gekommen war, das Ergebnis war.
Denn nur eine Zauberin konnte das zustandebringen.
2
Die Palmen wiegten sich leicht im Wind, als Kelly vor die Haustür trat. Sie lächelte, hob ihr Gesicht an und ließ die weiche, warme Luft darüberstreichen. Die Karibik der USA. Sie konnte immer noch kaum glauben, dass sie hier gelandet war. Und was alles seither geschehen war.
Dale . . . Kellys Lächeln vertiefte sich. Eine Frau wie Dale zu treffen, damit hatte sie wirklich nicht gerechnet. Sie hatte sich nicht vorstellen können, dass es so eine Frau überhaupt gab. Und dass sie sich für sie, Kelly, interessieren könnte.
Die dramatischen Ereignisse, die sie dann endgültig zusammengeschweißt hatten, daran wollte sie manchmal gar nicht denken. Wenn sie jemanden gehabt hätte, eine beste Freundin, eine Mutter oder Schwester, der sie das hätte erzählen können, hätte sie noch nicht einmal gewusst, ob sie das überhaupt erzählen sollte. Ob ihr das jemand glauben würde.
»Vorsicht!« Eine schrille Stimme warnte sie, aber fast zu spät, denn schon schoss etwas an ihr vorbei, und ein heftiger Luftzug warf sie beinah um.
Im nächsten Moment sprang etwas an ihr hoch und drückte ihr einen feuchten Kuss auf die Nase und halb auf den Mund.
»Iiih Rex!« Die Szene mit dem vorbeirasenden Skater hatte sie so ähnlich schon einmal erlebt, aber da war dieser Hund noch viel kleiner gewesen und sie hatte ihn unter ihrem Auto hervorholen müssen.
Mittlerweile stand Rex jedoch wieder mit allen vier Pfoten auf der Erde, lächelte sie mit seiner weit heraushängenden Zunge glücklich an und drehte den Kopf zu seinem offiziellen Herrchen, das nun mit dem Skateboard unter dem Arm zu Kelly zurückstapfte.
»Irgendwann schaffe ich diese Bremsung«, schimpfte Badger unzufrieden. »Das gibt’s doch gar nicht!«
Kelly lachte. »Du solltest dir vielleicht ein Beispiel an Rex nehmen. Er kann das schon ganz gut.«
»Hat ja auch vier Füße, nicht nur zwei. Und keine Räder drunter«, beklagte sich Badger, aber dabei steckte er Rex schon wieder ein Leckerchen zu und sah wie meistens sehr stolz aus.
»Was tust du überhaupt hier?«, fragte Kelly streng, weil das der einzige Tonfall war, der für Badger angemessen erschien. »Bist du nicht im Dienst?«
Ein breites Strahlen überzog Badgers Gesicht. »Rex wird jetzt zum Schutzhund ausgebildet. Wir sind auf dem Weg zum Training.«
»Schutzhund?« Das war Kelly völlig neu.
»Na ja, er ist ein Schäferhund.« Wieder klang Badgers Stimme sehr stolz. »Die haben einen natürlichen Schutztrieb.«
»Das weiß ich«, sagte Kelly. »Ich habe ja auch keine Zweifel an Rex.« Sie ließ ihre Blicke über Badgers ziemlich verlotterte Gestalt schweifen.
»Och Mensch . . .« Wie so oft schmollte Badger wie ein kleines Kind. »Du kannst einem aber auch jeden Spaß verderben.«
»Weiß Dale davon?«, fragte Kelly misstrauisch.
»Sie ist nicht da.« Badger wandte sich ab, sodass Kelly nicht mehr in sein Gesicht sehen konnte.
Kelly seufzte. »Sie weiß es also nicht. Und wahrscheinlich hast du auch niemand um Erlaubnis gefragt, noch nicht mal deinen direkten Chef.«
»Dieser Kurs wird jetzt angeboten. Wir müssen heute da hin!«, verteidigte Badger sich. »Der nächste fängt erst wieder in zwei Monaten an. Dann ist Rex vielleicht zu alt, und sie nehmen ihn nicht mehr.«
Immer noch war es Kelly so gut wie unmöglich, Badger etwas abzuschlagen. Ganz zu schweigen von Rex. Deshalb schüttelte sie nur tadelnd den Kopf. »Dale hat dir diese Chance gegeben im Sicherheitsdienst bei Matrix International. Und du bist selbst doch noch in der Ausbildung. Du hast kaum damit angefangen.«
»Ich weiß ja.« Schuldbewusst scharrte Badger mit den Füßen. »Aber Rex . . . Für Rex ist das wichtig.«
»Und für dich ist regelmäßige Arbeit nicht wichtig, das ist mir schon klar«, seufzte Kelly. Sie hob mahnend einen Finger. »Aber du wolltest doch das Futter für Rex verdienen.«
»Aber . . . Aber . . .«, stammelte Badger herum, weil er keine richtige Antwort wusste, beziehungsweise weil er wusste, dass die Antwort, die er geben wollte, Kelly nicht gefallen würde.
»Aber was?« Tief durchatmend ging Kelly zu ihrem Wagen. »Kommt. Steigt ein. Wie ich dich so kenne, bist du doch sowieso schon wieder zu spät. Selbst für diesen Kurs, der für Rex angeblich so wichtig ist.«
»Nicht angeblich«, schmollte Badger, während Rex, nachdem Kelly die Tür geöffnet hatte, schon auf die Rückbank sprang. Als wäre er selbst ein Hund, setzte Badger sich daneben. »Es ist wichtig für ihn. Das kann dir jeder sagen. Schäferhunde brauchen eine Aufgabe. Sonst suchen sie sich eine. Und das kann furchtbar schiefgehen. Obwohl Rex natürlich nie jemanden beißen würde. Nicht wahr, Rexi?« Er küsste den Hund mitten auf die Schnauze.
»Woher hast du das denn?« Kelly lachte und stieg vorn ein. »Bisher hatte ich das Gefühl, du weißt gar nichts über Hunde.«
»Jim hat einen Hund. Einen Dobermann«, sagte Badger. »Und er hat gesagt, Rex braucht eine Ausbildung.«
»Ach so, Jim.« Kelly lächelte. Sie mochte Jim Patterson sehr gern, und sie vertraute seinem Urteil. Möglicherweise hatte er das nur zu Badger gesagt, damit Badger eine Ausbildung in Disziplin und Ordnung bekam, denn bei Rex sah Kelly da weniger Probleme. »Hat er diesen Kurs empfohlen?«
»Ja.« Badger nickte heftig. »Er hat den mit seinem Dobermann auch gemacht. Er sagt, der wäre sehr gut.«
»Dann ist er es bestimmt auch.« Kelly nickte, während sie am Ende der Straße wie üblich nach links auf die Hauptstraße abbog. »Ist das die richtige Richtung?«, fragte sie. »Wo findet der Kurs statt?«
»Du hättest nach rechts abbiegen müssen«, erklärte Badger, während er sich vorbeugte. »Es ist in Hialeah.«
»Hialeah?« Fast hätte Kelly aufgestöhnt, aber sie unterdrückte es. »Na, das ist ja genau meine Richtung«, fügte sie sarkastisch hinzu. »Und das wolltest du mit dem Skateboard schaffen?«
»Damit bin ich unheimlich schnell«, behauptete Badger beleidigt. »Nur mit dem Bremsen habe ich es nicht so.«
»Also gut. Ich habe es versprochen, also halte ich es auch.« Bei der nächsten Gelegenheit wechselte Kelly