Küsse lügen nicht. Kay Rivers
wenn Sie kommen, sollte alles fertig sein«, sagte die Frau. Sie wies in das Zimmer hinein. »Sind Sie zufrieden? Oder soll ich noch was bringen?«
»Wie heißen Sie?«, fragte Dale jedoch zuerst einmal zurück, bevor sie die Frage beantwortete. »Sind Sie schon lange im Haus?«
»Ximena«, beantwortete die Frau Dales erste Frage. Dann auch die zweite. »Ich bin im Haus, seit Julio gestorben ist. Sechs Jahre.«
»Julio.« Der Name entfuhr Dale mit einem schlechten Gewissen. Warum hatte sie bisher noch nicht nach Julio gefragt?
Er war es gewesen, der sie manchmal am Fuß der Treppe aufgefangen hatte, wenn sie mit zu hoher Geschwindigkeit gelandet war. Hin und wieder auch ihr Vater, aber der war oft auf den Ölfeldern, also war es meistens Julio gewesen, der treue alte Feldarbeiter, der dann von ihrem Vater zum Gärtner und einer Art Hausdiener gemacht worden war, weil er sich weigerte, eine Rente zu beziehen, ohne zu arbeiten.
Ja, natürlich. Er war damals schon alt gewesen, und noch älter, als Dale Presidio mit achtzehn Jahren verlassen hatte. Es wäre unwahrscheinlich gewesen, wenn er heute noch gelebt hätte.
Anerkennend blickte sie sich in ihrem alten Zimmer um. »Das haben Sie sehr gut gemacht, Ximena. Nein, ich brauche nichts mehr. Danke.« Sie nickte Julios Nachfolgerin freundlich zu.
Die lächelte, offenbar erfreut über das Lob, und ging.
Dale schloss die Tür hinter ihr und ließ ihre Blicke ziellos schweifen. Sie kannte dieses Zimmer, und doch erschien es ihr so fremd. Es war nicht das Zimmer einer erwachsenen Frau, es war ein Teenagerzimmer. Mit Postern an den Wänden, Schulabzeichen, ein paar Baseballschlägern in der Ecke. Das Bett war so schmal, wie man das als für ein keusches junges Mädchen als passend erachtet hatte.
Auf dieses Bett ließ Dale sich fallen und streckte die Beine aus. Die Matratze war in den vielen Jahren nicht besser geworden. Was ja auch kaum zu erwarten war. Sie war schon immer zu weich gewesen, und jetzt erschien sie ihr noch weicher. Mit einem Feldbett, auf dem sie im Einsatz oft geschlafen hatte, sicherlich nicht zu vergleichen.
»Oh, Dr. Swanson«, stöhnte sie. »Was haben Sie mir da nur angetan?«
Vielleicht konnte sie auf dem Boden schlafen, um Rückenschmerzen zu vermeiden. Aber um Rückenschmerzen ging es ja auch gar nicht. Sie war nach Hause geflogen, um sich über ihre Gefühle für Kelly klarzuwerden. Deshalb hatte sie sie nicht mitgenommen.
Dazu hatte ihr Dr. Swanson geraten, und dazu gehörten auch die klärenden Gespräche mit ihrer Familie, die wieder einmal so kläglich gescheitert waren. Nur wenn alles geklärt war, hatte Dr. Swanson gemeint, könnte sie endlich mit der Vergangenheit abschließen, damit sie mit Kelly glücklich werden könnte.
Immer noch war Dale sich nicht sicher, ob das überhaupt ging. Ob Glück für sie in ihrem Leben überhaupt noch einmal vorgesehen war.
»Kat . . .« Sie schloss die Augen und erinnerte sich.
Sie wusste, es war nicht fair Kelly gegenüber, jetzt an Kat zu denken, aber sie konnte nicht anders. Kat war ihre große Liebe gewesen, ihre einzige wahre Liebe, wenn sie es rückblickend betrachtete, und sie hatten über alles reden können, sich in allem verstanden. Sie waren beide Soldatinnen gewesen, Offizierinnen, sie hatten dasselbe Leben geführt. Das hatte es vielleicht einfacher gemacht.
Wenn es überhaupt je einfach war. Zwei Leben zu einem zu machen, zwei Erfahrungswelten in eine zu verschmelzen. Aber viele Erfahrungen hatten sie gemeinsam gemacht. Und das unter Umständen, die unweigerlich zusammenschweißten, in der militärischen Ausbildung, im selben Schlafsaal in der Kaserne, im Einsatz, im Krieg.
Das alles hatte sie mit Kelly nicht gehabt. Kelly war keine Offizierin, keine Soldatin. Sie war überhaupt nie beim Militär gewesen. Und das hätte auch gar nicht zu ihr gepasst. Sie hasste Krieg und Waffen, Gewalt, körperliche Auseinandersetzungen. Ihre Körperlichkeit war von anderer Art.
Dale lächelte. Von einer sehr reizvollen Art, das musste sie zugeben.
Und so lächelnd schlief sie ein, ohne Kelly zurückgerufen zu haben.
6
»Jings!« Dale war nicht mit dem Auto gefahren, sondern saß winkend auf einem Pferd.
Dass es Reitpferde auf der Richards Ranch gab, dafür hatte Lainey gesorgt. Früher, ganz früher, hatte es Arbeitspferde gegeben, Pferde, die den Pflug zogen. Wenn der kleine Farmer sich das leisten konnte, sonst waren es Ochsen. Die Arbeitspferde wurden vielleicht auch einmal geritten, wenn sie zur Weide gebracht wurden oder in den Stall zurück, aber zum reinen Vergnügen waren sie nicht da.
Bis die Vergnügungsspezialistin Lainey kam. Sie hatte die teuersten Schulen besucht, eine feine Ausbildung als junge Dame genossen, und dazu gehörte auch das Reiten. Reiten war einfach upper class, wie sie gern sagte. An die Cowboys in Texas hatte sie mit Sicherheit dabei nicht gedacht. Die Schulen, die sie besucht hatte, waren an der Ostküste gewesen, und vermutlich hatte sie ihren Schulkameradinnen gegenüber so getan, als hätte sie noch nie einen Cowboy gesehen. Wenn diese jungen Damen von Reiten sprachen, meinten sie das Reiten im Central Park in New York, wohlerzogen auf den Wegen und mit der teuersten und schicksten Reitkleidung ausgestattet, die man finden konnte.
Rinderherden, die mit Pferden getrieben wurden, hatten die Richards-Vorfahren nie gehabt. Sie waren keine Rinderbarone gewesen, nur Farmer. Ein paar Rinder gehörten dazu, aber das waren Kühe für die Milch und Ochsen fürs Fleisch oder für den Pflug, mehr nicht. Dazu brauchte man keine Cowboys, die lassoschwingend im Sattel saßen.
Als sie dann zwar keine Rinderbarone, wohl aber Ölbarone geworden waren, hatten Rinder für den Verkauf auch keine Rolle mehr gespielt, aber es waren mehr geworden. Einfach, weil die Arbeiter mit Fleisch versorgt werden mussten. Und dann gab es auch immer mehr Pferde.
Dale hatte nicht in einer feinen Damenschule reiten gelernt, sondern hatte sich von klein auf einfach auf irgendeinen Pferderücken geschwungen und war losgaloppiert. Ohne Sattel, ohne Zügel, ohne dass sie überhaupt darüber nachdachte. Für Lainey war das natürlich nichts gewesen. Sie bestand auf einem Sattel und einem Stallknecht, der ihr Pferd versorgte, sattelte, fütterte. Sie wäre niemals auf den Gedanken gekommen, das selbst zu tun.
»Dale? Bist du das, Dale?« Mit einem verwunderten Gesichtsausdruck kam ein junger Mann zu ihr heran, der sich ölverschmierte Hände an einem ölverschmierten Tuch abwischte, das er dann einfach achtlos in die Gesäßtasche seiner ebenso ölverschmierten Jeans steckte.
»Wer sollte ich sonst sein?« Dale lachte und sprang ab. Heute war sie auch mit einem Sattel geritten und hielt sich noch ein wenig an dem Knauf fest, als sie fest auf dem Boden stand. »Aber ich mache dir keinen Vorwurf, dass du mich nicht mehr erkennst. Wir haben uns ja ewig nicht gesehen.«
»Ja. Ewig.« Seine blauen Augen lächelten. »Hast dich lange nicht hier blicken lassen.« Beide trugen sie breitkrempige Texashüte, und Jings schob seinen jetzt in den Nacken.
»Deinetwegen tut es mir leid«, sagte Dale, »aber meine Familie . . .« Sie verzog das Gesicht.
»Schon klar.« Er lachte. »Lainey ist schon eine Nummer für sich. Tut immer so, als würde sie mich nicht kennen. Dabei sind wir so gut wie zusammen aufgewachsen.«
»Was sie nie zugeben würde.« Ebenfalls lachend ging Dale auf ihn zu und umarmte ihn herzlich. »Ach, ich bin so froh, dich wiederzusehen!«
»Hey, pass auf!« Er schob sie von sich. »Das Öl hast du gleich auf deinem schönen Reitkostüm. Das geht dann nicht mehr ab.«
»Was für ein Reitkostüm?«, fragte Dale und schaute an sich herunter. »Jeans und ein Karohemd, das ist alles. Und davon habe ich genug.«
»Wenigstens ist es ein sauberes Hemd«, sagte er, hob die Arme und breitete sie ein bisschen wie ein Pinguin aus. »Und eine saubere Hose. Im Gegensatz zu mir.«
»Spielt das irgendeine Rolle?« Dale winkte ab. »Lass uns doch nicht über so einen Blödsinn reden. Lieber über etwas Interessanteres. Wie geht es dir?«
»Wie