Küsse lügen nicht. Kay Rivers

Küsse lügen nicht - Kay Rivers


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ihr erwartet, dass sie auch ihr Geschäftshandy mitnahm, aber pflichtbewusst, wie sie war, hatte sie es natürlich dabei. Sie hatte so lange keinen Urlaub mehr gemacht, dass sie gar nicht auf den Gedanken gekommen wäre, es nicht mitzunehmen, weil es zu ungewohnt war.

      »Ja?« Sie nahm ab, und obwohl sie auf dem Display sah, dass es Kelly war, sprach sie sie nicht mit ihrem Namen an. Aus irgendeinem Grund wollte sie nicht, dass Lainey und ihre Mutter ihn hörten.

      »Wie geht es dir, Liebling?« Kelly hatte sich im Bett angewöhnt, Dale so zu nennen, und als Dale sich nicht dagegen wehrte, hatte sie es auch auf außerhalb des Bettes übertragen. Wahrscheinlich in der Hoffnung, dass Dale den Kosenamen zurückgeben würde. Was sie nie getan hatte.

      Immer wieder hatte sie daraufhin die Enttäuschung in Kellys Augen gesehen, die vorher so gestrahlt hatten. Jetzt konnte sie Kellys Augen natürlich nicht sehen, aber unter den gegebenen Umständen war es noch viel unwahrscheinlicher als sonst, dass sie irgendetwas anderes als »Gut« sagen konnte, was sie auch tat.

      »Ist irgendwas?«, fragte Kelly daraufhin, die die Zurückhaltung in Dales Stimme natürlich bemerkte.

      »Nein«, sagte Dale, wieder genauso kurzangebunden wie zuvor.

      Dass das Kellys Misstrauen nur bestärken konnte, war ihr bewusst, aber selbst ein »Ich kann jetzt nicht. Ich rufe dich später an.« hätte wer weiß was für Reaktionen in den beiden Frauen hervorrufen können, die zwar Dales engste Verwandte, aber wohl auch ihre ärgsten Feindinnen waren. Die auf jedes Anzeichen einer Schwäche lauerten, auf jedes indiskrete Detail, das sie irgendwie hätten ausschlachten können. Und dazu wollte sie ihnen keine Gelegenheit geben.

      Sie hätte den Anruf gar nicht erst annehmen sollen, Kelly tatsächlich später zurückrufen sollen, aber auch das hätte unvorhergesehene Konsequenzen nach sich ziehen können. Und außerdem . . . ja, außerdem hatte Dale sich gefreut, als sie Kellys Namen sah. Ihr Herz hatte höher geschlagen, und ganz automatisch hatte sie den Anruf angenommen, um Kellys Stimme zu hören.

      Die lange Pause, die auf Dales »Nein« folgte, zeigte an, dass Kelly überrascht war, enttäuscht, verletzt vielleicht sogar. Das tat Dale leid, aber sie wusste im Moment nicht, wie sie das ändern konnte.

      Kelly räusperte sich. »Du hast doch was«, sagte sie. »Das höre ich doch.«

      »Ich bin in Presidio«, erwiderte Dale, um so zu tun, als hätte sie jemand angerufen, der sie nicht gut genug kannte, um zu wissen, dass sie nicht in Miami war. »Wir können darüber reden, wenn ich wieder in der Firma bin. Nächste Woche.«

      »Ach? Länger willst du nicht bleiben?«, rief Lainey aus dem Hintergrund.

      Ruckartig legte Dale auf. »Ich weiß nicht, ob du dir das vorstellen kannst«, antwortete sie sarkastisch, »aber ich habe einen Job. Ich arbeite für mein Geld. Und da gibt es nur begrenzt Urlaub.«

      »Selbst schuld, wenn du nie was erzählst.« Lainey schmollte sichtbar und betäubte ihre schlechte Laune mit einem großen Schluck Whiskey. »Nie anrufst. Nie nach Hause kommst. Weißt du, wie das für uns ist? Wenn die Leute fragen: Na, was macht denn deine tolle Schwester?«

      »Oder Wie geht es denn Ihrer älteren Tochter, Mrs. Richards?«, stimmte Janice gleich in das Klagelied mit ein. »Die muss doch längst verheiratet sein. Sind Sie schon Großmutter?« Sie gab ein verächtliches Geräusch von sich. »Und ich kann nichts anderes sagen als: Es geht ihr gut. Nein, Großmutter bin ich noch nicht. Wäre ja auch noch schöner«, hängte sie empört an. »Aber wenigstens das scheinst du mir zu ersparen. Wenn auch sonst nicht viel.«

      »Ich dachte immer, dich zur Großmutter zu machen, das wäre Laineys Aufgabe«, gab Dale nicht ganz unamüsiert zurück. »Deshalb habe ich mich da höflich zurückgehalten.«

      »Pf!«, machte Lainey. »Du und höflich! Du und Zurückhaltung!«

      Dale legte den Kopf schief und sah sie prüfend an. »Was ich allerdings nicht verstehe, ist, warum du dich zurückgehalten hast. Schließlich bist du seit einigen Jahren verheiratet. Und immer noch nichts zu sehen?« Sie musterte Laineys Bauch beziehungsweise das von ihr mit viel Anstrengung flach gehaltene Körperteil, das man normalerweise so nannte.

      Für ein paar Sekunden starrte Lainey sie mit Augen an, die Dale an den Krieg erinnerten, an Blut, Mord und Totschlag. Dann drehte sie sich wütend um, schmetterte ihr Whiskeyglas auf den dicken Teppich und marschierte hocherhobenen Hauptes hinaus.

      »Musste das sein?«, fragte Janice Richards scharf und fixierte Dale so strafend mit ihrem Blick, als ob sie sie gleich in den Boden stampfen wollte. »Du weißt doch, wie empfindlich Lainey bei diesem Thema reagiert.«

      Dale war wirklich überrascht. »Woher soll ich das wissen?«, fragte sie. »Wir haben seit Jahren nicht mehr miteinander gesprochen. Nicht richtig jedenfalls. Höchstens mal kurz am Telefon.« Gemächlich machte sie einen Schritt nach vorn, beugte sich hinunter und hob das Whiskeyglas auf. »Erstaunlich, wie stabil diese Gläser sind«, stellte sie fest, als sie es erst rundherum betrachtete und dann völlig unversehrt wieder auf den Tresen der Bar stellte. »Oder vielleicht ist auch einfach nur der Teppich so dick, dass er alles abfängt.«

      »Hast du überhaupt zugehört, was ich gesagt habe?« Ihre Mutter hätte wahrscheinlich die Stirn gerunzelt, wenn sie das hätte tun können. Aber regelmäßige Behandlungen beim Schönheitstherapeuten verhinderten das.

      »Darauf habe ich bereits geantwortet, Mutter«, erinnerte Dale sie. »Ich weiß nichts über Lainey, seit ich sie das letzte Mal gesehen habe. Und das war weit vor ihrer Hochzeit.«

      »Zu der du noch nicht einmal gekommen bist.« Gereizt hob Janice Richards ihr Stupsnäschen. Ein Näschen, mit dem sie nicht geboren worden war. »Zur Hochzeit deiner einzigen Schwester! Die Leute haben –«

      »Lass mich doch endlich mit den Leuten in Ruhe«, unterbrach Dale sie unwirsch. »Was habe ich mit denen zu tun? Deren Erwartungen haben mich noch nie interessiert.«

      »Leider.« Janice Richards presste die Lippen zusammen. »Und wir müssen es ausbaden, Lainey und ich.«

      »Ausbaden?« Jetzt musste Dale ein lautes Lachen unterdrücken. »Was müsst ihr denn ausbaden? Ihr lebt im Luxus, müsst keinen Finger rühren für euren Lebensunterhalt. Weißt du, wie viele Leute es gibt, die jeden Cent umdrehen müssen? Wenn sie überhaupt einen haben?«

      »Seit wann weißt du denn etwas darüber?« Ihre Mutter war sichtlich verwundert. »Du hast schließlich auch keine Geldprobleme. Oder doch?« Argwöhnisch musterte sie ihre Tochter, als wäre sie ein unerwünschter Vertreter vor der Tür, der ihr ein sehr merkwürdiges Angebot gemacht hatte.

      »Natürlich nicht.« Unwillig schüttelte Dale den Kopf. »Es geht nicht um mich. War nur so eine allgemeine Bemerkung. Und außerdem . . .« Ihre Augenbrauen wanderten sehr weit nach oben. »Wie sagte Lainey vorhin? Weshalb war sie so sauer? Tolle Schwester? Und damals die Parade . . . Das deutet nicht darauf hin, dass ihr meinetwegen irgendetwas auszubaden habt. Wohl eher im Gegenteil.«

      »Aber du kommst nie.« Janice fuhr ihren letzten Trumpf auf. »Und das fällt auf. Die Kinder anderer Leute kommen regelmäßig. Zu Thanksgiving, zu Weihnachten, zu Geburtstagen und . . . Hochzeiten.« Der vorwurfsvolle Unterton nahm noch zu, als sie das letzte Ereignis erwähnte.

      »Du weißt genau, warum ich nicht kommen konnte. Das war kurz nach –« Dale brach ab.

      »Du hast doch immer eine Ausrede«, ließ Janice beiläufig fallen, während sie zur Couch hinüberschlenderte, um sich zu setzen.

      Was? Dale konnte es nicht glauben. Mit zwei großen Schritten war sie bei ihrer Mutter und riss sie an der Schulter zurück. »Du nennst Kathryns Tod eine Ausrede?« Ihre Stimme zitterte vor mühsam unterdrückter Wut.

      Anscheinend merkte Janice, dass sie zu weit gegangen war. »Ist ja schon gut.« Sie schüttelte Dales Hand ab. »Aber zur Beerdigung deines Vaters warst du auch nicht da.«

      »Ich war im Krieg!« Langsam konnte Dale es nicht mehr fassen. Sie traute ihrer Mutter ja viel


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