Näher zum Himmel oder Fall Karl Simpel. Wilhelm König

Näher zum Himmel oder Fall Karl Simpel - Wilhelm König


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in den Keller, wo die Geister auf ihn warteten.

      Auch wenn viele daran zweifelten – auch ich –, so wollte es doch niemand auf einen Versuch ankommen lassen. Es blieb dabei, daß wir das Haus mit Steinen bombardierten und wußten, daß niemand mehr darin wohnte – außer vielleicht Gespenster und Hexen. Aber um sie war es ja nicht schad, wenn sie von einem Stein getroffen wurden.

      Ich wußte sehr wohl wie Hexen aussahen; unten im Tal waren zwei, ganz in der Nähe von unserem Haus. Das waren zwei altledige Weiber, und zu ihrem Haus sagte man auch Hexenoder Storchenhaus. Das waren zwei hochgewachsene, dürre Damen, die sich aus allem Geschehen im Flecken raushielten und nur in ihrem Haus und von der kleinen Landwirtschaft lebten. So sah man sie öfters mit dem Handwagen oder dem sogenannten Räuberkarren herumfahren. Damit holten sie ihr Gmüs von den Feldern oder Gras und Heu für ihre Geißen.

      Auch diese Weiber haben wir genarrt. Aber das war etwas anderes. Nie haben wir bei ihnen Fenster eingeworfen oder Türen eingeschlagen. Wir haben ihnen auf der Straße höchstens nachgeschrien; aber das war schon gefährlich genug. Denn wer wußte, ob sie uns nicht nachts erschienen: als Hexen und Gespenster. Ihr Haus war ja auch schon so eingerichtet: schmal und von der Straße etwas zurückversetzt. Von einem Winkel führte eine hölzerne Stiege nach oben zur Haustüre.

      Jenes Gespenster- oder Hexenhaus in dem Dorf von meinem Ähne wurde eines Tages doch abgerissen und das Gelände von einem Bagger eingeebnet, das war schon eine Enttäuschung, nicht nur für mich, sondern für alle Kinder: jetzt waren die Geister hin und niemand konnte mehr nachprüfen, ob sie wirklich gelebt hatten. Sie hatten uns Angst gemacht, das mußte genügen.

      Sonderurlaub

      Nicht, daß wir uns nicht gefreut hätten, meine Mutter, ich und meine kleine Schwester, wenn mein Vater Urlaub hatte und heimkam.

      Er brachte auch immer für jeden etwas mit – von seiner Front in Frankreich, Belgien und Holland! Meiner Mutter hatte er es vorher geschrieben, wenn er kam, und meine Mutter hatte es mir dann auch gesagt.

      Aber ich war dann doch jedesmal sehr überrascht, weil ich seine Ankunft vergessen hatte.

      Wenn ich drandachte, ging ich zum Bahnhof, um ihn dort zu erwarten, denn er kam immer mit dem Zug. Aber meistens stand er schon vor der Haustüre, wenn ich nach ihm fragte, war er schon zu Fuß vom Bahnhof gekommen.

      Manchmal kam er schon die Stiege herauf und ich war noch oben. Dann rannte ich ihm entgegen und fiel ihm um den Hals und küßte ihn. Sein Gesicht war stachlig, die Barthaare stupften, und er roch auch nicht gut. Aber das machte nichts: Hauptsache er war wieder da.

      Doch diesmal blieb ich auf der Treppe erschrocken stehen, und er lachte auch nicht wie sonst, sondern begann zu weinen, auch meine Mutter schluchzte über mir.

      Was ist denn mit deinem Arm, Babba? fragte ich. Denn ich hatte entdeckt, daß er den rechten Arm in einer Schlinge trug, und der Arm war dick verbunden, und ich meinte zu sehen, wie an einigen Stellen das Blut durchdrückte.

      Mein Vater wischte sich mit der linken Hand über die Augen, dann streckte er sie mir entgegen und kam vollends die Treppe herauf. Und oben vor der Küche strich er mir übers Haar und sagte:

      Ich bin verwundet. Granatsplitter. Ich war im Lazarett und habe jetzt noch vierzehn Tage Sonderurlaub bekommen. Somit hatte auch meine Mutter jetzt Klarheit oder eine Bestätigung dessen erhalten, was in den spärlich eintreffenden Briefen stand.

      Ich muß jetzt alles auf links umstellen, erzählte mein Vater. Wir saßen jetzt schon in der Stube, und unsere Gesichter waren wieder etwas heller.

      Am Anfang ist mir das schwergefallen. Ich konnte nicht mal einen Brief schreiben, ich mußte einen Kameraden darum bitten, daß er einige Zeilen an dich aufsetzt, sonst hättest du gar nichts vorher erfahren. Es tut noch weh, fuhr mein Vater fort; aber es war schon schlimmer. Wie gehts hier, fragte er jetzt.

      Es geht; wir sind alle gesund, mein Vater und meine Mutter auch, berichtete meine Mutter; sie haben Frau Klein, die Kindergärtnerin, abgeholt.

      Wer?

      Die Polizei! Sie hätte etwas gegen den Führer gesagt und auch schon seit längerem Feindsender gehört; Radio London.

      Ich verstand erst allmählich, um was es ging. Ich hörte nur den Namen Frau Klein und Kindergärtnerin und horchte auf; kam vorsichtig wieder an den Tisch zurück, an dem meine Eltern saßen und von dem ich mich inzwischen entfernt hatte, um die Tasche zu untersuchen, die mein Vater mitgebracht hatte. Auf dem Bahnhof war noch ein Koffer, erfuhr ich dann; den müßte ich nachher mit dem Leiterwägele holen – ich oder meine Mütter selber!

      Was ist mit Frau Klein? fragte ich vorsichtig.

      Ach, nichts, antwortete meine Mutter. Die kennst du doch gar nicht mehr; du warst nur ein paar Monate bei ihr. Die ist von der Polizei abgeholt worden.

      Und wohin hat man sie gebracht?

      Das geht uns doch nichts an, unterbrach mein Vater streng. Wir haben mit der nichts zu tun. Vielleicht ist sie auch schon wieder daheim.

      Das glaube ich nicht, sagte ich. Warum glaubst du das nicht, wollte mein Vater wissen.

      Ihr Mann ist ja auch nicht mehr daheim, und den haben sie auch abgeholt, die Polizei: der ist jetzt in einem Lager.

      Halt den Mund; den Mund sollst du halten. Mein Vater wurde jetzt zornig, und es war nicht der übliche Zorn, den er im Suff hatte. Diesen Zorn hatte er auch, wenn er gar nichts getrunken hatte.

      Weib, mach mir etwas zum Vespern, sagte er jetzt. Meine Mutter hatte schon von sich aus den Brotlaib auf den Tisch gebracht.

      Du gehst heute aber nicht mehr fort, in die Wirtschaft, meine ich, fragte sie.

      Nein, und morgen auch nicht. Ich will erst ausschlafen. Aber übermorgen gehen wir zum Ähne, der Karl geht mit.

      Ja, ich geh mit.

      Es ist doch alles meine Heimat, die habe ich draußen so vermißt, grübelte er. Wir können ja morgen drüber schwätzen, was hier los ist, jetzt muß ich aber ins Bett. Der Arm tut wieder weh; morgen müssen wir auch meinen Koffer vom Bahnhof holen, da hats noch mehr Geschenke für euch drin, das hier ist ja bloß meine Tasche. Ach, der Karl hat sie ja schon umgedreht. Hast du etwas gefunden?

      Ich hatte etwas gefunden: Schokolade, sagte ich.

      Noch einen Krug Most kannst du mir bringen, bevor ich ins Nescht gehe; da draußen gibts auch keinen Most, die wissen gar nicht, was das ist.

      So dabfer ging er also dann doch nicht ins Nescht; erst trank er einen Krug Most, dazu vesperte er einen gebratenen Leberkäs mit Spiegelei, dann trank er noch einen Krug Most. Dazwischen erzählte er und erzählte von seinen Erlebnissen in Frankreich, Belgien und Holland.

      Doch da mußte ich nach oben; meine Mutter kam mit rauf und wartete, daß ich auch richtig betete: Müde bin ich, geh zur Ruh, schließe beide Äuglein zu . . .

      Ich schlief aber an diesem Abend schwer ein: immer sah ich meinen Vater vor mir, wie er seinen blutenden rechten Arm in die Höhe hielt . . .

      Daneben meine Mutter. Sie weinte und schrie immerzu: mein Vater solle doch endlich seinen Arm herunternehmen, da käme doch kein Blut in die Finger, und der Arm würde absterben, wenn er ihn noch lange so hoch halte.

      Aber mein Vater hörte nicht auf sie; im Gegenteil, je mehr sie schrie, desto höher hielt er den Arm, bis er schon hinter dem Kopf war. Plötzlich fiel der Arm herab, fiel wie ein abgesägter Ast vom Baum: mein Vater hatte den Arm verdreht, hatte ihn ausgekugelt.

      Aber komisch: jetzt floß gar kein Blut mehr. Der Arm war ganz weiß, und die Finger waren weiß, der Ellbogen; der Oberarm, der Unterarm – komisch: da war gar keine Binde mehr drum herum.

      Mein Vater war plötzlich verschwunden, hatte seinen Arm alleine gelassen, und ich trat jetzt vor diesen Arm undbetrachtete ihn, völlig gefühllos; ich fürchtete mich nicht – ich war nur neugierig,


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