Der Alphornpalast. Kurt Marti
jedoch an ihm vorübereilte. Manche dachten wohl, er sei besoffen. Andere wichen ihm aus, verlegen oder sogar ärgerlich und schimpfend. Er aber redete nur noch heftiger, noch lauter, geriet zeitweilig ins Brüllen. Sturmvogel oder sturmer Vogel? Eine ziemlich kauzige Erscheinung mittleren Alters jedenfalls, mit strähnig wirren Haar und abgetragener Lederjacke. Wie, wenn sein Reden vielleicht doch bedenkenswert gewesen wäre? Gibt es denn nicht genug Alarmzeichen dafür, dass wir einer Katastrophe entgegentreiben? Alarmzeichen, die uns erschrecken und zu einem Sinneswandel bewegen müssten? Nur eben, wer schon mochte einem kauzigen Schreihals zuhören, der sich zu einer so ungeeigneten Tageszeit, es war kurz nach Mittag, die Angestellten strebten wieder ihren Büros zu, auf eine Weise ereiferte, die lächerlich wirkte? So überanstrengte er seine Stimme noch mehr, sie überschlug sich immer öfter, bis dass er nur noch heiser zu krächzen vermochte. Und plötzlich dann war er in ein schattendunkles Seitengässlein enteilt und verschwunden. Niemand folgte ihm, nicht einmal ein Polizist.
Alte Bekannte
Im Stadtzentrum begegnet Bögli einem kleinen Demonstrationszug: Transparente, Fahnen, rote vor allem. Aufmüpfige Parolen werden skandiert, ohne dass sie die Aufmerksamkeit der meist eiligen Passanten zu wecken vermögen. Polizisten dirigieren Autoverkehr und Demo routiniert aneinander vorbei. Längst hat man sich in dieser Stadt, dem Sitz von Parlament und Regierung, an dergleichen Aufläufe gewöhnt. Vom neuerdings ausgebrochenen Sozialkonflikt hat Bögli zwar gelesen, im Radio gehört, sich jedoch kein eigenes Urteil bilden können. Will er den Medien glauben, ist der Konflikt mit einem Rattenschwanz vertrackter Probleme verknäuelt, wie heute fast immer. Mag ja sein, dass die Verknäuelung extra betont oder sogar übertrieben wird, um die Opfer der globalen Veränderungen zu entmutigen: Seht, seht, wie komplex alles geworden ist, zu komplex für einfache Gemüter und simple Lösungen.
Plötzlich winkt einer der Demonstranten, löst sich aus dem Zug und geht direkt auf Bögli zu. Die beiden kennen einander von früher her. Komm auch, komm mit uns! lädt der bereits weisshaarige Kämpfer seinen alten Bekannten ein, der immerhin und anders als die gleichgültigen Passanten an Trottoirrand stehen geblieben ist. Ach, mein Lieber, wehrt Bögli ab, mir fehlt der Durchblick, speziell in dieser Angelegenheit, und ausserdem ist die Zeit des Klassenkampfes doch wohl vorbei. Das behaupten bloss die, die glauben, ihn endgültig gewonnen zu haben, entgegnet der Unentwegte und fragt, fast besorgt: Hast auch du vielleicht resigniert? Sehe ich denn so aus, gibt Bögli zurück, und selbst, wenn dem so wäre, dürfte ich mich auf das Menschenrecht zur Resignation berufen. Darfst du, natürlich darfst du das, nur, meine ich, gibt es weit wichtigere Menschenrechte, sagt der alte Bekannte, salutiert burschikos, vielleicht auch etwas ironisch, und rennt mit einem leichthinnigen »Ciaou!« in noch immer jugendlichem Laufschritt den inzwischen weitermarschierten Demonstranten nach.
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