Näher zum Himmel oder Fall Karl Simpel. Wilhelm König

Näher zum Himmel oder Fall Karl Simpel - Wilhelm König


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sag doch schon die ganze Zeit die Wahrheit: Punkt für Punkt; es war da ein innerer Befehl, und ich mußte abdrücken, wenn sie das meinen?«

      »Ja, das meine ich.«

      »Aber mehr weiß ich nicht. Haben Sie mir jetzt einen Brei? Einen Löffel hätte ich. Und auch eine Gabel. Das Messer ist noch in der Zelle. Da!« Simpel griff in beide Hosensäcke und legte einen Löffel und eine Gabel auf den Schreibtisch. Der Kommissar fuhr wie von einer Wespe gestochen von seinem Stuhl hoch, auch die Sekretärin erschrak.

      »Wo hast du das her? Was, ein Messer hast du auch? Fräulein Schmidt, rufen Sie an, die sollen sofort nachschauen. Gib die Sachen her.«

      Man hatte Karl nach der Einlieferung hier alles abgenommen: Taschenmesser, Hosenträger, Schuhbändel – Löffel und Gabel gabs mit dem Essen; sie mußten mit dem leeren Teller wieder abgegeben werden. Aber Simpel hatte sie noch; er hatte sie nicht abgegeben oder sie irgendwo mitlaufen lassen.

      »Du darfst die Sachen nicht behalten«, erklärte Maier gutmütig; »du könntest dir damit etwas antun, so wie den zwei Männern.«

      »Damals hatte ich doch ein Gewehr; ich erschieß doch niemand mit einer Gabel oder einem Löffel.«

      Maier faßte nach: »Hast du jemand mit dem Gewehr erschossen?«

      »Ich weiß nicht«, sagte Simpel. Widerstandslos ließ er sich das Besteck abnehmen.

      »Wir machen für heute Schluß, Fräulein Schmidt«, sagte der Kommissar unvermittelt.

      »Isch recht, Herr Maier! Noch des letzschte Täßle Bohnakaffee – vo onsre Sieger?«

      »Aber gern! Des Raucha ischt doch ungesund, wenns jetzt auch wieder Tabak und Zigaretten gibt.«

      »Für Sie!«

      »Für mich?«

      »Jedenfalls net für alle!«

      »Ach so! Jo, das kann stimmen. – Simpel«, wandte sich der Kommissar wieder an den Buben, der regungslos auf seinem Stuhl saß. Er schien nichts zu hören und nichts zu sehen. Doch nun horchte er auf.

      »Ha?«

      »Simpel – wir machen Schluß für heute. Nur noch eine Frage – die habe ich dir schon paarmal gestellt, aber nie hast du mir eine richtige Antwort drauf gegeben: Hast du gewußt, daß der Bürgermeister in der Hütte war?«

      »Ha, des hot doch dr ganz Flecka gwißt! Sie kennet naufganga ond frooga, wenn Se mir et glaubet.«

      »Dann bist du also extra da hingegangen . . .?«

      »Noi.«

      »Was noi?«

      »I bin et extra do nooganga; dui Hütte ischt uff oimol doogschdanda.«

      »Simpel! . . .« Der Kommissar wollte sich grad wieder aufregen, da besann er sich, was er gesagt hatte: nämlich daß für heute Schluß sei. »Gut! I schell jetzt; no kommt jemand ond bringt dich auf dei Zelle. Du kennscht die Leut?«

      »I kenn die Leut; Sie brauchet sich koine Sorga macha.«

      Der Bub wurde geholt. Auch Fräulein Schmidt war gegangen. Der Kommissar war allein im Zimmer und brütete. Dem Simpel ging es gut; er bekam regelmäßig Besuch von seiner Mutter – nicht vom Vater! Der kümmerte sich offenbar nicht um ihn, so wie Karl eines Tages nicht mehr nach ihm fragte. Es war ihm gesagt worden – von seiner Mutter und von anderen –, daß er noch in dem Dorf am Fuße der Schwäbischen Alb lebe, im gleichen Haus, nach der Scheidung im gleichen Jahr, 1948, kurz vor der Tat; er wolle ein Geschäft anfangen, ein Baugeschäft und wohl auch wieder heiraten, und zwar das gleiche Weib, mit der er es schon im Krieg gehabt hat. Draußen an seinen vielen Fronten – hinter der richtigen Front! Die Mutter wohntejetzt mit Karls Schwester beim Ähne und beider Ahna in dem Flecken auf der Höhe. Aber das war kein Zustand auf die Dauer.

      Nein, Karl ging es gut; er bekam genug zu Essen – ohne das, was ihm seine Mutter jedes Mal mitbrachte –, und er durfte auf den Hof runter und kicken: man stelle sich vor, mit einem richtigen Fußball, Lederfußball, den ihm ein Wächter geschenkt hatte, und der kickte auch ab und zu mit ihm. Oder andere.

      In den nächsten Tagen erzählte Simpel wieder:

      Der Laub stall

      So ein schwäbisches Haus besteht ja nicht nur aus Scheuer, Schopf, Kuhstall, Hühnerstall, Kammer, Küche, Stube und Bühne. Außer dem Kuhstall und dem Hühnerstall gibt es auch noch den Laubstall. Wir hatten so einen, und mein Ähne hatte so einen.

      Unser Laubstall lag neben der Waschküche zwischen Hühnerstall und Kuhstall; beide Räume wurden später zu einem Bad und einem zusätzlichen Zimmer umgebaut.

      In diesen Laubstall kam das Stroh und das Laub, das im Frühjahr von den Wiesen abgerecht wurde; auch richtiges Waldlaub – Buchenlaub – war darunter, denn mein Ähne hatte auch eigenen Wald, aus dem wir im Herbst das Laub holten. Nach und nach wanderte dieses Laub und das von den Wiesen abgerechte Stroh in den Kuhstall, wo es den Kühen gestreut wurde. Auf diese Weise wurde es wieder Mist und machte zwei-, dreimal diesen Kreislauf Kuhstall – Laubstall; Laubstall – Kuhstall. Vor nichts habe ich mich in unserem Haus und in dem Haus von meinem Ähne so gefürchtet wie vor dem Laubstall. Da war es immer dunkel, und es hieß, da seien Ratten drin. Aber warum sollten da Ratten drin sein? Bei meinem Ähne war der Laubstall stets bis unter die Decke angefüllt, und man fiel da so weich, wenn man sich da hineinstürzte.

      Ja, wenn man sich verstecken wollte, dann war man im Laubstall am sichersten. Aber es konnte einem auch passieren, daß man die Gabel in den Ranzen gesteckt bekam. Eine Gabel steckte immer im Laub, und wenn einer Stroh holte, dann riß er die Gabel heraus und stach sie wieder hinein. Natürlich machte man das auch so aufdem Heu- und auf dem Strohbahrn. Aber das war etwas anderes. Um auf den Heu- oder Strohbahrn zu kommen, mußte man erst über die Leiter nach oben steigen. Was machte das für einen Unterschied?

      Vielleicht deshalb die Geschichte mit den Ratten? In den Laubstall konnten die Ratten leicht gelangen, da brauchten sie nur durch die Scheuer oder aus dem Garten herein kommen. Aber hatte man schon gesehen, daß Ratten eine Leiter hinaufsteigen konnten? Das mochte es geben und gegeben haben. Doch meine Eltern, mein Ähne und ich hatten es nicht gesehen; das war unser Trost.

      In dem Übergang zwischen Scheuer und Laubstall stand die Futterschneidmaschine, und so vermischten sich in diesem Bereich auch Laub, Heu und Stroh, das vom Bahrn gelassen wurde, im Sommer mit Gras und Klee.

      Ich höre immer noch meine Schwester schreien, die ich einmal in den Laubstall bei uns gesetzt hatte – nur um auszuprobieren, ob es da wirklich Ratten gab: ich würde ja nachher sehen, ob sie meine Schwester angefressen hatten. Aber nichts war passiert. Sie schrie nur so, als ob die Ratten an sie gegangen wären. In solchen Augenblicken wünschte ich mir, daß der Spitzer noch da wäre: ich hätte ihn vorher in den Laubstall geschickt, dann wäre ich nachgekommen. Denn ich hätte, wenn feststand, daß es da keine Ratten gab, nirgends lieber sein wollen als im Laubstall.

      Das Gespensterhaus

      Es gab da noch einen Ort, der nicht nur mir, sondern allen Kindern Angst einjagte. Das war das Gespenster- oder das Hexenhaus in dem Dorf von meinem Ähne.

      Das Haus stand seit ich denken konnte leer, praktisch war es das einzige verfallene Haus im Dorf und zog schon deshalb die Aufmerksamkeit von uns Kindern an.

      Wir sagten Gespenster- oder Hexenhaus dazu, obwohl niemand von uns je ein Gespenst oder eine Hexe darin gesehen hatte.

      Es stand am Rande der Siedlung gegen den Berg; die Bewohner, eine alte Frau und ein alter Mann, waren vor einiger Zeit gestorben, danach wollte niemand mehr hinein.

      Und so wurde ein Fenster um das andere eingeworfen, eine Tür um die andere eingedrückt und Stiege nach Stiege zerschlagen. Das trauten wir uns noch: Fenster und Türen einzuschlagen, weiter mochte keiner von uns gehen. Und so waren schon bald die tollsten


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