Unheimlich. Ursula Isbel-Dotzler
schwer gegen die Scheiben. Irgendwo klapperte ein Fensterladen. Das schmiedeeiserne Gartentor ächzte und quietschte in den Angeln wie eine arme Seele in höchster Pein.
Der Donner grollte und krachte immer lauter. Ich zog mir die Bettdecke über den Kopf und dachte: Wenn jetzt ein Blitz ins Pfarrhaus einschlägt, ist alles aus! Dann gab es einen ohrenbetäubenden Knall. Ich kniff die Augen fest zu und steckte mir die Finger in die Ohren.
Plötzlich spürte ich eine Bewegung über mir. Jemand zog mir die Bettdecke weg. Eine Hand berührte mein Gesicht.
Ich erschrak so, daß ich keinen Laut hervorbrachte. Immerhin schaffte ich es, die Finger aus den Ohren zu nehmen und die Hand in wilder Panik wegzustoßen.
„Frankie!“ flüsterte eine Stimme. Es war Kristin. „Hast du das Krachen gehört?“
Ich setzte mich im Bett auf. Mir war ganz schwach vor Erleichterung. „Und ob ich’s gehört habe!“ krächzte ich. „Steht das Haus noch?“
Kristin kicherte. „Ich denke schon“, sagte sie. Dann krachte es wieder.
„Hast du gesehen, ob ein Blitzableiter auf dem Haus ist?“ fragte ich nach einer Weile.
„Nein“, sagte Kristin. „Aber ich denke schon. So was hat doch heutzutage jeder.“
Ich legte mich zurück, und Kristin kroch wieder in ihr Bett. Eine Weile lagen wir still da. Es brauste und rauschte, krachte und johlte ums Haus wie in einem Hexenkessel. Das ist fast so schlimm wie Spuk! ging es mir durch den Sinn.
„In so einer Nacht haben sie früher bestimmt geglaubt, daß die Hexen los sind“, sagte Kristin wie ein Echo auf meine Gedanken. Ihre Stimme klang plötzlich nicht mehr so mutig und ausgelassen wie sonst.
„Sieh mal aus dem Fenster, vielleicht fliegt eine auf ihrem Besen vorbei!“ sagte ich mit einem schwachen Versuch, Galgenhumor zu zeigen.
Kristin lachte zitternd. Dann aber verstummte sie unvermittelt und zischte: „Pssst!“
Ich hob den Kopf und lauschte. Mitten in all dem Getöse vernahm ich ein Tappen und Schlurfen draußen auf dem Flur vor unserem Zimmer – und das Geräusch kam näher…
Ich dachte: Wenn das so weitergeht, überlebe ich diese Nacht nicht!
Dann klopfte jemand an unsere Tür. Ich hatte so ein Gefühl, als würde das Blut in meinen Adern stocken, so wie es immer in Romanen heißt. Kristin fuhr im Bett hoch. Im Licht eines aufzukkenden Blitzes sah ich sekundenlang ihr Gesicht und ihr wirres Haar. Ihre Augen waren weit aufgerissen.
„Hast du das gehört?“ wisperte sie.
„Ja“, zischte ich zurück. „Mach nicht auf!“
„Vielleicht ist’s der Schweinepastor“, flüsterte Kristin hysterisch. „Der Pastor mit dem Kopf unter dem Arm!“
Obwohl ich genau wußte, daß das Unsinn war, mußte ich mich doch zwingen, nicht aufzuschreien. Ich starrte in die Dunkelheit, die dem Blitz folgte, und dachte: Der Teufel soll mich holen, wenn ich noch mal freiwillig in so einem alten Haus Ferien mache. Der Teufel soll mich holen, wenn…
Wieder klopfte es, diesmal lauter. Dann rief eine Stimme: „Hallo, Mädchen! Ist alles in Ordnung mit euch?“
Es war Professor Zetterlund. Zum zweitenmal in dieser Nacht wurde mir ganz schwach vor Erleichterung. Kristin sprang aus dem Bett, machte Licht und öffnete die Tür.
Ihr Vater stand im Morgenmantel auf der Schwelle, mit zerzausten Haaren und Filzpantoffeln. Ohne seine Brille sah er seltsam jung und hilflos aus, gar nicht wie ein würdevoller Professor. Er blinzelte wie ein verirrter Vogel ins Licht und sagte: „Ihr habt doch sicher auch nicht schlafen können, wie?“
„Nein“, sagte Kristin. „Der Krach könnte Tote aufwecken.“
Manchmal wäre es mir wirklich lieber gewesen, sie hätte sich nicht so deutlich ausgedrückt.
Ihr Vater erwiderte: „Hoffentlich habt ihr euch nicht gefürchtet? Ich wollte mal nachsehen, ob ihr auch in Ordnung seid.“
„Natürlich haben wir uns nicht gefürchtet“, schwindelte Kristin. „Wir haben’s lustig gefunden, was, Frankie?“
„Sehr lustig“, sagte ich. „Haha!“
Professor Zetterlund warf mir einen verwirrten Blick zu. „Ein derartiges Unwetter habe ich hier noch nie erlebt“, sagte er. „Hoffentlich ist der Blitzableiter noch in Ordnung. Ich habe mich leider nie darum gekümmert. Mit solchen Sachen kenne ich mich nicht aus.“ Er fuhr sich mit den Fingerspitzen durch die Haare, daß sie noch wilder nach allen Seiten abstanden. „Wenn ihr wollt, könnt ihr mit mir in mein Arbeitszimmer kommen, dann trinken wir etwas auf den Schrecken. Einen Sherry vielleicht, das beruhigt.“
„Gute Idee“, sagte Kristin.
Auch ich war froh über Professor Zetterlunds Vorschlag. Wahrscheinlich mochte er ganz einfach in dieser schrecklichen Nacht nicht allein sein. Auch Erwachsene sind nicht immer so stark und mutig, wie man sie sich vorstellt oder wünscht.
Wir zogen unsere Bademäntel an und folgten Kristins Vater den Flur entlang und die Treppe hinunter. Der Regen prasselte gegen die Fensterscheiben. Die Zweige eines Baumes scharrten wie Finger über das Glas. Der Wind blies durch sämtliche Fugen, so daß die Flurlampe leicht im Luftzug schwankte.
Als wir an dem großen Spiegel in der Halle vorüberkamen, erhaschte ich einen Blick auf mein bleiches Gesicht. Meine braunen Augen starrten mich verängstigt aus dem fleckigen Glas an, und die dunklen Haare fielen mir ins Gesicht. Ich sah aus wie eine Zigeunerin.
„Ich glaube, das Schlimmste ist vorüber“, sagte Professor Zetterlund über die Schulter. „Wenn der Regen richtig einsetzt, gehen kaum noch Blitze nieder.“
Ich hoffte, daß er recht hatte; doch als wir ins Arbeitszimmer kamen, sahen wir hinter den Fenstern noch immer ferne Blitze zucken. Im Garten war ein junger Baum umgestürzt.
„Was für eine Nacht!“ sagte Kristins Vater. Wir setzten uns in die großen Ledersessel. Der milde Schein der Arbeitslampe auf dem Schreibtisch wirkte anheimelnd und beruhigend.
Professor Zetterlund brachte Decken, in die wir uns einwickelten, und ging dann in den Keller, um eine Flasche Sherry zu holen. Ich sah mich in seinem Arbeitszimmer um. Es war das erstemal, daß ich es betreten hatte. An den Wänden hingen große Fotos von Ausgrabungsstücken – alten Ringen und Spangen, Vasen und Münzen. Der Schreibtisch war unter einem Wust von Papier kaum noch zu sehen. Ich fragte mich, wie sich der Professor in dem Berg von Papieren, Büchern, Schriftstücken und Briefen zurechtfand.
„Immer noch die gleiche alte Schreibmaschine!“ sagte Kristin und deutete kopfschüttelnd auf ein Tischchen am Fenster. „Auf der hab ich schon herumgehackt, als ich noch ein Knirps war.“
Ihr Vater kam mit dem Sherry und drei Gläsern auf einem Tablett zurück, und sie fügte hinzu: „Daß du dir keine elektrische Schreibmaschine kaufst, Vater!“
Er suchte zwischen den Büchern und Papieren nach einem Platz, um das Tablett abzustellen. „Wieso? Das alte Ding da hilft mir beim Denken“, sagte er fast liebevoll.
„Was schreibst du denn gerade?“ fragte Kristin.
„Ein Buch über die Wikingerfunde in Gotland.“ Er ließ sich im Sessel hinter seinem Schreibtisch nieder, und wir tranken vom Sherry. „Das waren Ausgrabungen an einer uralten Siedlungsstätte. Wir haben bedeutende Funde gemacht.“ Er stockte. „Leider hatten wir Pech. Die kostbarsten Stücke sind gestohlen worden.“
„Gestohlen?“ wiederholte ich.
„Ja“, sagte der Professor. „Während der Ausgrabungsarbeiten hatten wir die wichtigsten Fundstücke im Raum einer Baubaracke verwahrt, der verschlossen und bewacht war. Eines Tages fanden wir den Wächter bewußtlos vor. Man hatte ihn niedergeschlagen, die Tür aufgebrochen und die Fundstücke gestohlen.“