Nachtstücke - 2. Teil. E.T.A. Hoffmann
dem Hause den Rücken kehrte, angebracht war. Schnell sprang ich in die Allee, und mich über die Lehne der Bank wegbeugend, konnt’ ich nun ungestört nach dem verhängnisvollen Fenster schauen. Ja! Sie war es, das anmutige holdselige Mädchen, Zug für Zug! — Nur schien ihr Blick ungewiss. — Nicht nach mir, wie es vorhin schien, blickte sie, vielmehr hatten die Augen etwas Totstarres, und die Täuschung eines lebhaft gemalten Bildes wäre möglich gewesen, hätten sich nicht Arm und Hand zuweilen bewegt. Ganz versunken in den Anblick des verwunderlichen Wesens an Fenster, das mein Innerstes so seltsam aufregte, hatte ich nicht die quäkende Stimme des italienischen Tabulettkrämers gehört, der mir vielleicht schon lange unaufhörlich seine Waren anbot. Er zupfte mich endlich am Arm; schnell mich umdrehend, wies ich ihn ziemlich hart und zornig ab. Er liess aber nicht nach mit Bitten und Quälen. Noch gar nichts habe er heute verdient, nur ein paar Bleifedern, ein Bündelchen Zahnstocher möge ich ihm abkaufen. Voller Ungeduld, den Überlästigen nur geschwind los zu werden, griff ich in die Tasche nach dem Geldbeutel. Mit den Worten: „Auch hier hab’ ich noch schöne Sachen!“ zog er den untersten Schub seines Kastens heraus und hielt mir einen kleinen runden Taschenspiegel, der in dem Schub unter anderen Gläsern lag, in kleiner Entfernung seitwärts vor. — Ich erblickte das öde Haus hinter mir, das Fenster und in den schärfsten deutlichsten Zügen die holde Engelsgestalt meiner Vision. — Schnell kaufť ich den kleinen Spiegel, der mir es nun möglich machte, in bequemer Stellung, ohne den Nachbarn aufzufallen, nach dem Fenster hinzuschauen. — Doch, indem ich nun länger und länger das Gesicht im Fenster anblickte, wurd’ ich von einem seltsamen, ganz unbeschreiblichen Gefühl, das ich beinahe waches Träumen nennen möchte, befangen. Mir war es, als lähme eine Art Starrsucht nicht sowohl mein ganzes Regen und Bewegen als vielmehr nur meinen Blick, den ich nun niemals mehr würde abwenden können von dem Spiegel. Mit Beschämung muss ich euch bekennen, dass mir jenes Ammenmärchen einfiel, womit mich in früher Kindheit meine Wartfrau augenblicklich zu Bette trieb, wenn ich mich etwa gelüsten liess, abends vor dem grossen Spiegel in meines Vaters Zimmer stehenzubleiben und hineinzugucken. Sie sagte nämlich, wenn Kinder nachts in den Spiegel blickten, gucke ein fremdes garstiges Gesicht heraus, und der Kinder Augen blieben dann erstarrt stehen. Mir war das ganz entsetzlich graulich, aber in vollem Grausen konnt’ ich doch oft nicht unterlassen, wenigstens nach dem Spiegel hinzublinzeln, weil ich neugierig war auf das fremde Gesicht. Einmal glaubt’ ich ein Paar grässliche glühende Augen aus dem Spiegel fürchterlich herausfunkeln zu sehen, ich schrie auf und stürzte dann ohnmächtig nieder. In diesem Zufall brach eine langwierige Krankheit aus, aber noch jetzt ist es mit, als hätten jene Augen mich wirklich angefunkelt. — Kurz, alles dieses tolle Zeug aus meiner frühen Kindheit fiel mir ein, Eiskälte bebte durch meine Adern — ich wollte den Spiegel von mir schleudern — ich vermocht’ es nicht — nun blickten mich die Himmelsaugen der holden Gestalt an — ja, ihr Blick war auf mich gerichtet und strahlte bis ins Herz hinein. — Jenes Grausen, das mich plötzlich ergriffen, liess von mir ab und gab Raum dem wonnigen Schmerz süsser Sehnsucht, die mich mit elektrischer Wärme durchglühte. „Sie haben da einen niedlichen Spiegel,“ sprach eine Stimme neben mir. Ich erwachte aus dem Traum und war nicht wenig betroffen, als ich neben mir von beiden Seiten mich zweideutig anlächelnde Gesichter erblickte. Mehrere Personen hatten auf derselben Bank Platz genommen, und nichts war gewisser, als dass ich ihnen mit dem starren Hineinblicken in den Spiegel und vielleicht auch mit einigen seltsamen Gesichtern, die ich in meinem exaltierten Zustande schnitt, auf meine Kosten ein ergötzliches. Schauspiel gegeben. „Sie haben da einen niedlichen Spiegel,“ wiederholte der Mann, als ich nicht antwortete, mit einem Blick, der jener Frage noch hinzufügte: „Aber sagen Sie mir, was soll das wahnsinnige Hineinstarren, erscheinen Ihren Geister?“ usw. Der Mann, schon ziemlich hoch in Jahren, sehr sauber gekleidet, hatte im Ton der Rede, im Blick etwas ungemein Gutmütiges und Zutrauen Erweckendes. Ich nahm gar keinen Anstand, ihm geradehin zu sagen, dass ich im Spiegel ein wundervolles Mädchen erblickt, das hinter mir im Fenster des öden Hauses gelegen. — Noch weiter ging ich, ich fragte den Alten, ob er nicht auch das holde Antlitz gesehen. „Dort drüben? — in dem alten Hause — in dem letzten Fenster?“ so fragte mich nun wieder ganz verwundert der Alte. „Allerdings, allerdings,“ sprach ich; da lächelte der Alte sehr und sing an: „Nun, das ist doch eine wunderliche Täuschung — nun, meine alten Augen — Gott ehrte mir meine alten Augen. Ei ei, mein Herr, wohl habe ich mit unbewaffnetem Auge das hübsche Gesicht dort im Fenster gesehen, aber es war ja ein, wie es mir schien, recht gut und lebendig in Öl gemaltes Porträt.“ Schnell drehte ich mich um nach dem Fenster, alles war verschwunden, die Jalousie heruntergelassen. „Ja!“ fuhr der Alte fort, „ja, mein Herr, nun ist’s zu spät, sich davon zu überzeugen, denn eben nahm der Bediente, der dort, wie ich weiss, als Kastellan das Absteigequartier der Gräfin von S. ganz allein bewohnt, das Bild, nachdem er es abgestäubt, vom Fenster fort und liess die Jaloufie herunter.“ „War es denn gewiss ein Bild?“ fragte ich nochmals ganz bestürzt. „Trauen Sie meinen Augen,“ erwiderte der Alte. „Dass Sie nur den Reflex des Bildes im Spiegel sahen, vermehrte gewiss sehr die optische Täuschung und — wie ich noch in Ihren Jahren war, hätt’ ich nicht auch das Bild eines schönen Mädchens kraft meiner Phantasie ins Leben gerufen?“ „Aber Hand und Arm bewegten sich doch,“ fiel ich ein. „Ja, ja, sie regten sich, alles regte sich,“ sprach der Alte lächelnd und sanft mich auf die Schulter klopfend. Dann stand er auf und verliess mich, höflich sich verbeugend, mit den Worten: „Nehmen Sie sich doch vor Taschenspiegeln in acht, die so hässlich lügen. — Ganz gehorsamster Diener.“ — Ihr könnt denken, wie mir zummte war, als ich mich so als einen törichten, blödsichtigen Phantasten behandelt sah. Mir kam die Überzeugung, dass der Alte recht hatte, und dass nur in mir selbst das tolle Gaukelspiel aufgegangen, das mich mit dem öden Hause, zu meiner eigenen Beschämung, so garstig mystisizierte.
Ganz voller Unmut und Verdruss lief ich nach Hause, fest entschlossen, mich ganz loszusagen von jedem Gedanken an die Mysterien des öden Hauses und wenigstens einige Tage hindurch die Allee zu vermeiden. Dies hielt ich treulich, und kam noch hinzu, dass mich den Tag über dringend gewordene Geschäfte am Schreibtisch, an den Abenden aber geistreiche fröhliche Freunde in ihrem Kreise festhielten, so musst’ es wohl geschehen, dass ich beinahe gar nicht mehr an jene Geheimnisse dachte. Nur begab es sich in dieser Zeit, dass ich zuweilen aus dem Sclaf auffuhr, wie plötzlich durch äussere Berührung geweckt, und dann war es mir doch deutlich, dass nur der Gedanke an das geheimnisvolle Wesen, das ich in meiner Vision und in dem Fenster des öden Hauses erblickt, mich geweckt hatte. Ja selbst während der Arbeit, während der lebhaftesten Unterhaltung mit meinen Freunden durch fuhr mich oft plötzlich, ohne weiteren Anlass, jener Gedanke wie ein elektrischer Blitz. Doch waren dies nur schnell vorübergehende Momente. Den kleinen Taschenspiegel, der mir so täuschend das anmutige Bildnis reflektiert, hatte ich zum prosaischen Hausbedarf bestimmt. Ich pflegte mir vor demselben die Halsbinde festzuknüpfen. So geschah es, dass er mir, als ich einst dies wichtige Geschäft abtun wollte, blind schien, und ich ihn nach bekannter Methode anhauchte, um ihn dann hell zu polieren. — Alle meine Pulse stockten, mein Innerstes bebte vor wonnigem Grauen! — ja, so muss ich das Gefühl nennen, das mich übermannte, als ich, sowie mein Hauch den Spiegel überlief, im bläulichen Nebel das holde Antlitz sah, das mich mit jenem wehmütigen, das Herz durchbohrenden Blick anschaute! — Ihr lacht? — Ihr seid mit mir fertig, ihr haltet mich für einen unheilbaren Träumer, aber sprecht, denkt, was ihr wollt, genug, die Holde blickte mich an aus dem Spiegel, aber sowie der Hauch zerrann, verschwand das Gesicht in dem Funkeln des Spiegels. — Ich will euch nicht ermüden, ich will euch nicht herzählen alle Momente, die sich, einer aus dem andern, entwickelten. Nur so viel will ich sagen, dass ich unaufhörlich die Versuche mit dem Spiegel erneuerte, dass es mir oft gelang, das geliebte Bild durch meinen Hauch hervorzurufen, dass aber manchmal die angestrengtesten Bemühungen ohne Erfolg blieben. Dann rannte ich wie wahnsinnig auf und ab vor dem öden Hause und starrte in die Fenster, aber kein menschliches Wesen wollte sich zeigen. — Ich lebte nur in dem Gedanken an sie, alles übrige war abgestorben für mich, ich vernachlässigte meine Freunde, meine Studien. — Dieser Zustand, wollte er in milderen Schmerz, in träumerische Sehnsucht übergeben, ja, schien es, als wolle das Bild an Leben und Kraft verlieren, wurde oft bis zur höchsten Spitze gesteigert durch Momente, an die ich noch jetzt mit tiefem Entsetzen denke. — Da ich von einem Seelenzustand rede, der mich hätte ins Verderben stürzen können, so ist für euch, ihr Ungläubigen, da nichts zu belächeln und zu bespötteln, hört