Dan Henry - Im Wilden Westen. Stig Ericson

Dan Henry - Im Wilden Westen - Stig Ericson


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– jetzt schien er besser gelaunt; vielleicht wollte er die Sache mit dem verkehrten Bahnhof etwas vertuschen. Ich ging hin und berührte den Felsbrocken. Er war genauso hoch wie ich.

      „Komm, wir klettern hinauf“, schlug ich vor.

      „Wozu denn?“ wollte Martin wissen.

      Aber dann folgte er mir doch hinauf, und als wir da oben in dem nächtlich glitzernden Wald standen, fühlte ich mich plötzlich auf unerklärliche Weise mächtig und begann in übertriebenem südschwedischem Dialekt zu predigen:

      „Und da sprach Jesus zu seinen Jüngern und sagte, daß die Füße des heiligen Martin gewißlich wund seien ...“

      Martin kicherte, doch dann wurde er unruhig und sagte, daß wir nicht zu spät zu Onkel Kalle kommen dürften.

      „Heute oder morgen ... was spielt das schon für eine Rolle!“

      Jetzt war ich übermütig wie ein Kind.

      „Er hat doch gar kein settlement mehr“, sagte ich. „Das ist doch abgebrannt.“

      „Halt’s Maul!“

      Martin schob sein Kinn vor und versetzte mir einen harten Stoß mit dem Ellenbogen.

      Ich stieß zurück – eine Prügelei schien unvermeidlich.

      „Paß auf, du ...“

      Wir fluchten und rangen miteinander, bis Martin vom Stein hinunterkletterte und davonging.

      „Jetzt hast du gar keinen reichen Onkel mehr, zu dem du kommen kannst!“ rief ich hinter ihm her. „Aber dann kannst du ja in deiner Amerikakiste hausen!“

      Er antwortete nicht, drehte sich auch nicht um. Nach einer Weile war er hinter den Bäumen verschwunden.

      Allein im Wald mit brennenden Wangen. Schwaches Sausen in den Bäumen und gelbes Laub, das vorbeitrieb. Ich dachte an die düsteren Tage in Hull zurück, als noch alles ungewiß war, als ich noch keinen Vertrag hatte, und als ich durch die schummrigen Gassen streifte.

      Es war finster damals, trotzdem hatte ich noch etwas, worauf ich hoffen konnte. Aber jetzt ...

      Ich mußte Martin einholen. Ich war nicht stark genug, allein zu sein, die Angst und Unruhe fernzuhalten. Noch nicht.

      Rasch ging ich die mit Laub gefüllten Radspuren entlang und schämte mich meiner Schwäche. Die feuchte Erde dampfte im Mondschein. Inzwischen war es sehr dunkel geworden, und der Wald war voller Geräusche – das plötzliche Auffliegen eines Vogels, raschelndes Laub und dann etwas anderes, Schweres ... ich wußte nicht was.

      Ich blieb stehen. Die Dunkelheit kreiste mich ein. Phantasiebilder. Erinnerungen ...

      ... Der Zug rumpelt über die Ebene. Ein paar Bierflaschen rollen auf dem Boden unter den Sitzen hin und her, und das Gespräch dreht sich um Indianer, um den Hungeraufstand in Minnesota im Herbst 62. Einer sagt, er habe mit eigenen Augen gesehen, wie sich die Indianer auf einen seiner Verwandten stürzten, einen alten Mann, der nicht so schnell wie die anderen davonrennen konnte. Wie einer der Rothäute tanzte und heulte, und dann dem Alten seine Streitaxt in den Schädel hieb – und dann skalpierte und dann ...

      Als ich so in der Dunkelheit dastand und an Indianer dachte, fürchtete ich mich sehr, und ich vermeinte, jemand rechts zwischen den Stämmen herumschleichen zu hören.

      Oder – war es nur Einbildung? Plötzlich war alles still, ich hörte nur noch die natürlichen Geräusche des Waldes.

      Ich wagte immer noch nicht, mich zu bewegen. Nein, es war doch keine Einbildung! Jetzt hörte ich es ganz deutlich: Schritte und sie kamen näher.

      Ich duckte mich und starrte in die Dunkelheit hinein, ich war davon überzeugt, daß sich tatsächlich etwas zwischen den Stämmen bewegte.

      3

      Rauchgeruch

      Die Ereignisse blitzten in Sekundenschnelle vor mir auf.

      Ein erstickter, schriller Schrei, Knurren, schnelle Bewegungen im Laub, ein helles Aufleuchten – und dann tiefes Schweigen.

      Kämpfende Tiere ...

      Ich blieb noch lange geduckt sitzen, bevor ich aufzustehen wagte. Auch jetzt noch saß mir das Gefühl im Nacken, daß mir etwas in der Dunkelheit zwischen den Stämmen auflauerte; langsam schlich ich davon. Dann ging ich schneller und schneller und schließlich rannte ich. Meine Tasche schlug gegen mein Bein, während ich den nassen Weg entlangstolperte.

      Nach einiger Zeit sah ich Lichter, und hinter den Bäumen zu meiner Linken glänzten Eisenbahnschienen. Ich war in die Nähe des Dorfes gekommen, das der Mann mit den Äderchen erwähnt hatte – Dundas. Ich hörte auf zu rennen, versuchte mich zusammenzunehmen.

      „Aha, jetzt kommst du also.“

      Martin stand von einem umgestürzten Baum am Wegrand auf. Er trat auf den Weg und wartete mit dem Rücken zu mir. Vermutlich hatte ich die ganze Zeit geahnt, daß wir uns wieder treffen würden, jetzt versuchte ich, die Erinnerung an meine Angst vor der Dunkelheit und Einsameit zu verdrängen. Zusammen gingen wir jetzt auf die Lichter zu.

      „Wie hieß doch dieses Dorf hier, weißt du’s noch?“ fragte ich.

      Martin antwortete nicht.

      „Gut, daß es nicht mehr regnet. Aber kalt ist es immer noch ...“

      Ich wollte ein Gespräch mit ihm anfangen, aber Martin schwieg beharrlich, während wir uns der Ortschaft Dundas näherten. Es roch nach Stall, und Martin blieb an einem Zaun am Rande des Weges stehen.

      Hinter dem Zaun weideten ziemlich viele Pferde, und eines der Pferde kam zu uns her und streckte den Kopf über den Zaun. Martin streichelte ihm die Stirn und reichte ihm etwas von dem dünnen gelben Gras am Wegrand. Das Pferd kaute zufrieden und schnaubte, noch weitere Pferde kamen und drängten ihre Köpfe über den Zaun.

      „Siehst du wohl“, sagte Martin, als wir weitergingen. Wir kamen in die Ortschaft hinein. Mehrere Fenster waren erleuchtet. Hunde bellten. Wir kamen an einer Schenke vorbei, in der gesungen und gelacht wurde. Eine alte Frau stand in der Türöffnung und sah uns nach, und irgendwo murmelte ein Bach.

      Wir gingen rasch, um möglichen Fragen auszuweichen, und hatten bald die Stelle erreicht, wo der Weg nach rechts abbog. Jetzt folgten wir wieder glänzenden Radspuren zwischen dunklem, herbstlichem Wald.

      „Schöne Pferde waren das“, bemerkte ich.

      „Ja, mein Lieber ...“

      Martin liebte Pferde. Das erste, was ich von ihm hörte, als wir uns in dem Zug von Hull nach Liverpool kennenlernten, hatte mit Pferden zu tun.

      „Den ganzen Tag kein einziges Pferd zu sehen bekommen“, hatte er gesagt. „Und hier in England sollen sie doch angeblich so schöne Pferde haben ...

      Jetzt hatte er hier in Minnesota schöne Pferde gesehen, und obwohl er nichts sagte, wußte ich, daß er nicht mehr wütend war. Martin hatte Tiere gern, und nachtragend war er auch nicht. Wir hatten uns schon öfters gestritten, sowohl im Zug als auch während der zehn Tage langen Schiffsreise über den Atlantik ...

      ... Zehn Tage voller Wind und Kälte. Das ewige Schaukeln. Der von Erbrochenem und Schweiß durchsetzte Mief unter Deck; Sturzseen über die Reling, kein trockenes Plätzchen, wo man sich verkriechen konnte. „Wenn ich mit heilem Verstand hier herauskomme, dann bleibe ich für den Rest meines Lebens in Amerika! Lieber sterbe ich, als daß ich das hier noch einmal durchmache ...“

      Der Weg führte in eine Talsenke hinab, zwischen den Bäumen wurde es etwas heller. Der Nebel wogte sachte im Mondlicht. Wir blieben stehen.

      „Müde bin ich jetzt“, sagte ich, „und nasse Füße hab’ ich auch.“

      „Das hab’ ich schon lange“, erklärte Martin; „jedenfalls, so hatte ich’s mir nicht vorgestellt, als ich von daheim abfuhr. Und Hunger hab’ ich, herrje ...“

      Martin


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