Unheimlich. Ursula Isbel-Dotzler

Unheimlich - Ursula Isbel-Dotzler


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Ich schwor mir, während der nächsten Wochen nie wieder einen Bus oder ein Schiff zu besteigen; an die Rückreise mochte ich gar nicht erst denken.

      Als wir Lilletorp endlich erreichten, brach die Abenddämmerung schon herein, und Professor Zetterlund war nicht gekommen.

      3

      Wir standen allein im Zwielicht. „Er hat vergessen, daß wir heute kommen“, sagte Kristin. „Typisch!“

      Ich sah mich um. Der Bus war wieder losgefahren. Wir standen mit unserem Gepäck an der Landstraße. Am Ende der Straße zeichneten sich Häuser gegen den dunkler werdenden Himmel ab. Irgenwo in der Nähe mußte ein Bauernhof sein, denn wir hörten eine Kuh muhen. Sonst war alles still und wie ausgestorben.

      „Und was machen wir jetzt?“ fragte ich. „Weißt du, wo das Haus ist, in dem dein Vater wohnt?“

      „Keine Ahnung. Er ist ja erst vor ein paar Monaten hierhergezogen. – Ich bin noch nie in Lilletorp gewesen. Pfarrhäuser sind aber meistens in der Nähe der Kirche, glaube ich. Wir können ja mal fragen.“

      „Ja“, sagte ich. „Das könnten wir, wenn jemand da wäre.“

      „Dazu müssen wir erst mal in den Ort gehen.“ Kristin nahm ihren Koffer und begann die Straße entlang zu wandern. Ich folgte ihr und dachte verbittert, daß diese Ankunft wirklich zu allem anderen paßte.

      Der erste Mensch, der uns begegnete, war ein alter Mann mit einem Hund. Glücklicherweise kann Kristin ziemlich gut Schwedisch; sie ist ja Halbschwedin. Ich hörte, wie sie etwas von „Professor Zetterlund“ und „Prästgården“ sagte. Der Alte nickte freundlich, gab eine Antwort, die ich natürlich nicht verstand, und deutete in die Ferne.

      Als ich seiner ausgestreckten Hand mit den Augen folgte, merkte ich, daß er durchaus nicht auf die rote Backsteinkirche zeigte, die die Häuser von Lilletorp überragte. Er deutete auf den Wald hinter dem Dorf. Mein Herz sank.

      „Tack så mycket“, sagte Kristin höflich, aber mit niedergeschlagener Stimme. Daß das vielen Dank hieß, wußte ich wenigstens.

      „Es ist nicht im Dorf, wie?“ murmelte ich, als der alte Mann mit seinem Hund weiterging.

      „Nein“, erwiderte Kristin. „Du hast es erfaßt, Frankie. Wir müssen… hm, na ja, wir müssen mehr oder weniger durch Lilletorp durch und dann ein Stück in den Wald.“

      Hänsel und Gretel! Ich hatte es ja geahnt. „Können wir nicht im Pfarrhaus anrufen, damit dein Vater uns hier abholt?“ fragte ich.

      „Versuchen können wir’s ja.“ Kristin machte ein zweifelndes Gesicht. „Aber er hängt den Hörer oft aus, wenn er arbeitet, um nicht gestört zu werden.“

      Lilletorp kam mir wie eine Geisterstadt in einem Wildwestfilm vor. Immerhin waren einige Fenster erleuchtet. Ich sah voller Sehnsucht auf die Lichtvierecke, denn ich war hungrig und todmüde und wollte nichts als essen und schlafen.

      Auf dem Weg zur Telefonzelle begegneten uns nur zwei Leute, eine Frau und ein kleiner Junge, die uns freundlich grüßten. Mein Koffer schien von Schritt zu Schritt schwerer zu werden.

      Zum Glück hatte Kristin ein paar Kronenstücke eingesteckt. Allerdings schien ihr Vater das Telefon tatsächlich ausgehängt zu haben, denn es erklang immer nur das Besetztzeichen, so oft wir es auch versuchten.

      „Dann nehmen wir eben ein Taxi!“ sagte ich.

      Kristin lachte. „Ein Taxi? So was gibt es hier nicht!“ erwiderte sie. „Aber dort drüben ist ein kleines Gasthaus. Da frage ich mal, ob wir unser Gepäck einstellen dürfen. Dann brauchen wir uns wenigstens nicht so abzuschleppen.“

      Mir war schon alles egal. Ich nickte nur, setzte mich auf meinen Koffer und wartete vor der Telefonzelle, während Kristin im Gasthaus Krogen verschwand.

      Nach einer Weile kam sie zurück. „Die Leute sind nett“, sagte sie. „Wir können unser Gepäck hierlassen. Sie haben mir sogar eine Taschenlampe geliehen und den Weg zum Pfarrhaus ganz genau beschrieben. So besonders weit ist es nicht.“

      Das sollte tröstlich klingen, aber mich konnte nichts mehr trösten. Wir trugen unsere Koffer in die Wirtsstube, in der nur drei ältere Männer saßen und uns mit einer Art mitleidiger Neugier musterten. Die Wirtin stellte unser Gepäck in einer Ecke hinter der Theke ab. Auch auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck, der mir mitleidig vorkam. Sie sagte etwas auf schwedisch, Kristin nickte und gab Antwort. Dann gingen wir wieder in den Abend hinaus.

      „Was hat sie gesagt?“ fragte ich. „Sie hat uns so mitleidig angesehen.“

      „Sie hat gesagt, wir sollten auf uns aufpassen“, erwiderte Kristin. „Wahrscheinlich fürchtet sie, wir könnten uns im Wald verlaufen. Ich denke, du hast ihr leid getan, weil du so blaß und elend aussiehst.“ Sie warf mir einen Seitenblick zu. „Du bist ganz fertig, wie? Hör mal, du könntest doch eigentlich in der Gastwirtschaft bleiben. Dann gehe ich allein zum Pfarrhaus, und mein Vater soll dich dann mit dem Auto holen.“

      Ich schüttelte den Kopf. „Nein“, erwiderte ich standhaft. „Ich lasse dich nicht allein gehen, kommt nicht in Frage. Ich weiß doch genau, daß du dich allein im Wald fürchtest.“

      „Ein bißchen schon“, gab sie zu. „Ehrlich gesagt ist’s mir bedeutend lieber, wenn du mitkommst.“

      Als wir den Wald erreichten, war es noch dunkler geworden. Die Bäume ragten wie eine schwarze Mauer vor uns auf. Kein Stern war am Himmel, und der Mond hatte sich hinter Wolken versteckt, denn wir sahen ihn nicht. Kristin beleuchtete den steinigen Weg mit dem Strahl der Taschenlampe.

      „Wir müßten jetzt bald an die Wegkreuzung kommen, von der die Wirtin gesprochen hat“, sagte sie. „Dann müssen wir nach links. Weit kann’s nicht mehr sein.“

      Ziemlich ängstlich stolperten wir vorwärts. Ich dachte, wie gut es doch war, daß meine Mutter nichts von all dem wußte; sie hätte vor Schreck wahrscheinlich einen Herzanfall bekommen. Es genügte schon, daß Kristin und ich Angst hatten. Argwöhnisch lauschten wir auf die fremden Geräusche um uns her. Es knackte und knisterte, es säuselte und rauschte im Unterholz. Ich vergaß vor Anspannung ganz, wie müde ich war.

      „Halt – was war das?“ flüsterte Kristin plötzlich.

      Wir blieben stehen und horchten. Ein seltsames Surren erklang; dann knackte es laut. Und dann… Stille.

      Kristin ließ den Strahl der Taschenlampe umherwandern. Er schwankte auf und nieder, weil ihre Hand so zitterte.

      „Meine armen Nerven!“ sagte ich. „Gibt’s hier wirklich keine Bären mehr?“

      „Unsinn, natürlich nicht.“ Es klang nicht besonders mutig. „Wahrscheinlich schleicht irgendwo eine Wildkatze herum.“

      „Die sollen ziemlich angriffslustig sein, wenn sie Junge haben“, sagte ich.

      „Hör jetzt auf damit, du machst mich ganz krank. Da vorn ist die Wegkreuzung!“

      Der Strahl der Taschenlampe erhellte den Weg vor uns; er sah aus wie ein Tunnel. Und am Ende dieses Tunnels aus Licht und Dunkelheit stand etwas, was ein Wegweiser sein konnte.

      Es war wirklich ein Wegweiser, doch er war so verwittert, daß die Schrift nicht mehr zu entziffern war. Wir wandten uns nach links, fielen um ein Haar über eine Wurzel, die wie eine Fußangel aus der Erde ragte, und sahen endlich zu unserer großen Erleichterung ein Licht zwischen den Bäumen schimmern.

      „Wirklich genau wie in Hänsel und Gretel“, sagte ich. „Hoffentlich bleibt uns wenigstens die Hexe erspart.“

      Kristin kicherte unsicher. Wieder raschelte es irgendwo in unserer Nähe, als würde sich ein Grizzlybär im Laub wälzen. Ich war richtig glücklich, als wir endlich ein schmiedeeisernes Tor erreichten und im Hintergrund das Pfarrhaus mit der überdachten Vortreppe sahen. Eine Lampe brannte über der Eingangstür, und im Erdgeschoß war ein Fenster


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