Ascension Saga: 6. Grace Goodwin

Ascension Saga: 6 - Grace Goodwin


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Schweiß rann ihm von der Schläfe über die Wange und bis in die Falten seines Halses. Ich sah der Flüssigkeit bei ihrer Talfahrt zu und war wie benommen. Betäubt. Meine Eltern waren tot. Mein Leben lag in Trümmern. Schlimmer noch, ich hatte Faith womöglich für immer verloren. Ich würde sie nicht mit runterziehen. Ich würde mitansehen, wie sie einen anderen Mann zum Partner nahm, eine Familie gründete und ihr Leben lebte.

      Die Benommenheit war besser als der Schmerz, den ich unterdrücken musste, als ich sie mir in den Armen eines anderen vorstellte. Ich fragte mich, ob ich je wieder etwas fühlen würde.

      “Wir sind zusammen aufgewachsen, aber wir waren nie Freunde.” Ich zog einen mit Edelsteinen verzierten Dolch—den Dolch meiner Mutter—aus meinem Stiefel. Das Exemplar war ein Kunstwerk. Das polierte Platin war eine zeremonielle Waffe und nicht zum Töten gedacht, sondern eine Auszeichnung, nachdem sie nach über vier Jahrzehnten aus dem Dienst der Optimus-Einheit ausgeschieden war. Die Klinge war nicht für den Kampf geschmiedet worden, aber sie war sündhaft scharf. Als Beweis lief ich um Pawl herum und legte ihm den Dolch hinters Ohr. Mit einem einzigen Schwung rasierte ich ihm das Haar von der Schädelseite und kicherte laut, als die dunkeln Strähnen in einem zerstreuten Durcheinander in Pawls Schoß hinunter flatterten.

      “Thor?”

      “Faith ist meine Partnerin. Lord Wyse—dein Großvater—wollte sie umbringen. Er hat dich zur Erde geschickt. Was glaubst du werden Trinity und die royalen Garden tun, wenn sie herausfinden, dass du die verdammte Königin gekidnappt hast!”

      “Thor!” rief er erneut und diesmal flehte er regelrecht.

      Ich ignorierte ihn und redete weiter. “Lord Wyse ist für den Tod meiner Eltern verantwortlich. Meine Partnerin wird sterben, wenn er nicht gestoppt wird. Was glaubst du ist mir dein elendes Leben wohl wert?”

      Er atmete hastig aus. “Nichts.”

      “Du hast verstanden.” Ich presste die Klinge an seine schweißbedeckte Wange und wartete.

      “Ich weiß nicht, wo die Königin ist. Aber ich kenne jemanden, der es weiß.”

      Das war schon besser. “Sprich.”

      “Er ist Lord Wyses Bodyguard. Sein Name ist Marish. Er hat eine Narbe auf dem Gesicht, vom Mundwinkel bis zum Hals, wie ein Haken. Er ist mit mir zur Erde gereist. Als wir zurücktransportiert sind, hat er sie mitgenommen. Ich weiß nicht wohin. Ich bin nach Hause gegangen—”

      “Um Trinity aus dem Weg zu räumen.”

      Jetzt bebte er, seine Finger umklammerten zitternd die Armlehnen. “Ja. Ich sollte nach Hause gehen, zurück in den Palast, aber sie sind woanders hintransportiert. Ich weiß nicht, wohin sie gebracht wurde. Das schwöre ich.”

      Verdammt. Ich glaubte ihn. Ich wusste, dass ich diese Infos einem solch widrigen Typen auch nicht anvertraut hätte. “Und Lord Wyse? Was will er von der Königin? Nach all diesen Jahren? Warum hat er sie nicht in Ruhe gelassen, auf der Erde?”

      “Er braucht die Kronjuwelen. Er will König werden.”

      Die Vorstellung war lachhaft. “Alera hat nie einen König gehabt. In tausenden Jahren nicht.”

      “Das kannst du ihm selber sagen,” entgegnete er. Jetzt, als er redete, hatte er sich etwas entspannt und seine übliche Arroganz kehrte zurück. Er hatte sogar die Nerven mich anzulächeln, als er mir erzählte, wie er Trinity verführen wollte, nachdem sie bei seinen Eltern eingetroffen war und wie Lord Wyse ihm von ihrer Gluthitze berichtet hatte und er beschlossen hatte, sich persönlich darum zu kümmern. Er hatte geplant, seine eigene Cousine erst zu ficken und sie dann zu ermorden. Aber er war verspätet im königlichen Palast eingetroffen und der royale Mann für alle Gelegenheiten hatte sich bereits in ihr Bett geschlichen.

      “Was hast du dir dabei gedacht? Dass du deine eigene Cousine zur Partnerin nehmen würdest? Fickst du etwa auch deine Mutter?”

      Das machte ihn wütend und er blickte auf, sein Gesicht war rot und aufgedunsen und er fluchte. “Nein. Fick dich, Thor. Beleidige nochmal meine Mutter und ich—”

      “Was? Na los. Sag schon.” Ich presste die Messerklinge flach gegen seine Wange und das Fleisch auf seinem Wangenknochen wölbte sich über die Klinge. Der Druck verursachte einen kleinen Schnitzer und er winselte. “Thor. Nein. Ich wollte sie nicht ficken. Ich brauche keine Partnerin. Ich wollte sie verführen, mit ihr allein sein. Und sie dann töten.”

      “Lord Wyse muss alle vier Thronerbinnen ausschalten und alle vier Türme erlöschen lassen, ehe das Volk ihn als seinen neuen König anerkennen wird. Ohne Trinity wären es nur noch drei.” Ich überlegte laut, als ich den skurrilen Plan durchging. Ich hob die Klinge und versuchte nicht einmal die Genugtuung zu verstecken, die das schmale Rinnsal Blut mir bescherte. Dieser Mistkerl wollte Faiths Schwester ermorden, hatte ihre Mutter entführt und als nächstes würde er ohne zu zögern Faith umbringen. Er verdiente es zu sterben. Aber jetzt noch nicht. Ich brauchte mehr Informationen. “Er wollte eine nach der anderen auslöschen?”

      Er nickte. “Genau. Mein Vater hatte keine Chance bei ihr. Trinity hatte ihn bereits kennengelernt und er ist zu alt für sie. Sie zu verführen hätte nicht funktioniert.”

      “Und dann?”

      “Danach ist rausgekommen, dass Leo ihr Partner ist. Danach ist er immer bei ihr geblieben … oder in ihrem Bett. Ihrem gemeinsamen Bett. Ich hatte keine Chance mehr.”

      “Aber Zel hatte eine Chance, beim royalen Empfang.”

      Er nickte und schwieg. Ich wusste, was dort vorgefallen war, als Trinity von einem von Mutters Garden gefangengenommen und fast getötet worden war. Ich hatte den Empfang bereits verlassen und der Göttin sei Dank waren Leo und Nix zur Stelle, um sie zu retten. Andernfalls hätte meine Familie eine weitere Sünde, einen weiteren Mord auf dem Konto gehabt. Ich wollte und brauchte Pawls Ausführungen zu diesem Abend nicht hören. Trinity allerdings schon.

      Ich ging zu meinem Stuhl, setzte mich ihm gegenüber und wirbelte mit dem blutigen Dolch in meiner Hand herum. “Pawl, du kannst froh sein, denn Leo hätte dir kurzen Prozess gemacht, hättest du es gewagt zu Trinity ins Bett zu kriechen. Und erst recht, wenn du versucht hättest, sie zu ermorden.”

      Er schien derselben Ansicht zu sein und in seinen Augen erblickte ich einen Anflug von Panik, als er wohl daran dachte, wie Leo ihn in Stücke riss. “Ich habe dir von Marish und der Königin erzählt. Was willst du noch? Lass mich gehen! Ich habe niemanden umgebracht. Ich bin kein Mörder. Du musst mich gehen lassen.”

      “Ach so?” Ich seufzte. Dann ließ ich meinen Daumen vorsichtig über die Schnittkante der Klinge gleiten und sammelte die Reste von seinem Blut zu einem kleinen Tropfen. Er beobachtete wie gebannt, wie ich das Blut zwischen meinen Fingerspitzen verteilte. “Ich verspreche, dich nicht zu töten. Unter einer Bedingung.”

      “Ja. Was immer du willst. Egal was. Aber lass mich gehen.”

      “Rede, Pawl. Und zwar ganz vom Anfang an. Was weißt du über die Ereignisse, die vor siebenundzwanzig Jahren zum Tod des Königs geführt haben?”

      “Damals war ich nicht einmal geboren.”

      “Aber dein Vater und Lord Wyse waren erwachsen. Und du bist ihr engster Vertrauter. Ihr Killer.”

      “Ich habe niemanden umgebracht.”

      “Du hast die Königin entführt.”

      Er seufzte, vielleicht hatte er sich damit abgefunden, dass seine Beteiligung nicht länger verschleiert werden konnte; dass er reden musste, um sein erbärmliches Leben zu retten. Eine Stunde lang beantwortete er meine Fragen. Als er fertig war, hatte ich alle nötigen Informationen, um voranzukommen. Er wusste zwar mehr als ich, aber nicht sehr viel mehr. Und ich hatte immer noch keine Ahnung, wo die Königin steckte. Aber es war ein Anfang.

      “Danke, Pawl.” Ich stand auf und lief zur Tür.

      “Warte! Was? Wo gehst du hin? Du wolltest mich gehenlassen! Du kannst mich nicht hierlassen!”


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