Weltbewegerinnen. Claudia Filker
Inspiration. Und spricht in die Herzen der Menschen.
Durch ihre eigenen Fragen und Ungewissheiten ist die Pfarrerin ganz nah bei denen, die sie in ihrem Tipi, in ihrer Hütte besuchen. Mit ihren Zweifeln im Gepäck.
(CF)
HETTY OVEREEM,
geb. 1956, ist eine niederländische
evangelische Theologin und Autorin.
LILIAS TROTTER
GOTTES REICH AN ERSTER STELLE
Sie hätte eine der größten lebenden Künstlerinnen ihrer Zeit in England werden können. Ihr Talent stimmte sogar den harschen Kunstkritiker John Ruskin um, der bis dahin davon überzeugt war, Frauen könnten nur liebliche und minderwertige Kunst vollbringen. Doch als er die „ungeschulten“ Zeichnungen von Lilias Trotter zu Gesicht bekommt, ist er von der umwerfenden Gabe gefesselt, die in der 25-Jährigen schlummert.
Ruskin möchte Lilias als Mentor fördern, unterrichten und zu Bekanntheit bringen. Der Preis ist für Lilias hoch: Sie muss sich für die Kunst aufgeben. Nach schwerem innerem Kampf entscheidet sich die junge Frau gegen die reizvolle Perspektive, ihr Potenzial zur vollen Entfaltung zu bringen. Sie will kompromisslos für Gott und sein Reich leben.
Wohlhabend im viktorianischen London aufgewachsen, engagiert sie sich bereits als junge Frau – wie viele Töchter aus höherem Haus – für wohltätige Zwecke. Stark geprägt durch geistliche Bewegungen und Aufbrüche wie die Keswick-Konferenzen und die Evangelisationen Dwight L. Moodys, ist ihr Glaube von völliger Hingabe an Gott und den Dienst am Nächsten geprägt. Bei ihrem Einsatz für Arbeiterinnen und Prostituierte fühlt sie sich in ihrem Element. Bis sie mit 34 Jahren bei einer Missionskonferenz klar Gottes Ruf nach Algerien hört. Doch aufgrund ihrer schlechten Gesundheit nimmt keine Missionsorganisation Trotter an. So macht sie sich mit zwei anderen Frauen auf eigene Faust auf den Weg.
In Algier angekommen, kennen die drei Engländerinnen keine Menschenseele, sprechen kein Wort Arabisch und wissen auch nicht, wo sie beginnen sollen. Ganz auf Gott geworfen, beten sie, studieren eifrig die Landessprache und knüpfen erste Kontakte. Bald ziehen sie aus dem französischen Quartier, in dem sonst alle Europäer wohnen, in das enge, von Leben überfließende arabische Viertel und laden zu verschiedenen Treffen ein. Erste Muslime vertrauen ihr Leben Jesus an, mehr Mitarbeiter kommen hinzu.
Doch Lilias spürt ein Drängen, Gottes Licht dorthin zu bringen, wo es noch keine Missionsarbeit gibt. Unerschrocken machen sich die Frauen auf lange, teils lebensbedrohliche Reisen in die Sahara – unter sengender Hitze, auf Kamelen und in Zelten campierend. Lilias und ihre Begleiterinnen erobern die Herzen der Wüstenbewohner, die Menschen sehnen sich nach mehr Literatur, bitten die Frauen, bei ihnen sesshaft zu werden und ihnen mehr zu erzählen von dieser wunderbaren Erlösung.
Am Ende ihrer 40-jährigen Hingabe an die Menschen in Algerien ist die Arbeit auf 30 Mitarbeiter gewachsen und ganze 13 Missionsstationen sind in noch „unerreichten“ Wüstenregionen etabliert. Die unter Lilias’ Leitung 1907 gegründete Missionsgesellschaft „Algiers Mission Band“ hat in ihrem Vorgehen und ihrer gelebten Liebe für die Araber einen kulturintegrativen Ansatz bewiesen, der seiner Zeit weit voraus war:
Unter anderem gab es ein arabisches Café, in dem christliche Veranstaltungen stattfanden, von Trommeln begleitete, rezitativisch vorgetragene Bibellesungen, illustrierte Karten mit kalligrafierten Bibelversen auf Arabisch, Stickkurse für Mädchen und andere Angebote, die Zugang zu den Herzen und Traditionen der arabischen Muslime fanden.
Bis heute orientieren sich Programme und missionarische Kurse an den innovativen Ansätzen von Lilias Trotter.
(AS)
ISABELLE LILIAS TROTTER,
1853–1928, Missionspionierin unter den Muslimen
Algeriens, Künstlerin und Verfasserin
illustrierter Andachtsbücher.
KATHERINE JOHNSON
ÜBER BEGRENZUNGEN HINWEG
Die neuen Rechenmonster, diese riesigen, Hallen füllenden IBM-Computer, waren den amerikanischen Astronauten der NASA nicht ganz geheuer. Keinesfalls wollten sie ihnen allein ihr Leben anvertrauen. Zu anfällig waren die Maschinen für Stromausfälle oder andere Störungen. Zwar waren die Computer für die bemannte Umrundung der Erde mit jeder notwendigen Gleichung programmiert worden. Doch der Astronaut John Glenn, der den Flug bestreiten sollte, beharrte: „Get the girl“ – „lasst das Mädchen holen“.
Mit dem „Mädchen“ meinte er niemand anderes als Katherine Johnson, immerhin schon Anfang vierzig. Die Afroamerikanerin hatte sich in den vergangenen Jahren bei der NASA als erstklassige Mathematikerin bewährt. Sie sollte alle Ergebnisse der Computer nachrechnen. „Nur wenn sie sagt, dass sie stimmen, bin ich bereit zu fliegen“, beharrte der Astronaut. Katherine rechnete – und die NASA-Mission wurde schließlich ein großer Erfolg.
Schon als junges Mädchen zeigte sich Katherines außergewöhnliche mathematische Begabung. Alles zählte und rechnete sie, beeindruckte die Lehrer mit ihrem Wissensdurst und ihrer schnellen Auffassungsgabe. Zwei Klassen übersprang sie und schloss bereits mit 18 Jahren das College mit höchster Auszeichnung ab. Die 1918 geborene Afroamerikanerin war von Mentoren, die ihr außergewöhnliches Talent sahen, früh darin bestärkt worden, in die Forschung zu gehen – obwohl das für Frauen, noch dazu schwarze, in dieser Zeit in den USA noch Zukunftsmusik war.
1953 ließen sich erste sanfte Töne davon vernehmen: Katherine wurde Rechnerin in der rein aus Afroamerikanerinnen bestehenden „West Area Computing Unit“, einem Teil der NACA, die später zur amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA wurde. Die „Computer in Röcken“, wie Katherine ihre Abteilung scherzhaft nannte, mussten unter anderem Daten aus Experimenten berechnen und grafisch darstellen.
Bereits zwei Wochen nach ihrem Arbeitsantritt wurde die Mathematikerin vorübergehend in die Abteilung für Flugforschung „ausgeliehen“, doch sie kehrte nie wieder zu ihren „Röcken“ zurück. Bald hatte sie sich in der rein aus weißen Männern bestehenden Abteilung einen Ruf als hervorragende Rechnerin erarbeitet, stellte selbstbewusst Fragen und eroberte sich Zutritt zu den Besprechungen, zu denen normalerweise keine Frauen zugelassen waren. Doch sie beharrte – schließlich mache sie doch die Berechnungen! Mit derselben Entschiedenheit brachte sie es zur ersten Frau dieser Abteilung, die je in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung offiziell als Mitautorin genannt wurde.
Katherine Johnsons Berechnungen ermöglichten 1961 den Erfolg des zweiten bemannten Flugs in der Geschichte der Raumfahrt mit Alan Shepard als Pilot; durch die korrekt berechnete Umlaufbahn für die Apollo 11 trug sie außerdem zur geglückten Mondlandung 1969 bei.
Ihrer großartigen Arbeit wurde viele Jahre kaum Aufmerksamkeit geschenkt – ebenso wie der vieler anderer schwarzer Mathematikerinnen. Das änderte sich erst zur Jahrtausendwende durch verschiedene Ehrendoktorwürden. 2015 wurde Katherine Johnson von Barack Obama mit der Presidential Medal of Freedom