Weltbewegerinnen. Claudia Filker

Weltbewegerinnen - Claudia Filker


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hart der Weg für die Frauen war. Kaum zu fassen, wie lange sie von den Universitäten ferngehalten wurden oder nicht auf die Kanzel durften, ja, als Mädchen noch nicht einmal die Erlaubnis hatten, lesen und schreiben zu lernen. Mit viel Einsatz haben sie die Freiheit erkämpft, die mir, meinen Töchtern, meinen Enkeltöchtern wie selbstverständlich in die Wiege gelegt wurde: die Gaben und Möglichkeiten zu leben, die unser Schöpfer in uns hineingelegt hat.

      Ich gestehe gern: Die Beschäftigung mit diesen Frauen hat mich verändert, sie hat meinen Blick neu geschärft für den Kampf der Frauen um Bildung, Mitspracherecht, später Wahlrecht und Gleichberechtigung. Es begeistert mich bis heute, was diese mutigen Frauen erreicht haben. Oft waren sie noch sehr jung. Manchmal vermeintlich zu alt. Fast immer brauchten sie einen sehr langen Atem.

      Sie halten also echte Inspirationsgeschichten in Ihren Händen – 40 Frauenporträts in der bewährten Vielfalt. Viel Freude an der Lektüre!

       Ihre Claudia Filker mit Andrea Specht

ÜBER GRENZEN GEHEN Für Kinder IST NUR das Beste GUT GENUG. MARGARETE STEIFF

      MARGARETE STEIFF

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      EINE GENIALE GESCHÄFTSFRAU MIT HANDICAP

      Vier Tage bangen die Eltern der kleinen Margarete um ihr Leben. Was für eine Erleichterung, als das Fieber endlich sinkt! Aber die Kraft kehrt nicht wieder in Margaretes Körper zurück. Die Beine und der linke Arm gehorchen ihr nicht mehr. Jahre später diagnostizieren Ärzte bei ihr Kinderlähmung. Im Leiterwagen wird sie durch den Ort gezogen, auf eine Decke gesetzt, von wo sie sehnsüchtig die anderen Kinder beim Spiel beobachtet. Wird sie ihr ganzes Leben lang auf die Hilfe anderer angewiesen sein?

      Aber die besorgten Eltern unterschätzen die Durchsetzungskraft ihrer Tochter. Margarete beeindruckt durch ihr Selbstbewusstsein. Und sie schaut nicht auf das, was sie nicht kann, sondern auf das, was sie kann. Als „Inklusion“ noch ein unbekanntes Fremdwort ist, drängt sie zielstrebig darauf, die Schule der gesunden Kinder zu besuchen. Von vielen Händen getragen und geschoben glänzt sie dort mit überdurchschnittlichen Leistungen. Natürlich setzt sie wie so oft ihren Kopf durch und besucht später die Nähschule. Gegen den erklärten Willen des Vaters, der sie vor der Enttäuschung bewahren will, den Anforderungen nicht gewachsen zu sein. Trotz ihres schweren Handicaps lernt sie hervorragend Schneidern. Und wer kauft die erste Nähmaschine am Ort? Natürlich Margarete, denn wenn sie etwas ganz besonders ausgeprägt besitzt, dann ist es ein tüchtiger Geschäftssinn. Und sie hat Visionen. Denkt groß. „Geht nicht“ gibt’s nicht.

      1877 gründet sie eine Schneiderei unter dem elterlichen Dach. Bald hat sie eine angestellte Näherin und ist spezialisiert auf Kinder- und Damenbekleidung. „Konfektionsware“ heißt das neue Zauberwort. Sie ersetzt teure maßgeschneiderte Kleidung.

      Manchmal braucht man zum ganz großen Erfolg auch eine ordentliche Portion Glück. Margarete Steiffs großer geschäftlicher Durchbruch kommt, als sie schon einen florierenden Familienbetrieb führt. Der Verkaufsschlager sind Nadelkissen in Tierform, die sich als beliebte Spielzeuge herausstellen. Elefanten sind der Knüller. Schon bald sind die niedlichen Tiere als Spielzeuge beliebt, denn weiches Spielzeug war bis dahin unbekannt.

      Margarete nutzt bald wieder eine neue Idee: Sie betreibt einen Versandhandel. 1902 ist Teddys Geburtsstunde. Ihr kreativer Neffe Richard entwickelt einen Stoffbären mit beweglichen Armen und Beinen aus besonders flauschigem Plüsch. Etwas ganz Neues! Auf der Leipziger Messe soll der kleine Bär bekannt gemacht werden. Was für ein Glück: Er findet auch den Weg über den Atlantik und wird dort zum durchschlagenden Erfolg. Der kleine Bär erobert sogar das Herz des amerikanischen Präsidenten „Teddy“ Roosevelt. Das ist der Startschuss einer unglaublichen Teddykarriere.

      Das Unternehmen wächst und Margarete bleibt mittendrin. Fährt jeden Tag im Rollstuhl durch die lichtdurchfluteten Fabrikhallen. Ihre warmherzige, freundliche Art motiviert die Mitarbeiterinnen und hält auch in schwierigen Zeiten das riesige Familienunternehmen zusammen. Vielleicht ist ein Geheimnis ihres Lebens nicht der Knopf im Ohr, der die Qualität ihrer Plüschtiere und somit den Firmenerfolg schützen soll, sondern ihr Konfirmationsspruch: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“

      Eine Zusage, mit der Margarete oft hadert und die sie gleichzeitig hält.

      (CF)

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      MARGARETE STEIFF,

      1847–1909, baute trotz ihrer Behinderung

      ein Unternehmen von Weltrang auf.

IRGENDWO TIEF IM HERZEN WEIß ICH, DASS Gott mich doch so will, wie ich bin. HETTY OVEREEM

      HETTY OVEREEM

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      DIE WANDERPFARRERIN

      „Wissen Sie … ich bin völlig vom Hocker. Ich habe so lange nichts mehr mit Gott zu tun gehabt. Und nun, hier, plötzlich sind Sie da. Aber so anders. So einfach. Nur da. Nur mit einem Esel. Nur Kaffee machen und was reden und sonst nichts … Das haut mich um. Wenn Gott so ist … Ja, dann sollte ich mich vielleicht doch mal wieder an ihn wenden.“ Während die junge Frau so zu der Pfarrerin in Treckinghose und Wanderschuhen spricht, krault sie die langen Eselsohren. „Und – wie schnell läuft der Esel?“ „Zwei Kilometer pro Stunde Spitzenleistung.“

      Wie oft hat Hetty Overeem diese Antwort in den vergangenen drei Jahren schon gegeben, seit sie mit Esel Speedy und Hund Barou durch die Schweiz wandert? Das ungewöhnliche Dreiergespann „on tour“ ist überall ein Hingucker.

      Das mit dem „Geht in alle Welt“ hat Hetty Overeem ganz wörtlich genommen: Geht – nicht fahrt! Die Wanderpfarrerin ist so gemächlich unterwegs, dass andere sich für ein oder zwei Kilometer auch mal dazugesellen können. Ein Stück des Weges mitlaufen.

      Ihr Tipi baut Hetty überall dort auf, wo sie mit Esel und Hund hinkommt. „Kirche kommt zu dir. So wie Jesus zu dir kommen will.“ So oder so ähnlich sagt es die Pfarrerin schon mal zu einem Menschen, der sich in ihr Tipi locken lässt. Manchmal reicht sie auch „nur“ einen Kaffee, den sie auf dem Gaskocher kocht, oder lädt zu einem Käsefondue ein.

      Es gibt Tage, da platzt das Tipi aus allen Nähten, manchmal sitzen da nur zwei Menschen, wenn die Pfarrerin eine Andacht hält. Lieder, Gebete, uralte Texte von den Wüstenvätern, besondere Texte, die Hetty in Ägypten entdeckt hat. Die Wanderpfarrerin erlebt mit ihnen immer wieder Erstaunliches: dass sie auf eigentümliche Weise dem Menschen von heute ins Herz sprechen.

      Manchmal sagen die Leute: „In die Kirche will ich nicht, aber über Gott reden, das will ich. Jetzt mit Ihnen.“ Lange hatte sie als „normale“ Pfarrerin in Lausanne gearbeitet. Dann hat’s „gekribbelt im Bauch“ und sie beschloss aufzubrechen und sich auf diesen ungewöhnlichen Weg zu machen. Ihre provokante Botschaft: Jesus ruft uns heraus, aus dem Luxus, der Kontrolle, dem Komfort, den Gottesbildern, die uns wegbringen von ihm.

      Und es funktioniert: Im Tipi ist kein Amt zwischen ihr und den Leuten. Hier fühlt Hetty sich auf eigentümliche Weise den Menschen näher. Wenn Unbekannte ihr Zelt betreten, bringen sie manchmal einen tiefen Schmerz mit. Zuhören ist Hettys erste Aufgabe, aber auch Fragen stellen. Hetty vertraut auf Gottes Geist, der auch ihre Worte gebrauchen möchte.

      Im Winter bewohnt die Pfarrerin in der Metrostation


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