Nachtstücke - 2. Teil. E.T.A. Hoffmann
zu nehmen als eben nur für Andeutungen, denen ich noch hinzufüge, dass ich keineswegs an unbedingte Herrschaft eines geistigen Prinzips über das andere glauben, sondern vielmehr annehmen will, dass entweder irgendeine Abhängigkeit, Schwäche des inneren Willens, oder eine Wechselwirkung stattfinden muss, die jener Herrschaft Raum gibt.“ „Nun erst,“ fing ein ältlicher Mann an, der solange geschwiegen und nur aufmerksam zugehört, „nun erst kann ich mich mit Ihren seltsamen Gedanken über Geheimnisse, die uns verschlossen bleiben sollen, einigermassen befreunden. Gibt es geheimnisvolle tätige Kräfte, die mit bedrohlichen Angriffen auf uns zutreten, so kann uns dagegen nur irgendeine Abnormität im geistigen Organismus Kraft und Mut zum sieghaften Widerstande rauben. Mit einem Wort, nur geistige Krankheit — die Sünde macht uns untertan dem dämonischen Prinzip. Merkwürdig ist es, dass von den ältesten Zeiten her die den Menschen im Innersten verstörendste Gemütsbewegung es war, an der sich dämonische Kräfte übten. Ich meine nichts anderes als die Liebesverzauberungen, von denen alle Chroniken voll sind. In tollen Hexenprozessen kommt immer dergleichen vor, und selbst in dem Gesetzbuch eines sehr aufgeklärten Staates wird von den Liebestränken gehandelt, die insofern auch rein psychisch zu wirken bestimmt sind, als sie nicht Liebeslust im allgemeinen erwecken, sondern unwiderstehlich an eine bestimmte Person bannen sollen. Ich werde in diesen Gesprächen an eine tragische Begebenheit erinnert, die sich in meinem eigenen Hause vor weniger Zeit zutrug. Als Bonaparte unser Land mit seinen Truppen überschwemmt hatte, wurde ein Obrister von der italienischen Nobelgarde bei mir einquartiert. Er war einer von den wenigen Offizieren der sogenannten Grossen Armee, die sich durch ein stilles, bescheidenes, edles Betragen auszeichneten. Sein todbleiches Gesicht, seine düsteren Augen zeugten von Krankheit oder tiefer Schwermut. Nur wenige Tage war er bei mir, als sich auch der besondere Zufall kundtat, von dem er behaftet. Eben befand ich mich auf seinem Zimmer, als er plötzlich mit tiefen Seufzern die Hand auf die Brust, oder vielmehr auf die Stelle des Magens legte, als empfinde er tödliche Schmerzen. Er konnte bald nicht mehr sprechen, er war genötigt, sich in das Sofa zu werfen, dann aber verloren plötzlich seine Augen die Sehkraft und er erstarrte zur bewusstlosen Bildsäule. Mit einem Kuck, wie aus dem Traume auffahrend, erwachte er endlich, aber vor Mattigkeit konnte er mehrere Zeit hindurch sich nicht regen und bewegen. Mein Arzt, den ich ihm sandte, behandelte ihn, nachdem andere Mittel fruchtlos geblieben, magnetisch, und dies schien zu wirken; wiewohl der Arzt bald davon ablassen musste, da er selbst beim Magnetisieren des Kranken von einem unerträglichen Gefühl des Übelseins ergriffen wurde. Er hatte übrigens des Obristen Zutrauen gewonnen, und dieser sagte ihm, dass in jenen Momenten sich ihm das Bild eines Frauenzimmers nahe, die er in Pisa gekannt; dann würde es ihm, als wenn ihre glühenden Blicke in sein Inneres führen, und er fühle die unerträglichsten Schmerzen, bis er in völlige Bewusstlosigkeit versinke. Aus diesem Zustande bleibe ihm ein dumpfer Kopfschmerz und eine Abspannung, als habe er geschwelgt im Liebesgenuss zurüct. Nie liess er sich über die näheren Verhältnisse aus, in denen er vielleicht mit jenem Frauenzimmer stand. Die Truppen sollten aufbrechen, gepackt stand der Wagen des Obristen vor der Tür, er frühstückte, aber in dem Augenblicke, als er ein Glas Madera zum Munde führen wollte, stürzte er mit einem dumpfen Schrei vom Stuhle herab. Er war tot. Die Ärzte fanden ihn vom Nervenschlag getroffen. Einige Wochen nachher wurde ein an den Obristen adressierter Brief bei mir abgegeben. Ich hatte gar kein Bedenken, ihn zu öffnen, um vielleicht ein Näheres von den Verwandten des Obristen zu erfahren und ihnen Nachricht von seinem plötzlichen Tode geben zu können. Der Brief kam von Pisa und enthielt ohne Unterschrift die wenigen Worte: ,Unglückseliger! Heute am 7. — um zwölf Uhr mittag sank Antonia, dein trügerisches Abbild mit liebenden Armen umschlingend, tot nieder!’ — Ich sah den Kalender nach, in dem ich des Obristen Tod angemerkt hatte, und fand, dass Antonias Todesstunde auch die seinige gewesen.“ — Ich hörte nicht mehr, was der Mann noch seiner Geschichte hinzusetzte; denn in dem Entsetzen, was mich ergriffen, als ich in des italienischen Obristen Zustand den meinigen erkannte, ging mit wütendem Schmerz eine solche wahnsinnige Sehnsucht nach dem unbekannten Bilde auf, dass ich davon überwältigt aufspringen und hineilen musste nach dem verhängnisvollen Hause. Es war mir in der Ferne, als säh’ ich Lichter blitzen durch die festverschlossenen Jalousien, aber der Schein verschwand, als ich näher kam. Rasend vor dürstendem Liebesverlangen stürzte ich auf die Tür; sie wich meinem Druck, ich stand auf dem matt erleuchteten Hausflur, von einer dumpfen, schwülen Luft umfangen. Das Herz pochte mir vor seltsamer Angst und Ungeduld, da ging ein langer, schneidender, aus weiblicher Kehle strömender Ton durch das Haus, und ich weiss selbst nicht, wie es geschah, dass ich mich plötzlich in einem mit vielen Kerzen hellerleuchteten Saale befand, der in altertümlicher Pracht mit vergoldeten Möbeln und seltsamen japanischen Gefässen verziert war. Starkduftendes Räucherwerk wallte in blauen Nebelwolken auf mich zu. „Willkommen — willkommen, süsser Bräutigam — die Stunde ist da, die Hochzeit nah!“ — So rief laut und lauter die Stimme eines Weibes, und ebensowenig, als ich weiss, wie ich plötzlich in den Saal kam, ebensowenig vermag ich zu sagen, wie es sich begab, dass plötzlich aus dem Nebel eine hohe jugendliche Gestalt in reichen Kleidern hervorleuchtete. Mit dem wiederholten gellenden Ruf: „Willkommen, süsser Bräutigam;“ trat sie mit ausgebreiteten Armen mir entgegen — und ein gelbes, von Alter und Wahnsinn grässlich verzerrtes Antlitz starrte mir in die Augen. Von tiefem Entsetzen durchbebt, wankte ich zurück; wie durch den glühenden, durchbohrenden Blick der Klapperschlange festgezaubert, konnte ich mein Auge nicht abwenden von dem greulichen alten Weibe, konnte ich keinen Schritt weiter mich bewegen. Sie trat näber auf mich zu, da war es mir, als sei das scheussliche Gesicht nur eine Maske von dünnem Flor, durch den! die Züge jenes holden Spiegelbildes durchblickten. Schon fühlt’ ich mich von den Händen des Weibes berührt, als sie laut aufkreischend vor mir zu Boden sant und hinter mir eine Stimme rief: „Hu hu! — treibt schon wieder der Teufel sein Bocksspiel mit Euer Gnaden; zu Bette, zu Bette, meine Gnädigste, sonst setzt es Hiebe, gewaltige Hiebe!“ — Ich wandte mich rasch um und erblickte den alten Hausverwalter im blossen Hemde, eine tüchtige Peitsche über dem Haupte schwingend. Er wollte losschlagen auf die Alte, die sich heulend am Boden krümmte. Ich fiel ihm in den Arm, aber mich von sich schleudernd rief er: „Donnerwetter, Herr, der alte Satan hätte Sie ermordet, kam ich nicht dazwischen — fort, fort, fort.“ — Ich stürzte zum Saal hinaus, vergebens sucht’ ich in dicker Finsternis die Tür des Hauses. Nun hörť ich die zischenden Hiebe der Peitsche und das Jammergeschrei der Alten. Laut wollte ich um Hilfe rufen, als der Boden unter meinen Füssen schwand; ich fiel eine Treppe hinab und traf auf eine Tür so hart, dass sie aufsprang und ich der Länge nach in ein kleines Zimmer stürzte. An dem Bette, das jemand soeben verlassen zu haben schien, an dem kaffeebraunen, über einen Stuhl gehängten Rock musste ich augenblicklich die Wohnung des alten Hausverwalters erkennen. Wenige Augenblicke nachher polterte es die Treppe herab, der Hausverwalter stürzte herein und hin zu meinen Füssen. „Um aller Seligkeit willen,“ flehte er mit aufgehobenen Händen, „um aller Seligkeit willen, wer Sie auch sein mögen, wie der alte gnädige Hexensatan Sie auch hierher gelockt haben mag, verschweigen Sie, was hier geschehen, sonst komme ich um Amt und Brot! — Die wahnsinnige Exzellenz ist abgestraft und liegt gebunden im Bette. O, schlafen Sie doch, geehrtester Herr! recht sanft und süss. — Ja ja, das tun Sie doch fein — eine schöne warme Juliusnacht, zwar kein Monodein, aber beglückter Sternenschimmer. — Nun ruhige, glückliche Nacht.“ — Unter diesen Reden war der Alte aufgesprungen, hatte ein Licht genommen, mich herausgebracht aus dem Souterrain, mich zur Tür hinausgeschoben und diese fest verschlossen. Ganz verstört eilt’ ich nach Hause, und ihr könnt wohl denken, dass ich, zu tief von dem grauenvollen Geheimnis ergriffen, auch nicht den mindesten nur wahrscheinlichen Zusammenhang der Sache mir in den ersten Tagen denken konnte. Nur so viel war gewiss, dass, hielt mich so lange ein böser Zauber gefangen, dieser jetzt in der Tat von mir abgelassen hatte. Alle schmerzliche Sehnsucht nach dem Zauberbild in dem Spiegel war gewichen, und bald gemahnte mich jener Auftritt im öden Gebäude wie das unvermutete Hineingeraten in ein Tollhaus. Dass der Hausverwalter zum tyrannischen Wächter einer wahnsinnigen Frau von vor nehmer Geburt, deren Zustand vielleicht der Welt verborgen bleiben sollte, bestimmt worden, daran war nicht zu zweifeln, wie aber der Spiegel — das tolle Zauberwesen überhaupt — doch weiter — weiter!
Später begab es sich, dass ich in zahlreicher Gesellschaft den Grafen P. fand, der mich in eine Ecke zog und lachend sprach: „Wissen Sie wohl, dass sich die Geheimnisse unseres öden Hauses zu enthüllen anfangen?“ Ich horchte hoch auf, aber indem der